Klara. Dirk Bernemann

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Klara - Dirk Bernemann

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Sickergrube namens Menschheit plötzlich ein Geschöpf entstiegen ist, dessen Einzigartigkeit du nicht leugnen kannst. Ich entschied mich schließlich für ein Running-Sushi in Uni-Nähe, nicht zu schick, nicht zu ranzig.

      Klara kam pünktlich. Und zwar auf die Sekunde. Ich hatte damit nicht gerechnet, ja, fand das Manöver in Bezug auf das, was ich von ihr erwartet hatte, regelrecht irreal, als würde ein Pickup-Artist in einem autonomen Zentrum referieren.

      Ich reagierte entsprechend perplex, setzte, als sie da mit einem Mal vor mir stand, meine Flasche Tsingtao so heftig auf die Tischplatte, dass ein Schwall Schaum herausschoss. Das Bild hatte etwas von vorzeitigem Samenerguss. Jedenfalls war es das erste, woran ich denken musste, während ich die Flasche ein Stück anhob und die kleine Lache vor mir unbeholfen mit den Fingern verrieb.

      Klara lächelte amüsiert. Mein Lächeln wird eher verkniffen gewirkt haben. Auch danach wollte meine Anspannung nicht weichen.

      »Und? Gefällt’s dir?«, fragte ich wie ein Anfänger, nachdem wir der Bedienung unseren Wunsch übermittelt hatten, von der angebotenen Flatrate zu profitieren.

      »Das spielt keine Rolle. Es ist egal, wohin ein Mann dich ausführt. Hauptsache, er trifft überhaupt eine Entscheidung«, sagte Klara, »nichts ist schlimmer als nervige Diskussionen zum Thema wo gehen wir hin

      Ich wollte ihr gerade antworten, wollte charmant-witzig darauf hinweisen, dass ihre Aussage nicht unbedingt den letzten Stand der Emanzipation abbildete, als sie etwas tat, was mich erneut die Fassung verlieren ließ.

      »Hey, was machst du da?«, fragte ich. Dabei sah ich genau, was sie tat. Sie nahm den Belag von einem Thunfisch-Nigiri, den das Laufband gerade an uns vorbeitransportierte, schob sich den Happen genüsslich in den Mund und ließ den Teller mit dem nun nackten Reisklumpen einfach weiterfahren.

      »Shit. Die werden das merken.«

      »Ja, das werden sie. Aber sie werden nicht wissen, wer der Dieb gewesen ist.« Klara lachte auf. In ihren Augen lag eine Mischung aus Übermut und sanfter Herablassung.

      Meine Befürchtung, dass sie das Manöver im Lauf des Abends wiederholen würde, bewahrheitete sich zwar nicht, meinem Appetit half das jedoch nur bedingt auf die Sprünge. Ich ließ die meisten der kulinarischen Köstlichkeiten an mir vorüberziehen und griff stattdessen zum Bier. Dies fiel mir umso leichter, als Klara ebenfalls reichlich trank, und zwar Bier und Sake, ohne dabei allerdings aufs Essen zu verzichten. Es dauerte nicht lange, und die Zahl der Teller, die sich auf ihrer Seite stapelten, überragte die meinige ums Doppelte.

      Obwohl ihre Finger ständig in Bewegung waren, ihr Mund ständig kauen und schlucken musste, hatte sie noch die Muße mich auszufragen.

      »Ich hoffe, du bist kein Veganer.«

      »Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

      »Glück für dich. Ich stehe auf Hackfleisch. Wenn du mir also mal Frühstück ans Bett bringen willst, reicht ’ne Lasagne oder ein Teller Spaghetti Bolognese. Und Kaffee natürlich. Viel Kaffee. Schwarz ohne Zucker.«

      Ich war nicht sicher, ob sie sich über mich lustig machte oder mich auf die Probe stellen wollte. Das Blitzen in ihren Pupillen war genauso wenig zu deuten, wie das feine Spiel ihrer Mundwinkel. Ich versuchte mich meinerseits an einem feinsinnigen Grinsen und beschloss, mich unter keinen Umständen aus der Reserve locken zu lassen.

      Sie wechselte derweil das Thema und wieder gelang es ihr, mich zu überraschen: »Wie sieht’s mit Schallplatten aus? Magst du Schallplatten? Ich habe sicher an die dreitausend.«

      »Vinyl? Unbedingt«, sagte ich, wohlwissend, dass mein Schallplattenspieler schon seit Jahren kaputt und meine Plattensammlung im selben Zeitraum nicht mehr erkennbar gewachsen war.

      Klara gab sich mit meiner knappen Antwort zufrieden und kam unvermittelt auf Haustiere zu sprechen.

      »Ich habe zwei Katzen. Was magst du lieber? Katzen oder Hunde?«

      »Ich glaube, ich mag beides.«

      »Der klassische Feigling.« Sie sah mich herausfordernd an.

      Ich konnte es kaum erwarten, endlich mit ihr allein zu sein. Nach allem, was sich bisher zwischen uns abgespielt hatte, war es völlig ausgeschlossen, dass wir in dieser Nacht nicht miteinander vögeln würden. Und so sagte sie denn auch, kaum dass ich die Rechnung beglichen hatte: »Komm, wir gehen zu dir. Ich will mir ansehen, wie du lebst.«

      Ich hatte keine Einwände.

      In meiner Wohnung war alles ganz einfach. Wir saßen uns auf der zwei mal zwei Meter großen Matratze gegenüber, die mir als Bett diente (eine Couch oder Sessel besaß ich nicht), tranken Dosenbier und rauchten. Klara stellte zwei, drei kluge Fragen zu meinen Büchern, die ich zu beantworten versuchte, ohne mir anmerken zu lassen, wie sehr mir ihr Interesse schmeichelte. Und dann waren wir plötzlich halbnackt und Klara hatte meinen Schwanz in der Hand, während meine Finger von ihrem Bauch und ihren Brüsten Besitz nahmen, ein leicht gewölbter Bauch, die Brüste schwer, mit großen, hellbraunen Brustwarzenvorhöfen und kleinen, harten Nippeln.

      Die Momente davor hat mein Gedächtnis verschluckt. Hatten wir uns geküsst? Hatte einer von uns etwas gesagt, das der andere als Aufforderung verstanden haben mochte? So sehr ich mich auch bemühe, ich finde kein Bild. Vielleicht weil die, die ich gespeichert habe, zu magisch sind. Klaras traumschönes Gesicht; ihre langen Haare, die sie an diesem Tag zu einem Zopf geflochten hatte; ihr einladendes Lächeln. Und über alldem lag keine Angst. All die Fragen, die sonst gern auftauchen – Wird er dir stehen? Wirst du es ihr ausreichend besorgen? Wird sie sich fallenlassen? – nichts davon klopfte diesmal an die Pforten meines Bewusstseins. Es war, als hätten wir schon zigmal miteinander gefickt, und gleichzeitig war es fremd und aufregend.

      Schließlich dieses herausfordernde tu mir weh, kurz nachdem ich ihr meinen Schwanz reingeschoben hatte. Ich hielt einen Moment inne, sagte: »Das kann ich nicht.« Und tat es dann doch.

      Natürlich war ihr Körper zur Gänze rasiert.

      Am nächsten Tag auf dem Dach der Garage sah ich mich außerstande, irgendetwas zu bereuen. Klara dagegen wirkte reichlich unentspannt. Was erzählte sie da von Beziehungen, von Freundinnen? Was hieß optional im Zusammenhang mit dem Begriff zusammenziehen? Warum redete sie überhaupt so viel? Ich entschied, nicht allzu viel darauf zu geben. Sicher nur ein Machtspiel, eine Diven-Nummer. Wir waren uns in der Nacht so nahegekommen, unvorstellbar, dass Klara ein Wiedersehen davon abhängig machen würde, ob und wie ich ihren Fragenkatalog der Marke Bravo Girl beantwortete. Also lächelte ich und blinzelte schweigend.

      Aber das genügte ihr nicht. Sie ließ nicht locker, nervte mich so lange, bis ich an einer Antwort nicht länger vorbeikam. In der Absicht, ihr eine Lektion zu erteilen, beschloss ich, mich unnahbar zu geben.

      »Hör zu«, begann ich also, so lässig wie möglich, »ich habe keine Freundin. Und ich verspüre keinerlei Lust, in absehbarer Zeit etwas an diesem Zustand zu ändern. Da ist das Schreiben, mein Interesse an Politik, an praktischer Politik, Demos und so, du weißt schon, da sind meine Freunde, der Sport, das Nachtleben und und und.«

      »Okay, das war deutlich«, sagte Klara und schnippte ihre halbgerauchte Kippe in den Hof. Dann schwang sie ihre Beine über die Dachkante, ließ sich nach unten gleiten, und weg war sie.

      Ich wartete, versuchte mich mit dem Gedanken zu trösten, dass es immer besser ist, etwas nicht beginnen zu lassen, das mit hoher Wahrscheinlichkeit kein

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