Die Witwe des Millionärs. Laura Lippman

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Die Witwe des Millionärs - Laura  Lippman Kampa Pocket

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kein Mitglied der vierten Macht mehr.« Komisch, es tat gar nicht mehr weh, das zu sagen. Der Star war tot, das Leben ging weiter, Baltimore war eine Stadt mit nur einer Zeitung, und diese eine Zeitung war – egal, wie einem das gefiel – der Beacon.

      »Sag uns Bescheid, wenn es so weit ist. Vielleicht kann Rosita was über dich schreiben, wenn du einen dicken Fall löst. Tess Monaghan, die rudernde Ermittlerin.«

      »Um diese Jahreszeit rudere ich nicht«, erinnerte ihn Tess. »So hart bin ich nun auch nicht drauf. Ich geh am ersten April wieder aufs Wasser, keinen Tag früher.«

      Feeney hörte sie nicht. Er strahlte, seine geheime Story ließ ihn von innen leuchten. Es war vielleicht etwas Politisches, vermutete Tess, wenn man bedachte, wer auf der Bühne stand. Für einen Artikel über den Gouverneur brauchte man auch immer frische Anekdoten, wie er sich wieder lächerlich machte. Oder vielleicht nutzte Familie Tucci auch ihre beachtliche Macht aus, um noch eine Müllverbrennungs-Konzession zu bekommen, obwohl immer weniger Stadtteile so eine Anlage herumstehen haben wollten. Aber wie die meisten reichen Familien beschwerten sie sich ganz schnell, wenn ihnen eine staatliche Regelung oder eine Gebühr nicht passte.

      Viel wahrscheinlicher war, dass Feeney über das Ereignis des Abends schrieb, über Wink und seinen Basketball-Deal. Aber was hatte das mit einem Gerichtsfall zu tun? Und wieso hatte er noch eine andere Autorin dabei?

      »Lass uns bald mal was trinken gehen«, sagte Tess, wobei sie die Stimme senkte, sodass Rosita nicht glauben könnte, sie wäre auch eingeladen. »Ist schon zu lange her.«

      Er lachte. »Du willst von mir bloß alles erfahren.«

      »Na klar. Aber das kann dir doch egal sein, wenn ich dich bei ein paar Drinks im Brass Elephant ausfrage? Du kriegst umsonst was zu trinken und wirst mir wahrscheinlich sowieso nicht antworten. Morgen Abend? Halb acht?«

      »Sagen wir acht. Wer weiß – vielleicht ist dann schon Zeit zu feiern.«

      »Okay. Bis dann.« Sie gab ihm die Hand, dann log sie Rosita ins Gesicht: »War nett, Sie kennenzulernen.«

      Die junge Frau lächelte mit zusammengepressten Lippen, was die Temperatur stark abfallen ließ. Okay, ich bin auch nicht gerade warmherzig aufgetreten. Aber Tess fand, dass sie nur auf die Unhöflichkeit der kleinen Reporterin reagiert hatte, so wie man einen knallharten Aufschlag beim Tennis retournierte. Rosita trug ihren Ehrgeiz sichtbar zur Schau wie altgediente Reporter Trenchcoats. Zu ihrem jungen Körper passte das nicht gut.

      Tess ließ sich noch einen Gratis-Hotdog geben und versuchte, damit den restlichen Weg nach Hause auszukommen. Von achtzehn Blocks war der Hotdog sechzehn zu kurz. Trotzdem war sie satt und zufrieden, als sie ihre Wohnung erreichte. Sie entschied sich, noch kurz im Buchladen ihrer Tante im Erdgeschoss hereinzuschauen und ihr von dem Menschenauflauf am Hafen zu berichten. Kitty wusste das Absurde zu schätzen, was man auch am Namen ihres Ladens erkannte: FRAUEN UND KINDER ZUERST.

      »Oh, Tesser, wo warst du denn?«, rief Kitty, bevor Tess anfangen konnte, das spastische Dribbeln des Gouverneurs nachzumachen, die pseudocoolen Moves des Bürgermeisters und Tuccis alberne Angeberei. »Tommy hat immer wieder angerufen. Er hat dich im Büro knapp verpasst, und seitdem ruft er alle fünf Minuten hier an.«

      »Tommy, Spikes hysterisches Helferlein? Wieso, hat ihm jemand die Einlagen geklaut? Oder sich ein paar Brezeln zu viel genommen oder einen ungedeckten Sieben-Dollar-Scheck hinterlassen? Glaub mir, Kitty, Tommys Anrufe sind nie so wichtig, wie er glaubt.«

      In Kittys blauen Augen schimmerten Tränen. »Es geht um deinen Onkel Spike, Tess. Er liegt im Saint Agnes Hospital. Jemand hat versucht, das Point auszurauben, und der verrückte alte Sack hat versucht, das zu verhindern – und es wäre ihm beinahe gelungen.«

      »Nur beinahe?«

      »Nur beinahe.«

      2

      »Tore, ich hab sie gesehen, die Tore«, murmelte Spike. Seine braunen Augen starrten milchig ins Nichts, sie konnten gar nichts sehen. »Tore.«

      »Ich weiß, Onkel Spike, ich weiß«, sagte Tess und tätschelte seine Hand. Aber sie wusste gar nichts. Tore? Vielleicht sah er sein Leben vor sich, die Tore, die er in gut fünfzig Jahren geschossen hatte? Sie wertete dieses Klischee als gutes Zeichen. Wenn der Tod näher käme, würde man ja wohl origineller reagieren.

      »Die Tore.«

      Spikes Gesicht war geschwollen, überall waren kleine Platzwunden, und die Leberflecke, die ihn ein bisschen wie einen Spaniel aussehen ließen, wurden beinahe von rot-lilafarbenen Schwellungen verdeckt. Nur sein spitzer, kahler Kopf, der oben aus seinem braunen Haarkranz ragte, war immer noch weiß und unbefleckt.

      »Tore«, murmelte er.

      »Ich hab ihn gefunden?«, sagte Tommy, der Tellerwäscher aus Spikes Bar, der fast alles wie eine Frage aussprach. Diese Wischiwaschi-Tendenz, zusammen mit seinem starken Baltimore-Akzent und seiner Angewohnheit, Worte miteinander zu verwechseln, machte ihn für praktisch jedermann außer Spike unverständlich. »Vor ungefähr zwei Stunden? Ich wollte mich auf die Leute am Montagabend vorbereiten? Ich wollte ein paar hart gekochte Eier pellen, weil der neue Koch nicht gekommen ist, die faule Sau?«

      »Ein Überfall?« Tess hatte das nicht als Frage gemeint, aber Tommys Aussprache war ansteckend.

      »Ja, ein Überfall, aber am Montag haben wir nicht viel Geld, nicht außerhalb der Football-Saison? Deswegen haben sie sich aufgeregt? Deswegen haben sie ihn zusammengeschlagen?«

      Tommy hatte schon recht: Onkel Spike sah aus wie eine schlecht gewordene Pflaume oder eine gehäutete zermatschte Tomate. Wer tat einem alten Mann das an? Aber Tess wusste Bescheid. Amateure. Kinder. Idioten, genau die Leute, derentwegen Verbrecher einen schlechten Ruf genießen. Die haben keine Ahnung von der Etikette, nach der man bei einem Kneipenüberfall einfach niemanden tötet, und schon gar nicht versucht, jemanden totzuprügeln. Überhaupt raubte man keine Kneipen aus, denn die Besitzer hatten normalerweise abgesägte Schrotflinten unter der Bar, vor allem, wenn sie nebenbei auch noch illegal als Buchmacher arbeiteten. Spike arbeitete nebenbei als Buchmacher, Spike hatte eine Schrotflinte. Wieso hatte er sie nicht benutzt?

      »Nummern«, brachte er schwach hervor, als dächte auch er an die Wetten, die ihm viel mehr einbrachten als die Bar. Dann sagte er nichts mehr, die Augen fielen ihm zu.

      So verharrten sie – Tess hielt Spikes Hand, Tommy saß auf der anderen Seite des Bettes und wippte nervös vor und zurück, er hatte sich die Arme um den Körper geschlungen – bis ein junger Arzt hereinkam und sie bat, zu gehen.

      Der schlaksige Tommy bestand darauf, Tess zu ihrem eigenen Schutz zum Wagen zu begleiten. Auf dem Parkplatz waren die Pfützen zugefroren, und das vielversprechende Gefühl, das Tess am frühen Abend noch empfunden hatte, war verschwunden. Der März, mit seinem Morgenregen und den winterlichen Nächten, kam ihr plötzlich so bitter vor wie Kuvertüre.

      »Er hat etwas für dich?«, sagte Tommy etwas zögerlich. »In der Bar? Bevor die Notärzte ihn mitgenommen haben, hat er mir gesagt, ich soll’s dir geben?«

      »Er erwartet doch nicht, dass ich die Bar schmeiße, oder?«

      Tommy keckerte laut los, er bog sich vor Lachen über die Vorstellung, dass Tess das Point, Spikes Bar, leiten könnte. Zwischen den Lachattacken brachte er sogar ein paar fragezeichenlose Sätze hervor.

      »Nein, nicht die Bar. Aber

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