Christines Weg durch die Hölle. Robert Heymann

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Christines Weg durch die Hölle - Robert Heymann

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Christine mitten im Raume steht. —

      „Immer enger wurde die Umklammerung der Roten. Es ging noch so, als wir durch das Gebiet der Donkosaken marschierten — obgleich auch die Kosaken damals noch nichts von uns wissen wollten. Inzwischen sind sie ja alle längst unter Denekin gegen die Roten mobilisiert. Aber erst, als die Eiswüste uns umfing, als wir Bauerndorf um Bauerndorf mit der Waffe in der Hand nehmen mussten, ohne Proviant, verzweifelt, halb erfroren ... da erst kam uns das ganze Elend zu Bewusstsein. Die Roten sandten ihre Späher vor uns her. Die logen die Bauern an, hetzten sie gegen uns auf, und wo uns etwa die Bauern nicht Widerstand leisten wollten, da waren schnell ein paar bolschewistische Helfershelfer gefunden, die diesen Widerstand erzwangen. Auch die deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen wurden von den Roten bewaffnet. Wenn wir ankamen, wurden wir mit Feuer empfangen. Dorf für Dorf, Gräfin, es war ein Jammer! Wir konnten die Waffen keine Stunde ablegen. Hinter uns die Roten, vor uns die Bauern. Es gab keine Wahl! Wir stürmten Dorf um Dorf und massakrierten die Verteidiger. Und fanden immer weniger Lebensmittel. So erreichten wir Jekaterinodar. Kornilow beschliesst, die Stadt zu stürmen. Wir sind kaum ein paar tausend Mann und haben einen unabsehbaren Zug von Verwundeten und Kranken, die wir mitschleppen. Ein Elend! Ein Kampf entbrennt, unbeschreiblich! Wir haben schreckliche Verluste. Kornilow beugt sich eben über seine Generalstabskarte, da schlägt eine Granate ein und zerschlägt ihm Arm und Bein.

      Eine Stunde später war er tot. Die Soldaten durften es nicht erfahren. Sie waren schon in die Strassen der Stadt eingedrungen. Man kämpft um die Häuser, um die Vorstadt, um jeden Stein. Wir müssen wieder heraus — zurück in die Steppe! Müssen die Kranken und Verwundeten und die Pflegeschwestern zurücklassen!

      In der Steppe senken wir den toten General in die gefrorene Erde. Wieder endlose Flucht durch das weisse Russland. Und endlich, dezimiert, ein Häuflein armseliger Offiziere, erreichen wir wieder das Gebiet der Donkosaken und sind gerettet.“

      Christine ist auf einen Schemel gesunken. Starrt den Erzähler mit weitaufgerissenen Augen an: „Aber nun! Nun hat Denikin doch die Hilfe der Engländer und Franzosen und Griechen! Auch die Deutschen in Nikolajew stehen zu ihm!“

      Hauptmann Odojewskij schweigt. Sein gepflegtes Gesicht, das kleine, schwarze Bärtchen auf der vollen Oberlippe möchten seine Heldengeschichten Lügen strafen. Aber er hat die Wahrheit gesprochen. Mond und Schnee scheinen durch das zerbrochene Fenster.

      „Ach, wären wir in Sibirien oder im Kaukasus,“ seufzt Christine. Alexeij schaut ihr erstaunt zu, wie sie einen Kienspan entzündet. „Wir haben kein Licht mehr,“ sagt sie mit einem hilflosen Lächeln — „auch keine Kerzen! — Ja, Hauptmann Odosewskij, mein Mann und ich, wir leben hier unter trostlosen Verhältnissen. — Es ist die Heimat, ja, aber keine Zeitungen — die Bauern rund herum reden viel ... man weiss nicht ... ist Koltschak wirklich Oberkommandierender in Sibirien?“

      „Ja. Er hat einen Tag vor Weihnachten — letztes Jahr — Perm eingenommen — bereitet jetzt cine neue grosse Offensive vor ... im Frühjahr soll der Marsch nach Moskau beginnen ...“

      Er lacht kurz, sonderbar, seine Augen kleben an ihrer rührenden Gestalt. Ihre Zöpfe hängen mädchenhaft über ihre Schultern. Das schwelende Licht fällt auf ihren dichten Scheitel und taucht ihre forschenden Augen in geheimnisvolles Zwielicht. —

      „Wie ist es denn aber überhaupt möglich, dass ich Sie hier noch finde, Gräfin?“

      „Sehr einfach! Ich habe den Grafen Kusmetz geheiratet ... wir zogen hierher auf seine Güter.“

      „Den Revolutionär ...“

      „Er war kein Revolutionär. Er ist unschuldig nach Sibirien geschickt worden. Sie wissen es so gut wie ich. Aber die Bauern haben es ihm nicht vergessen, dass er einst für sie eintrat. Dass er keine Herrenrechte geltend machte wie die anderen Gutsbesitzer rundum, die alle ausnahmslos flüchten mussten. Die Bauern haben uns nichts zuleide getan, haben eine Abordnung geschickt und uns sagen lassen, sie wollten wohl unser Land aufteilen, aber wir sollten ruhig im Schlosse weiterwohnen, und was wir brauchten, wollten sie uns geben.“

      „Und Sie sind geblieben?“ fragt der Hauptmann mit einem Anflug ehrlicher Bewunderung.

      „Ja! Mein Mann konnte sich nicht von der Heimat trennen!“

      „Ihr Mann!“

      „Sie müssen nicht so sprechen! Auch ich hätte es nicht übers Herz gebracht. Freilich, als alle flohen, als wir den Feuerschein über den Herrenhäusern unserer Nachbarn bald da, bald dort aufleuchten sahen, da klopfte manchmal die Furcht bei mir an — aber Michael vertraut den Bauern.“

      „So lange, bis das Gesindel ...“

      „Es ist kein Gesindel. Sie betreuten uns weiter. Es war rührend. Aber dann — dann kamen die Roten, die Weissen, wieder die Roten, Requisitionen über Requisitionen, und schliesslich der Hunger. Nun haben auch die Bauern nichts mehr. Also können sie uns nichts abgeben.“

      „Sie hungern also, Gräfin! Sie hungern?“

      „Ja. Wir hungern.“

      „Und Michael? Ihr Mann? Wo ist er?“

      „Mein Mann ist über Land! Er versucht, bei einem ehemaligen Leibeigenen seines Vaters etwas aufzutreiben. Wir sind ja nun auch arm. Gewiss habe ich meine Kostbarkeiten gerettet —. Aber hier unter den Bauern sie zu Geld machen, hiesse, die bösen Instinkte wachrufen. Und wenn wir fliehen — wer kann sagen, wie lange das Geld reicht, das wir für den Schmuck erhalten?“

      „Trotzdem sind Sie unermesslich reich,“ sagt der Hauptmann langsam, lauernd. „Sie kennen doch das Geheimnis des Platinlagers.“

      Zum ersten Male lacht Christine leise: „Das Geheimnis des Platinlagers ...“

      „Nun? Man sagt, die Ausnützung würde Milliarden erbringen!“

      „Vater behauptete es. Und ich glaube auch daran. Aber der Sturz des Zaren hat die Verwertung vereitelt. Vater ist nun gestorben.“

      „Aber er hat Ihnen die Pläne vermacht.“

      Sie schweigt. Sein listiges Auge beunruhigt sie.

      Aber er fährt hartnäckig fort: „Verkaufen Sie das Geheimnis an die Entente. Ich bin bereit, zu vermitteln.“

      „An die Entente? Russlands Schätze? Halten Sie mich für eine Verräterin?“

      „Die Entente soll aber Russland aus dem Abgrund des Bolschewismus helfen. Sie selbst sagten ähnliches vorhin — warum also wäre es Verrat, ihr Bodenschätze zur Verwertung zu übermitteln, die doch wieder Russland zugute kämen? Oder glauben Sie, Gräfin, die Engländer sind nach Batum gekommen, weil Idealismus sie getrieben hat? Das russische Petroleum reizt! Und die Franzosen? Die wollten den Italienern zuvorkommen, und die Griecheu wollen Kompensationen.“

      Christine hat sich inzwischen von ihrer ersten Überraschung erholt und antwortet kühl, sie wisse überhaupt nicht mehr, wo sich das Lager befände, und sie wolle nichts mehr damit zu tun haben. Russlands Feinde bleiben Russlands Feinde, auch wenn sie im Sinne des Menschenrechts und der Kultur jetzt dem russischen Volke beistünden. „Übrigens habe ich alles vergessen. Ich habe nicht einmal Michael jemals davon erzählt. Nein, er hat keine Ahnung von der Existenz dieses Platinlagers, von dem ich selber nichts mehr wissen will. Wer hat zu Ihnen davon gesprochen?“

      „Ich erfuhr es von dem damaligen Petersburger Stadtkommandanten. Doch lassen wir das Platinlager!

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