Das Werk des Staatsministers. Bo Balderson
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Unten im Auto wartete Niklas Svennberg, der Privatsekretär. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch jemanden, der es ausübt, und Niklas Svennberg war, wenn ich richtig verstanden hatte, der Mann, der die Arbeit des Staatsministers erledigte, zumindest den rein praktischen Teil. Er schrieb die Briefe und sorgte dafür, dass sie an den richtigen Adressaten geschickt wurden und dass sie überhaupt abgeschickt wurden, er wachte darüber, dass die Konferenzen abgesprochen wurden und zustande kamen, und seine Hand war es, die Ordnung schaffte in dem Berg an Unterlagen, der sich schnell um einen extrovertierten, lebhaften Staatsminister auftürmt. Niklas Svennberg bekleidete seit fast einem halben Jahr sein Amt, ich war ihm mehrmals begegnet und hatte ihn sympathisch gefunden. Ein sehr junger Mann, gewiss, aber ohne die Überheblichkeit der Jugend und offensichtlich nicht mit einem Übermaß an Feuereifer ausgestattet: Ich hatte ihn gleichsam über Steuerlast und Gleichberechtigungswahn jammern hören. Bei unserer letzten Begegnung hatte ich mir glatt überlegt, ob ich nicht auf die Förmlichkeiten verzichten sollte. Aber die Sache hatte ich auf sich beruhen lassen.
»Wenn jemand Sie, Herr Persson, dazu bringt, die Höhen von Söder zu verlassen, dann ist es Eva!« lachte er freundlich und ließ weiße Zähne sehen, und ich nahm mit Wohlwollen den grauen Anzug, den diskreten Schlips und das kurzgeschnittene Haar zur Kenntnis. (Eine in die Stirn gefallene blonde Strähne störte nicht nennenswert.) Höflich, aber ohne aufdringlich zu sein, war er mir behilflich, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen, und wandte sich dann Eva zu. Bei ihr war die Fürsorglichkeit vielleicht ein wenig übertrieben. Als er sich zum dritten Mal in den Fond beugte, um sich zu überzeugen, dass sie bequem saß, schien es, als flüstere er ihr etwas ins Ohr. Dann kam er endlich am Lenkrad zur Ruhe, steigerte das Tempo, glitt an Ampeln vorbei, und der Nacken sah zufrieden aus wie alle Chauffeursnacken, die bei Gelb über die Kreuzung fahren und glauben, sie hätten soeben einen Zipfel des ewigen Lebens erhascht. Ich sinnierte, ob dieses Flüstern eben ein Kuss gewesen sein mochte, und ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich Niklas Svennberg nicht mehr ganz so sympathisch fand. Doch Eva verwickelte mich in ein vertrauliches Gespräch über Opernmusik – eine unserer gemeinsamen Interessen – und die Verärgerung verebbte …
»Wir halten hier an und kaufen für Papa die Abendzeitung!« rief sie, als wir langsam, aber sicher durch eine dieser schwedischen Ortschaften rollten, die aus nichts als einer Straße und einem Zeitungskiosk mit zwei pestgelben Schlagzeilenplakaten zu bestehen scheinen.
Als das gescheite Mädchen zurückkehrte, hatte es auch das Svenska Dagbladet dabei, das ich nicht hatte lesen können, weil ich mit Packen beschäftigt gewesen war und es nicht mehr im Gepäck hatte unterbringen können.
Ich schlug die Zeitung auf und hatte den gestrigen Tag von neuem vor Augen.
In Asien wurden Bomben geworfen, in Afrika wurde geschossen, und in Amerika wurde demonstriert.
In Schweden wurde sich Gott sei Dank mit Redenhalten begnügt.
Der Chef der neu eingerichteten Polizeibehörde hatte sich folgendermaßen interviewen und fotografieren lassen: Von der Höhe seiner dreispaltigen Äußerungen blickte der Generaldirektor Arvid Västermark auf mich herab. Er war so nonchalant und volksnah am Schreibtisch aufgestellt worden, wie Fotografen höhere Beamte heutzutage gern ablichten. Grauweißer Wuschelkopf, mageres, faltiges Gesicht und ein drahtiger Rumpf, der in Beine von harmonischen Proportionen überging.
Ich versuchte mich zu entsinnen, was ich über die Polizeibehörde und Generaldirektor Västermark gehört hatte.
Linksorientierte Elemente innerhalb und außerhalb der Regierungspartei hatten lange und lautstark gefordert, die Polizei müsse stärkerer offizieller Kontrolle unterstellt werden. Die Regierung hatte es vor den Wahlen für angebracht gehalten, dem Wunsche zu entsprechen und ab dem I. Juli die Polizeibehörde eingerichtet, einen bürokratischen Überbau für die rein polizeilichen, fahndenden Kräfte. Die Behörde, der also die Aufgabe oblag, die Kontrollierenden zu kontrollieren, fiel nicht groß aus, aber ein Generaldirektor, ein Bürovorsteher, zwei Bürosekretärinnen und drei Assistenten hatten dennoch ihren Lebensunterhalt gefunden.
Zum Generaldirektor berufen und ernannt wurde Arvid Västermark, 60 Jahre alt, bis dato Herausgeber einer der größeren parteieigenen Provinzzeitungen. Seine größte Qualifikation für die neue Beschäftigung war, sofern ich den Staatsminister richtig verstanden hatte, nicht die administrative Tauglichkeit oder das Organisationstalent, sondern die unveränderte Auflagenhöhe seiner Zeitung »Arbetarkraft«. (Vor Ort hatte sie nur einen Konkurrenten: »Kristliga Dagbladet«.) »Arbetarkraft« führte seit langem in der Auflagenhöhe mit einigen hundert Exemplaren und kam demzufolge nicht in den Genuss der staatlichen Presseförderung, die nur dem Blatt zuteil wird, das die niedrigsten Verkaufszahlen vorzuweisen hat. »Arbetarkraft« fuhr demzufolge ein kräftiges Defizit ein, und die Gewerkschaft und die Partei wurden es allmählich müde, es zu subventionieren, und beschlossen, »Arbetarkraft« müsse um jeden Preis die Position als die Zeitung mit der geringsten Verbreitung am Ort erobern. Der Staatsminister hatte mir von dem darauf folgenden makaberen Auflagenstreit im Zeitalter der Presseförderung berichtet.
Die Auflage musste sinken, das war beschlossene Sache. Doch das war kein leichtes Unterfangen. Eine Zeitung hat ihre Leser fest im Griff, und Arvid Västermark hatte nach dreißig Jahren publizistischer Tätigkeit alle Leser abgeschüttelt, die Aufklärung, Information oder Zerstreuung forderten. Übrig blieb ein harter Kern von Gewohnheitslesern, die der Chefredakteur in tödlicher Umklammerung festhielt.
Die Partei legte indessen in einem geheimen Rundschreiben zweihundert für ihre unverbrüchliche Loyalität zu Gewerkschaft und Partei bekannten Abonnenten nahe, ihr Abonnement zu kündigen.
Sie gehorchten – nur um dann heimlich Einzelnummern zu kaufen.
Vom Kiosk am Bahnhof konnte man sie nach Hause schleichen sehen, »Arbetarkraft« in bunte Wochenblätter oder pornographische Magazine eingeschlagen. Die Partei konnte dennoch die Kioskdame, ein altes Mitglied der Arbeiterbewegung, dazu veranlassen, diese Süchtigen vom Kauf auszuschließen und »Arbetarkraft« nur noch gegen Vorlage des Ausweises zu verkaufen. Jetzt konnte man erleben, wie sich gestandene Mannsbilder in ordentlicher Kleidung und mit gesunder Gesichtsfarbe auf dem Bahnhofsgelände herumdrückten und Minderjährige und alkoholisierte Fremde dazu verführten, gegen Barzahlung am Kiosk einen Kauf zu tätigen. Als auch dieser Handel unterbunden wurde, reisten die zutiefst Geknickten in angrenzende Ortschaften, wo sie sich im Schutz ihrer Anonymität mit diesem Druckerzeugnis eindecken konnten. Nach ihrer Rückkehr entstanden Schmugglernester, und kurz danach konnte man beobachten, wie die schwersten Süchtigen in Parkanlagen, Versammlungshäusern und kommunalen Einrichtungen offen und ungeniert ihre Ware genossen.
Nach einem halben Jahr stellte man fest, dass »Arbetarkraft« noch immer einen Vorsprung von hundert Exemplaren vor dem Konkurrenten »Kristiliga Dagbladet« hatte. Dieses Blatt erwirtschaftete ungeachtet seiner staatlichen Unterstützung ein kräftiges Defizit. Die Verluste wurden von den Gesellschaftern gedeckt, die, gestärkt von Gebet, Kirchenliedern und dem allgemeinen moralischen Verfall, stets zu neuen Opfern bereit waren. Dünn war die Zeitung, und schwer war das Fördergeld, aber es war ein Martyrium für unsere Zeit, ein Martyrium auf Morgenkaffeeniveau. Die Zahl der christlich Gesinnten war aus vielen guten Gründen nicht im Ansteigen begriffen, so dass neue Leser selten hinzukamen. Doch die alten starben auch nicht so häufig. (Unter Unparteiischen kursierten zwei Theorien: Der Glaube stärkte und bewahrte, und Gott wehrte sich.) Und traten sie wirklich einmal – und immer mit auffälligem Widerwillen – in eine bessere Welt ein, hatten sie ihr Abonnement den Nachkommen übertragen, begleitet von einem Lächeln, das einige für unschuldig, andere für hintersinnig hielten.
Die Partei befand die Situation am Ende für so unerträglich, dass man einen jungen Ombudsmann in die Redaktion von »Arbetarkraft« schickte mit dem Auftrag, die Zeitung von innen zu bearbeiten, so dass auch die abgebrühtesten Leser dieses Blattes es