Revolutionen auf dem Rasen. Jonathan Wilson

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Revolutionen auf dem Rasen - Jonathan Wilson

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In einem Spiel gegen die ebenfalls aus Buenos Aires stammenden Estu diantes weigerten sich die Männer von Alumni einmal sogar, einen Strafstoß auszuführen, weil sie ihn als zu Unrecht verhängt betrachteten. Alles drehte sich darum, die Sache auf die „richtige Art und Weise“ anzugehen. Das galt auch für die Taktik, und das 2-3-5 war folglich die Norm. Die umfangreiche Berichterstattung des Buenos Aires Herald über den 3:0-Sieg des FC Southampton über die Alumni im Jahr 1904 – das erste Spiel einer tourenden britischen Mannschaft in Argentinien – verdeutlicht, welch große Rolle die Werte der Privatschulen noch immer spielten. So wurde in einem Leitartikel argumentiert, dass die britische Vormachtstellung das Ergebnis „einer angeborenen Liebe für alles Männliche“ sei.

      Nach und nach allerdings schwand die Dominanz des Britischen. Der argentinische Fußballverband AFA (Argentinian Football Association) führte 1903 Spanisch als Geschäftssprache ein. Der Fußballverband Uruguays zog zwei Jahre später nach. 1911 wurde der Alumni Athletic Club abgewickelt. Im darauffolgenden Jahr wurde die AFA zur Asociatión del Football Argentina, auch wenn es noch bis 1934 dauern sollte, bis aus „Football“ „fútbol“ wurde.

      Im Gegensatz zu den Briten betrachteten Uruguayer und Argentinier Körperbetontheit nicht als eigenständige Tugend. Genauso wenig besaßen sie ein vergleichbares Misstrauen gegenüber Schläue. Und auch wenn sie das gleiche System spielten, hätte der Stil nicht unterschiedlicher sein können. Der Anthropologe Eduardo Archetti argumentierte, dass mit dem bald spürbar werdenden Einfluss spanischer und italienischer Einwanderer Kraft und Disziplin zugunsten von Geschick und Sinnlichkeit aufgegeben wurden – ein Trend, der sich in einer Reihe von Disziplinen bemerkbar machte. „Wie der Tango, so blühte auch der Fußball in den Armenvierteln auf“, schrieb der uruguayische Dichter und Journalist Eduardo Galeano.

      Unterschiedliche Voraussetzungen erfordern unterschiedliche Stile. Einst hatte sich in England das Spiel in den alten Klöstern von jenem auf den Rasenfeldern der Privatschulen unterschieden. Jetzt entwickelten sich auf den schmalen, unebenen und engen Plätzen der ärmeren Gegenden von Buenos Aires und Montevideo wieder andere Fertigkeiten und führten zur Geburt eines neuen Stils. Galeano nannte ihn „eine landestypische Art des Fußballspielens, ganz wie der landestypische Tanz, der in den Milonga-Clubs entstand. Tänzer vollführten filigrane Bewegungen auf einer einzigen Bodenfliese, und auch Fußballspieler ersannen ihre eigene Sprache auf ihrem kleinen Raum. Dabei führten sie den Ball lieber eng bei sich, anstatt ihn zu schießen. … Die ersten hispano-amerikanischen Virtuosen brachten el toque, die sanfte Berührung, hervor: Der Ball wurde wie eine Gitarre angeschlagen, wie ein Quell der Musik.“

      Beide Stile konnten nicht harmonisch nebeneinander bestehen, lebten sie doch von ganz unterschiedlichen Tugenden. Als der alte auf den neuen Stil traf, kam es deshalb unausweichlich zum Konflikt. Das wurde bereits 1905 deutlich, als der robuste Stil von Nottingham Forest im sechsten Spiel ihrer Tournee gegen eine größtenteils aus Anglo-Argentiniern bestehende Auswahlelf eine spürbare Missstimmung erzeugte. Der Herald, wie immer auf Seite der Briten, wies ausdrücklich all jene zurecht, die es gewagt hatten, die Spielweise von Nottingham zu kritisieren: „Ein Spiel, das vor allem zur Stärkung der Ausdauer und Erprobung der Kraft junger Männer erdacht wurde, ist nicht unbedingt ein Spiel für den Salon.“ Bei den darauffolgenden Tourneen wurde das Klima immer schärfer, vor allem wegen grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten über die Rolle des Rempelns mit den Schultern im Spiel.

      Eine der wenigen Tourneen, die als Erfolg bezeichnet werden konnten, war jene von Swindon Town im Jahre 1912. Sie führte zu der Erkenntnis, dass die Briten möglicherweise dazulernen mussten. Swindons Manager Samuel Allen äußerte sich im Großen und Ganzen anerkennend und sagte, dass er nie zuvor besseren Fußball zwischen zwei Amateurmannschaften gesehen habe. Doch selbst er brachte Bedenken darüber zum Ausdruck, dass die einheimischen Spieler „hauptsächlich auf den eigenen Vorteil bedacht sind und jede sich bietende Gelegenheit nutzten, um im Alleingang gescheite Dinge zu tun“. Sogar in Argentinien selbst standen die Konservativen dieser Entwicklung im Fußball skeptisch gegenüber. Jorge Brown, aus Großbritannien stammender, ehemaliger Spieler der Alumni, beklagte in den frühen 1920er Jahren, dass der neue Fußballstil „durch exzessives Passspiel in der Nähe des Tores geschwächt wird. Es ist ein schöneres, vielleicht auch künstlerischeres und offensichtlich intelligenteres Spiel, das aber seine ursprüngliche Überschwänglichkeit verloren hat.“ Eine in Großbritannien immer häufiger geäußerte Kritik, die erst 1953 von den Ungarn in Wembley auf eindrucksvolle Art und Weise endgültig widerlegt wurde.

      Doch schon bei den Olympischen Spielen 1924 bewies Uruguay die Stärke dieses neuen Stils. Während Argentinien entschied, zu Hause zu bleiben, fuhr Uruguay nach Paris und schrieb eine der großen Geschichten der frühen Fußballjahre. Auch wenn Galeano dazu neigt, stark zu romantisieren, so kann man ihm seine offenkundige Entzückung über die Goldmedaille seines Heimatlandes doch kaum verübeln.

      Aber von Anfang an: Die Mannschaft bestand aus Arbeitern, unter anderem aus einem Fleischereiarbeiter, einem Marmorsteinmetz, einem Gemischtwarenhändler und einem Eisverkäufer, und musste die Überfahrt nach Europa im wenig komfortablen Zwischendeck verbringen. Um Geld für ihre Verpflegung aufzubringen, trugen die Urus nach ihrer Ankunft zunächst diverse Partien aus. Bevor sie überhaupt nach Frankreich kamen, hatten sie bereits neun Freundschaftsspiele in Spanien gewonnen. Uruguay war die erste lateinamerikanische Mannschaft, die eine Tournee in Europa unternahm, und doch schenkte man ihnen – wenigstens zu Beginn – nur wenig Aufmerksamkeit. Gerade einmal 2.000 Zuschauer sahen dabei zu, wie die Urus in ihrem ersten Match bei den Olympischen Spielen Jugoslawien mit 7:0 auseinandernahmen.

      „Wir begründeten die uruguayische Fußballschule“, sagte Ondino Viera, der später die Nationalmannschaft betreuen sollte und sich ähnlich bildhaft wie Galeano ausdrückte, „ohne Trainer, ohne Konditionstraining, ohne Sportmedizin, ohne Experten. Nur wir allein auf den Feldern Uruguays, die wir dem Leder von morgens bis abends und bis tief in den Mondschein der Nacht hinterherjagten. Wir spielten 20 Jahre lang, um zu Spielern zu werden, … zu vollkommenen Meistern des Balles, … die den Ball eroberten und um keinen Preis wieder verloren. … Es war ein wilder Fußball, unser Spiel. Es war ein durch Erfahrung entstandener, ureigener Fußball, den wir uns selbst beigebracht hatten. Es war ein Fußball, der noch nicht in den Kanon der Alten Welt … eingegangen war, nicht einmal im Entferntesten. … Dies war unser Fußball, und so haben wir unsere Schule des Spiels geschaffen, und so haben wir die Schule des Spiels für den ganzen Kontinent der Neuen Welt geschaffen.“

      In Paris sprach sich das bald herum. „Spiel für Spiel drängten sich die Leute, um diese Männer zu sehen“, schrieb Galeano, „die so clever wie Eichhörnchen Rasenschach spielten. Die englische Auswahl hatte zwar den weiten Pass und hohe Bälle perfektioniert, doch die enterbten Sprösslinge aus dem weit entfernten Amerika traten nicht in die Fußstapfen ihrer Väter. Sie erfanden lieber ein Spiel kurzer Pässe direkt in den Fuß, mit blitzschnellen Wechseln des Rhythmus und Dribblings mit höchster Geschwindigkeit.“

      Rasenschach? Charles Alcock hätte so etwas wohl kaum akzeptiert, obgleich er die Torschussqualitäten von Mittelstürmer Pedro Petrone gewiss geschätzt haben würde – auch wenn dieser aus Angst um seine mit viel Pomade versehene Haarpracht jegliche Kopfbälle verweigerte. Die tatsächlich Anwesenden jedoch waren verzückt, da Uruguay seine Form das ganze Turnier hindurch halten konnte. Das Team traf in seinen vier Spielen bei zwei Gegentoren insgesamt 17-mal, bevor man die Schweiz im Finale mit 3:0 besiegte. Die Reaktion des französischen Essayisten und Schriftstellers Henry de Montherlant mag als typisches Beispiel dienen. „Eine Offenbarung!“, so schrieb er. „Hier haben wir echten Fußball. Verglichen damit war das, was wir vorher kannten, was wir spielten, nichts weiter als das Hobby eines Schuljungen.“

      Gabriel Hanot, der später einmal Frankreichs Fußballorgan L’Équipe herausgeben sollte und eine herausragende Karriere als Spieler hinter sich hatte, reagierte weniger emotional. Uruguay, so hielt er fest, habe „eine fabelhafte Kunstfertigkeit bei der Ballannahme, -kontrolle und -weitergabe [gezeigt]. Sie schufen einen herrlichen Fußball:

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