Die Witwe des Millionärs. Laura Lippman

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Witwe des Millionärs - Laura Lippman страница 7

Die Witwe des Millionärs - Laura  Lippman Kampa Pocket

Скачать книгу

oder gestreut. Jedes Mal wenn es geschneit hat, war ich gestrandet.«

      »Das musst du mir nicht erzählen. Vergiss nicht, ich bin fünfmal zu dir da rausgefahren, ich bin mit Skiern deine Straße entlanggeschliddert. Und du hast immer so getan, als wäre es ganz schrecklich, dass ich Gemüse vorbeibringe.«

      »Ich wollte Brandy, kein Essen. Du wirst nie als Bernhardiner durchgehen, Tess.«

      Bernhardiner. Tess dachte jetzt nicht mehr an die Vergangenheit, sondern an die Gegenwart. Hund. Sie sollte eine Windhund-Rettungsgruppe anrufen, wie Steve es ihr geraten hatte.

      Sie überließ Tyner seiner wie üblich mäßigen Laune, ging zurück an ihren Schreibtisch und blätterte im Telefonbuch, bis sie tatsächlich einen Eintrag für Windhunde in Maryland fand.

      »Windhunde Maryland.« Das atemlose Wesen am anderen Ende der Leitung war eine Frau mit einer netten, kehligen Stimme. Im Hintergrund bellten wie wild Hunde. Tess sah sie sofort in Blue Jeans vor sich, ganz voller Hundehaare. Igitt.

      »Hi, ich habe anscheinend von meinem Onkel einen Windhund geerbt und würde mich gern schlau machen. Welches Futter brauche ich? Wie sieht’s aus mit Auslauf, besonderem Verhalten? Sowas.«

      »Wie lang hat ihr Onkel den Hund gehabt? Ich meine, hat er ihn erst vor Kurzem adoptiert, oder ist er schon eine Weile bei ihm? Wie geht es ihm?«

      Tess war verwirrt, sie dachte, »er« müsste ihr Onkel sein. Dann wurde ihr klar, dass die Frau den Hund meinte. »Äh, erst seit Kurzem, schätze ich. Sie wusste nicht, wie man Treppen geht.«

      »Ist er von hier?«

      »Der Hund? Weiß nicht.«

      »Ihr Onkel. Wie heißt er?«

      »Spike Orrick.«

      »Bei dem Namen klingelt nichts, und wir kümmern uns eigentlich um die meisten Adoptionen in und um Baltimore.« Die Stimme der Frau klang plötzlich viel weniger freundlich. »Sind Sie sicher, dass er den Hund korrekt adoptiert hat? War er mit ihm beim Tierarzt? Man muss die Hunde nämlich sterilisieren lassen, wissen Sie. Das ist Teil der Vereinbarung. Ist der Hund jetzt bei Ihnen? Wir haben ein Identifikationssystem, und wenn Sie bloß …« Tess legte auf. Wem wollte sie etwas vormachen? Spike hatte noch nie etwas korrekt gemacht. Wenn Esskay nur reden könnte. Wenn Spike nur reden könnte.

      Aber dann rief sie im Saint Agnes an und erfuhr: Spike lag jetzt im Koma, niemand wusste, wie es weitergehen würde.

      »Was ist so selten wie ein Frühjahrstag? Was ist so selten wie ein Märztag in Baltimore, an dem tatsächlich die Sonne scheint?«, murmelte Tess vor sich hin, als sie am Abend die Treppe zum Brass Elephant hochstieg. Sie sorgte sich um Spike, freute sich aber auch auf die Zeit in ihrer Lieblingsbar mit einem ihrer Lieblingstrinkbrüder.

      Die Brass Elephant Bar war ein gut gehütetes Geheimnis, und die Stammkunden waren froh darum. Sie war ein billiges Versteck über einem teuren Restaurant. Während Tess’ Arbeitslosigkeit war sie für sie unverzichtbar geworden, ein Fluchtort, an dem sie sich zivilisiert und umsorgt fühlen konnte und an dem sie für fünfzehn Dollar gut essen konnte. Das Licht war gedämpft, genau wie die Musik; Chet Baker, Johnny Hartman und Antonio Carlos Jobim murmelten ihre Liebeslieder so leise, dass man nur manchmal einen geflüsterten Reim wie love/above, art/heart oder sky/high hören konnte. Vor ein paar Jahren hatte es einen schrecklichen Augenblick gegeben, als eine neue Barkeeperin eine Jazzversion des Schmusehits aus dem neuesten Disney-Trickfilm gespielt hatte, aber das hatte man ihr schnell wieder abgewöhnt. Der Brass Elephant überlebte gute und schlechte Zeiten, von Marylands schwindsüchtiger Ökonomie bis zu diesen Best-of-Baltimore-Listen, die über die Martinis gestolpert waren, sodass plötzlich ein paar Leute auftauchten, die nicht unbedingt Martinis mochten, aber gerne betonten, dass sie die besten probiert hatten.

      Gut, ihr Lieblingsbarkeeper war da. Und Feeney auch, er saß auf einer Bank in einer dunklen Ecke, seine Finger umklammerten den Stiel eines Martiniglases, und auf dem weißen Tischtuch vor ihm lag ein vielsagender Berg zahnstochergespickter Oliven. Tess deutete auf Feeneys Glas und zeigte damit an, dass sie dasselbe wollte, dann setzte sie sich auf den Stuhl Feeney gegenüber. Er war in sich zusammengesackt und schien sie auch nicht zu bemerken, es sei denn, man betrachtete ein paar genuschelte Zeilen von Auden als angemessene Begrüßung.

      »Ich sitze in einer Spelunke / In der 52nd Street / Unsicher und voller Angst, / Während die klugen Hoffnungen / Eines niederträchtigen Jahrhunderts schwinden.«

      Tess seufzte. Richard Burton hätte es nicht besser – oder besoffener – sagen können. Auden war ein besonders schlechtes Zeichen, er war reserviert für die ganz tiefen Tiefs. Nur Yeats oder Housman waren schlimmer.

      »Du bist in der Charles Street, und der Brass Elephant ist keine Spelunke, obwohl ich mit dir nicht über die Nachteile dieses verdammten Jahrzehnts diskutieren würde.«

      »Ich habe bloß meine Stimme / Um die fältigen Lügen ungesagt zu machen / Die romantische Lüge im Gehirn / Vom sinnlichen Mann auf der Straße …«

      »Das wollten sie also von dir? Du solltest der Mann auf der Straße sein?« Das wäre ja gar kein so großes Problem, davon könnte sie Feeney ablenken. Tess kannte den unerschütterlichen Glauben der Medien, dass normale Menschen etwas von aktuellen Ereignissen verstünden. Wenn irgendetwas Wichtiges in weiter Ferne passierte, schickten die Redakteure gnadenlos Reporter auf die Straße, um gemeine Zitate von gemeinen Menschen einzuholen.

      Der Barkeeper tauchte mit ihrem Drink am Tisch auf. Das Ritual war Teil ihres Vergnügens – die Drehung des Shakers aus dem Handgelenk, wie er den Martini künstlerisch einschenkte. Tess nippte daran und fühlte sich gleich besser, stärker, klüger, bereit für Feeney in extremis.

      »Und was war heute die Frage? Irgendwas mit der NATO? Die NATO ist doch immer gut für einen Mann auf der Straße. Ich weiß noch, als ich beim Star war, hat jemand in Pigtown gedacht, die NATO sei ein überdachtes Schwimmbad, das der Bürgermeister im Patterson Park bauen wollte.«

      »Du enttäuschst mich, Tess«, sagte Feeney bitter und begann, an einem der Zahnstocher von dem Hügel vor ihm zu kauen. »Du nimmst das alles genauso wörtlich wie meine bescheuerten Chefredakteure.«

      Tess nahm einen zweiten größeren Schluck aus ihrem Glas, sie genoss die Kühle und dann den kleinen hitzigen Nachgeschmack. Wirklich ein wunderbarer Drink.

      »Es ist auch schön, dich zu sehen, Feeney.«

      »Schön, mich zu sehen? Du kannst es kaum ertragen, mich anzuschauen.«

      Verloren in seinem eigenen Elend, hatte Feeney unwissentlich die Wahrheit ausgesprochen. Tess mied seinen Blick, der dunkel war von Bitternis, und sein nach unten gekehrtes Grinsen. Feeney war immer grau gewesen – grau-blaue Augen, grau-blondes Haar, selbst seine Haut wirkte grau-rosa, sie war nur ein wenig heller als die halbrohen Hotdogs, die er bei den Ständen vor dem Gerichtsgebäude kaufte. Aber heute sah alles noch etwas fahler aus als sonst, als bekäme er nicht genug Sauerstoff. Auf seinem blassen Gesicht wirkten die aufgeplatzten Äderchen in seinen Wangen wie Straßenkarten ins Nirgendwo. Gin-Blüten, die eine Blume, die man das ganze Jahr über im gottverdammten Baltimore finden konnte.

      »Was ist los, Feeney?«

      »Meine Karriere ist vorbei.«

      »Das sagst du einmal im Monat.«

      »Ja, aber normalerweise ist das bloß ungerechtfertigte Paranoia. Heute

Скачать книгу