Die Erde. Emile Zola

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Die Erde - Emile Zola

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entschlüpften ihm. „Bloß hat uns das was genützt, denen ihre Freiheit und denen ihre Gleichheit, Rose und mir? – Sind wir deshalb fetter, nachdem wir uns fünfzig Jahre lang geschunden haben?“ Alsdann faßte er in ein paar langsamen und mühseligen Worten unbewußt diese ganze Geschichte zusammen: die Erde, die so lange für den Grundherrn bebaut worden war, unter dem Prügel des Herrn und in der Nacktheit des Sklaven, dem nichts gehört, nicht einmal seine Haut; die Erde, die mit seiner Mühe befruchtet, die während dieses heißen und innigen Zusammenlebens zu jeder Stunde leidenschaftlich geliebt und begehrt worden war wie die Frau eines anderen, die man hegt, die man umarmt und die man nicht besitzen kann; die Erde, die nach Jahrhunderten dieser Lüsternheitsmarter endlich erlangt, erworben, zu seinem Eigentum geworden war, sein Genuß, der einzige Quell seines Lebens. Und dieses jahrhundertelange Begehren, dieses unaufhörlich hinausgeschobene Besitzen erklärte seine Liebe zu seinem Feld, seine Leidenschaft zur Erde, zu soviel Erde wie möglich, zur fetten Scholle, die man berührt, die man in der hohlen Hand wiegt. Wie gleichgültig und undankbar war sie jedoch, die Erde! Man mochte sie noch so sehr vergöttern, sie erwärmte sich nicht, brachte nicht ein Korn mehr hervor. Zu starke Regenfälle ließen die Saaten verfaulen, Hagelschläge zerhackten das Getreide auf dem Halm, ein Gewitterwind legte die Stengel um, zwei Monate Trockenheit ließen die Ähren verkümmern; und dann gab es noch die zernagenden Insekten, die tötenden Kälteeinbrüche, die Krankheiten, die das Vieh befielen, die Unkrautpflanzen, diesen Krebsschaden, der den Boden auffraß; alles wurde eine Ursache zum Verderben, es blieb bei den Zufälligkeiten der Unwissenheit ein tägliches Ringen in ständigem Alarmzustand. Wahrlich, er hatte sich nicht geschont, hatte mit beiden Fäusten dreingeschlagen, wütend, weil er sehen mußte, daß die Arbeit allein nicht ausreichte. Er hatte dabei die Muskeln seines Körpers ausgedörrt, er hatte sich ganz und gar der Erde hingegeben, die ihn, nachdem sie ihn notdürftig ernährt hatte, elend, unbefriedigt, sich der greisenhaften Impotenz schämend, verließ, und die, ohne auch nur Mitleid zu haben mit seinen armen Knochen, in die Arme eines anderen Mannestiers überging, auf das sie wartete. „Und so ist’s eben! Und so ist’s eben!“ fuhr der Vater fort. „Man ist jung, man rackert sich ab; und wenn es einem mit Mühe und Not gelungen ist, sein Auskommen zu haben, ist man alt, muß man abtreten ... Nicht wahr, Rose?“

      Die Mutter schüttelte ihren zitternden Kopf. Ach du meine Güte! Sie hatte gearbeitet, sie auch, todsicher mehr als ein Mann! Vor den andern war sie aufgestanden, um das Essen zu machen, auszufegen, zu scheuern, das Kreuz war ihr schier zerbrochen von tausenderlei Besorgungen: die Kühe, das Schwein, der Backtrog – und sie hatte sich immer erst nach den anderen schlafen gelegt! Sie mußte schon handfest sein, sonst wäre sie daran verreckt. Und ihr einziger Lohn war, gelebt zu haben: man sammelte nur Runzeln, war noch sehr glücklich, wenn man, nachdem man jeden Heller viermal umgedreht, sich ohne Licht schlafen gelegt und sich mit Brot und Wasser begnügt hatte, genug behielt, um nicht in seinen alten Tagen Hungers zu sterben.

      „Trotzdem“, fuhr Fouan fort, „dürfen wir uns nicht beklagen. Ich habe mir erzählen lassen, daß es Länder gibt, wo die Erde einen Hundedreck hergibt. So haben sie im Perche nur Kieselsteine ... In der Beauce ist die Erde noch weich, sie verlangt nur eine beständige gute Bearbeitung ... Bloß, das nimmt eine Wendung zum Schlimmen. Sicher wird es weniger mit ihrer Fruchtbarkeit; Felder, auf denen man früher zwanzig Doppelzentner geerntet hat, bringen heute nur fünfzehn ... Und der Preis für den Doppelzentner sinkt seit einem Jahr. Es wird erzählt, daß Getreide von dort kommt, wo die Wilden zu Hause sind, das ist was Schlechtes, was da beginnt, eine Krise, wie sie sagen ... Ist denn das Unheil niemals zu Ende? Denen ihr allgemeines Wahlrecht, das schafft kein Fleisch in den Kochtopf, nicht wahr? Die Grundsteuer zerbricht uns die Schultern, man nimmt uns immer noch unsere Kinder für den Krieg weg ... Ach, geht mir, man mag noch so viele Revolutionen machen, das ist gehuppt wie gesprungen, und der Bauer bleibt der Bauer.“

      Jean, der sehr genau war, wartete ab, um zu Ende vorzulesen. Als wieder Schweigen eingetreten war, las er sacht weiter:

      „Glücklicher Ackermann, verlaß das Dorf nicht um der Stadt willen, wo du alles kaufen mußt, die Milch, das Fleisch und das Gemüse, wo du wegen der vielen Gelegenheiten immer mehr ausgeben wirst als notwendig. Hast du nicht auf dem Dorfe Luft und Sonne, eine gesunde Arbeit, ehrbare Freuden? Das Leben auf freiem Felde hat nicht seinesgleichen, du besitzt das wahre Glück, fern vom vergoldeten Stuck; und der Beweis dafür ist, daß die Arbeiter aus den Städten aufs Land kommen, um sich gütlich zu tun, ebenso wie die Bürger nur den einen Traum haben, sich in deine Nähe zurückzuziehen, um Blumen zu pflücken, Früchte von den Bäumen zu essen, Purzelbäume auf dem Rasen zu schießen. Laß dir’s wohl gesagt sein, Jacques Bonhomme, daß das Geld Trug ist. Wenn du den Frieden des Herzens hast, ist dein Glück besiegelt.“ Die Stimme versagte ihm fast, er mußte eine Rührung zurückhalten, die Rührung eines großen zärtlichen Burschen, der in den Städten aufgewachsen war und dem die Vorstellungen von ländlicher Glückseligkeit die Seele aufwühlten.

      Die andern verharrten düster, die Frauen über ihre Nadeln gebeugt, die Männer zusammengesackt, mit verhärtetem Gesicht. Machte sich das Buch denn über sie lustig? Geld allein galt was, und sie verreckten vor Elend. Als den jungen Mann dieses leidens- und grollschwere Schweigen bedrückte, erlaubte er sich dann eine vernünftige Bemerkung:

      „Trotzdem, das würde mit Bildung vielleicht besser gehen ... Wenn man einst so unglücklich dran war, so deshalb, weil man nichts wußte. Heute weiß man ein wenig, und es geht sicherlich weniger schlecht. Also muß man alles wissen, muß Schulen haben, um zu lernen, wie die Felder zu bestellen sind.“

      Aber heftig, eben wie ein halsstarrig auf dem Herkömmlichen beharrender Greis, unterbrach ihn Fouan:

      „Laßt uns doch in Frieden mit Eurer Wissenschaft! Je mehr man weiß, um so weniger geht’s, denn ich sage Euch, daß vor fünfzig Jahren die Erde mehr Ertrag brachte! Es verärgert sie, daß man sie quält, sie gibt immer nur das, was sie will, das Weibsstück! Und seht’s Euch nur an, hat nicht Herr Hourdequin Geld, so schwer wie er selber, durchgebracht, indem er sich auf die neumodischen Erfindungen einließ ... Nein, nein, das ist für die Katz, der Bauer bleibt der Bauer.“

      Es schlug zehn Uhr, und bei diesem Ausspruch, der mit der Derbheit eines Axthiebes das Gespräch abschloß, holte Rose einen Topf mit Kastanien, die sie in der heißen Asche in der Küche gelassen hatte, das obligate Mahl am Abend von Allerheiligen. Sie brachte sogar zwei Liter Weißwein, damit nichts zum Feiertag fehle. Von da an vergaß man die Geschichten, die Fröhlichkeit stieg, die Fingernägel und die Zähne arbeiteten, um die gerösteten, noch dampfenden Kastanien aus ihrer Schale zu ziehen. Die Große hatte sofort ihren Teil in ihre Tasche versenkt, weil sie weniger schnell aß. Bécu und Jesus Christus verschlangen die Kastanien, ohne sie abzupellen, indem sie sie sich von weitem bis hinten in den Mund warfen, während Palmyre, die sich ein Herz gefaßt hatte, außerordentliche Sorgfalt darauf verwandte, sie zu säubern, und dann Hilarion damit nudelte wie eine Gans. Was die Kinder anbetraf, so „machten sie Blutwurst“. Bangbüx piekte die Kastanie mit einem Zahn auf, drückte sie dann, um einen dünnen Strahl herauszupressen, den Delphin und Nénesse hernach ableckten. Das schmeckte sehr gut. Lise und Françoise entschlossen sich, es ebenso zu machen. Man putzte die Kerze ein letztes Mal, man trank auf die gute Freundschaft aller Anwesenden. Die Hitze hatte zugenommen, ein rotgelber Dampf stieg von der Jauche der Streu auf, die Grille zirpte stärker in den großen unsteten Schatten der Balken; und damit die Kühe an dem Mahl teilhatten, gab man ihnen die Schalen, die sie mit lautem regelmäßigem und sanftem Geräusch zermalmten.

      Um halb elf Uhr begann man aufzubrechen. Die erste war Fanny, die Nénesse mitnahm. Dann gingen Jesus Christus und Bécu hinaus und stritten sich, weil sie draußen in der Kälte wieder der Rausch überkam; und man hörte Bangbüx und Delphin, die beide ihre Väter stützten, schoben, wieder auf den rechten Weg brachten, wie widerspenstige Tiere, die den Stall nicht mehr finden. Bei jedem Auf- und Zuschlagen der Tür kam ein eisiger Hauch von der Dorfstraße herein, die weiß von Schnee war. Aber die Große beeilte sich nicht, knüpfte ihr Taschentuch um ihren Hals, streifte ihre fingerlosen Handschuhe über. Sie hatte nicht einen Blick für Palmyre und Hilarion,

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