Der Kaperschiffer vor hundert Jahren. Фредерик Марриет
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Es fügte sich, dass ich nicht nur in denselben Saal, sondern auch neben ihren Sohn zu liegen kam; denn ich musste das Bett suchen, da mir die freudige Aufregung über die Wiedereroberung unseres Schiffs und die Anstrengung, welche mich die Zerarbeitung der Franzosen gekostet hatte, schlecht bekommen waren. In Folge davon erlag ich einem Fieber, das mir bitter zusetzte; die Frauensperson aber freute sich über meinen Schmerz und verhöhnte mein Stöhnen, bis ihr endlich der Wundarzt bedeutete, sie habe es als grosse Gunst zu betrachten, dass ihr Sohn, statt in’s Gefängniss, nach dem Hospital gebracht worden sei; wenn sie sich daher nicht schicklicher benehmen wolle, so werde er Befehl ertheilen, dass sie in Zukunft nicht mehr zugelassen werde. Ueberhaupt solle sie sich fürderhin nicht mehr unterstehen, leidende Mitmenschen in dieser Weise zu quälen, und bei der ersten Beschwerde von meiner Seite werde er Sorge dafür tragen, dass ihr Sohn nach dem Gefängniss gebracht werde, um daselbst seine Kur zu vollenden. Dies brachte sie zur Besinnung. Sie bat um Verzeihung und versprach keinen Anstoss mehr zu geben, hielt aber nur für ein paar Tage Wort; denn als der Wundarzt bei Gelegenheit des Verbandes einen Knochensplitter aus meiner Wunde nehmen musste und ich vor Schmerzen laut hinausschrie, lachte sie hellauf. Diese Rohheit brachte einen meiner Kameraden in hohem Grade auf. Da er sich aber nicht an ihr selbst vergreifen wollte, sondern wohl wusste, wie er sie noch schlimmer verwunden konnte, so zerklopfte er mit der Faust den Kopf ihres im Bett liegenden Sohnes dermassen, dass die kaum verharrschte Wunde wieder aufging.
„Da gibts einen Schmerz, über den du auch lachen kannst, du verteufelte Französin,“ rief er.
Und wohl hatte er Recht, denn der arme junge Mensch musste die Ungezogenheit seiner Mutter mit dem Leben büssen.
Der Wundarzt war sehr zornig über den Uebelthäter, erklärte jedoch der Französin, als sie schluchzend an der Seite ihres Sohnes kniete, sie habe durch ihren eigenen Unverstand und ihre Grausamkeit sich und ihm dieses Loos zugezogen. Ob sie dies einsah, oder ob sie eine Wiederholung fürchtete, weiss ich nicht; so viel aber ist gewiss, dass sie mich nicht mehr quälte. Ja, ich glaube sogar, dass sie im Gegentheil bitterlich litt, als sie bemerkte, dass es mit mir rasch der Besserung zuging, während die ihres Sohnes gar nicht vorwärts rücken wollte. Endlich waren meine Beschädigungen geheilt und ich verliess den Spital mit der Hoffnung, sie nie wieder zu sehen.
Viertes Kapitel.
Ich segle in der Sally und Kitty nach Liverpool aus und gerathe in eine Bö. — Ein Knabe fällt über Bord und ich ertrinke beinahe im Versuche, ihn zu retten. — Besuch bei dem Rheeder zu Liverpool. — Ich schiffe mich in dem Dalrymple nach der afrikanischen Küste ein und lange vor dem Senegal an.
Da wir viel Prisengeld anzusprechen hatten, so besuchte ich den Agenten zu Port-Royal, um einen Vorschuss zu erhalten, setzte aber denselben durch meine Forderung in nicht geringe Verlegenheit. Da Kapitän Wheaterall und so viele von den Offizieren gefallen waren, so wusste er kaum, ob diejenigen, welche sich an ihn wandten, zu Prisengeld berechtigt waren, oder nicht. Mochte er nun mein Aussehen für ehrlicher halten, als das der Uebrigen, oder hatte er einen andern Grund dafür — genug, er ersuchte mich, da ich von sämmtlichen Vorgängen unterrichtet sei, eine Weile bei ihm zu bleiben, und als er fand, dass ich gut lesen und schreiben konnte, musste ich ihm eine richtige Liste der Mannschaft sammt den Namen derjenigen, welche gefallen waren, desgleichen die Angaben über die näheren Umstände aufzeichnen. Ich konnte ihm jede erforderliche Auskunft, wie auch beziehungsweise Stellung der Einzelnen mittheilen, denn es hatten sich schon bei mehreren Gelegenheiten Kaper-Matrosen bei ihm eingefunden, die sich für Unteroffiziere ausgaben, während sie an Bord doch nur als Gemeine gedient hatten — eine Täuschung, durch die sie ihn bewogen, grössere Vorschüsse auszuzahlen, als sie überhaupt im Ganzen zu fordern hatten.
Sobald er seine Liste gehörig in Ordnung gebracht hatte, fragte er mich, ob ich nach England zu gehen gedenke; in diesem Falle wolle er mir alle Papiere und Dokumente an den Rheder zu Liverpool mitgeben, da derselbe meines Beistandes bedürfen könnte, um die Rechnungen zu bereinigen. Weil ich damals das Kaperleben übersatt hatte, so willigte ich ein. Ich war von meinen Wunden und Beschädigungen völlig hergestellt und verbrachte nach meinem Austritt aus dem Spital ein paar Monate recht angenehm. Jetzt aber schiffte ich mich in dem Westindienfahrer, die Sally und Kitty genannt, nach Liverpool ein. Der Commandeur des Schiffs hiess Kapitän Clarke und war ein sehr leidenschaftlicher Mann.
Wir waren noch keine zwölf Stunden zur See, als wir von einer Bö befallen wurden, die mehrere Tage anhielt und uns diese ganze Zeit unter dichtgerefften Mars- und Sturmstagsegeln erhielt. Der Sturm machte uns eine volle Woche zu schaffen und warf berghohe Wellen auf, die übrigens lang und regelmässig waren. Am siebenten Tage legte sich der Wind, aber die See ging noch immer hoch. Gegen Abend wehte nur eine ganz leichte Brise; aber jetzt trat ein Vorfall ein, welcher mich beinahe das Leben gekostet hätte, wie Ihr selbst zugeben werdet, Madame, wenn ich Euch die Geschichte erzähle. Während der Hundewache zwischen Sechs und Acht, als eben einige Matrosen im Fockmars zu thun hatten, die andere Wache beim Nachtessen sass und der Kapitän mit sämmtlichen Offizieren in der Kajüte war, hörte ich vom Steuer aus, bei dem ich stand, eine Stimme meinen Namen rufen, die augenscheinlich von dem Meere herkam. Ueberrascht eilte ich nach der Seite des Schiffes und sah einen jungen Menschen, Namens Richard Pallant, hinten vom Schiff im Wasser schwimmen. Er war aus den Fock-Puttingen gefallen und hatte mich um Hülfe angerufen, weil er wusste, dass ich mich am Steuer befand. Ich rief augenblicklich sämmtliche Matrosen auf und machte ihnen die Mittheilung, dass Jemand über Bord gefallen sei. Der Kapitän eilte mit allen Andern auf’s Verdeck und befahl das Steuer leewärts zu stellen. Das Schiff drehte sich, fiel dann ab und trieb schnell vor der Welle hin, bis wir es endlich zum Beiliegen gebracht hatten.
Der Kapitän, obschon sonst ein entschlossener Mann, war sehr bestürzt und verwirrt über die Gefahr des Knaben, denn die Verwandten desselben waren reiche Leute zu Ipswich und hatten ihn seiner besondern Obhut vertraut. Er rannte hin und her, laut hinaus wehklagend, dass der Knabe umkommen müsse, denn der Wellenschlag sei so hoch, dass er es nicht wagen dürfe, ein Boot auszusetzen, weil es eine solche See nicht auszuhalten im Stande sei; wenn aber das Boot mit der Mannschaft zu Grunde gehe, so blieben ihm nicht Leute genug an Bord, um das Schiff nach Haus zu bringen. Da der junge Mensch keine hundert Ellen vom Schiffe ab schwamm, so deutete ich auf die Möglichkeit hin, ihn durch Schwimmen mit der Tieflothleine zu erreichen; diese werde stark genug sein, um sowohl den Verunglückten, als den, der die Rettung versuche, an Bord zu ziehen. Kapitän Clarke wurde darüber sehr aufgebracht, erklärte mit einer Betheurung, dass dies unmöglich sei, und fragte mich, wer zum Teufel denn gehen werde. Aergerlich über eine solche Antwort und von dem Verlangen beseelt, dem Knaben das Leben zu erhalten, erbot ich mich selbst zum Versuch. Ich entkleidete mich, befestigte die Leine um meinen Leib und sprang über die Schiffsseite in’s Wasser. Aber das Tau war neu und steif im Bug, so dass es nicht fest um mich anschloss; es entschlüpfte mir daher und ich schwamm durch, konnte es übrigens noch mit den Füssen erfassen und dadurch festmachen, dass ich den einen Arm und den Kopf durch die Schlinge zog. In Folge der Tragkraft des Wassers in diesen Breiten wurde mir das Schwimmen leicht, und ich hielt gerade auf den Unglücklichen ab, hatte aber kaum die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sich die Leine an Bord plötzlich verfing und mich rücklings unter das Wasser zerrte. Ich erholte mich bald wieder und griff auf’s Neue aus. Mittlerweile aber hatte man, um die Leine an Bord loszumachen, einige der verwirrten Theile durchschnitten und in der Verwirrung der Hast den unrechten Strang getroffen, so dass das Ende über Bord ging und das halbe Tau an meinem Leibe hing, während das andere trifftig vom Schiff niederfiel. Man rief mir augenblicklich zu, ich solle umkehren; aber vor dem Rauschen der Wellen konnte ich kein Wort verstehen, und ich glaubte daher, dass man mich zum Fortfahren ermuntere. Ich antwortete mit einem Hurrahruf, um das Vertrauen an den Tag zu legen, das ich zu mir selbst besass. Mit Leichtigkeit kam ich über die Wellen vor mir weg, obschon es dabei nur langsam vorwärts ging und ich den Knaben nur in Zwischenräumen, wenn ich mich auf der Höhe der Woge befand,