Klara. Dirk Bernemann

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Klara - Dirk Bernemann

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und nicht allzu hart, aber auch nicht so, dass ich nicht hätte reagieren müssen.

      »Du Wichser! Du blöder, dreckiger Wichser! Ich hab gewusst, dass du’s mit mir nicht ernstmeinst«, schrie sie währenddessen.

      Ich zog sie an mich, schlang meine Arme um sie und redete beruhigend auf sie ein.

      Irgendwann gab sie nach, erschlaffte in meiner Umklammerung, aber auf das, was sie von sich gab, hatte diese körperliche Kapitulation keinerlei Einfluss: »Dass du mir das antun konntest. In meinem ganzen Leben bin ich noch nie so beschämt worden. Wie die Alte mich ausgelacht hat, als wir gegangen sind. Wie eine Hyäne hat die ausgesehen.«

      Ich meinte mich zu erinnern, dass die Bedienung uns zum Abschied mit einem fast schon zärtlichen Wohlwollen zugelächelt hatte. Aber das war nicht das einzige Detail, das meinen Verstand zu sprengen drohte. Verdammt, es ging doch um mich selbst, ich war doch den ganzen Abend an meiner Seite gewesen. Wie konnte die Wahrnehmung zweier Menschen, die Wahrnehmung zweier Zeugen desselben Ereignisses derart weit auseinanderliegen? Aber ich wollte, dass wir hier wegkamen. Hatte keine Lust auf weitere Auseinandersetzungen auf der Straße. Nicht, dass am Ende noch irgendwer die Bullen rief. Also riss ich mich zusammen.

      Wieder und wieder beteuerte ich meine Unschuld, führte die Logik ins Feld, pries Klaras Reize, während ich umgekehrt proportional das Äußere der Bardame bis an die Grenzen der Glaubwürdigkeit herabwürdigte (der Herr möge mir diese Sünde verzeihen). Schließlich konnte ich Klara zum Weitergehen bewegen. Und als wir kurz vor meiner Wohnung waren, hatte ich sie soweit. In ihrem Blick lag der erste, zarte Ansatz eines Lächelns.

      »Du bist ein alternder Playboy«, sagte sie, während sie sich von mir Feuer geben ließ. »Du bist schwanzgesteuert.«

      Ich ließ das so stehen.

       II.

      Ein paar Tage später lud mich Klara zum ersten Mal in ihr Zuhause ein, eine Zwei-Zimmer-Erdgeschosswohnung in der Bernhard-Nocht-Straße. Sie hatte tatsächlich eine riesige Plattensammlung, eher fünf- als dreitausend Stück, darunter hunderte Singles. Aber auch Bücher gab es reichlich, wie ich schnell feststellen durfte, während mich Klara durch die Räume führte. Sie lagerten überall: im Flur, in den Fensterbänken, neben dem Bett. Auf dem Bett lagerten zwei Katzen, beide mit sehr kurzem, schwarzem Fell, die eine zierlich, die andere etwas kräftiger.

      »Das sind Mickey und Mallory«, sagte Klara.

      Ich streckte die Hand aus, um der Zierlichen, die doch nur Mallory sein konnte, über den Kopf zu streichen und erntete ein Fauchen.

      Klara lachte.

      »Nimm’s nicht persönlich. Sie mag prinzipiell keine Intellektuellen.«

      Nachdem die Vorstellungsrunde dergestalt vollzogen worden war, gab es Bulletten (angereichert mit kleingeraspelten Gurken und Knoblauch), Bier (für mich), Rotwein (für Klara) und Campari (für uns beide). Bald schon gab es (leider) auch wieder Streit.

      Ich hatte mir die dritte Bullette einverleibt und wurde, wie fast immer, wenn jemand etwas Gutes für mich gekocht hat, von einem Mix aus Trägheit und Sentimentalität regiert. Mir selbst gelingt noch nicht mal Rührei. Es kam daher aus tiefstem Herzen, als ich sagte: »Das war geil. Ein fast schon religiöses Erlebnis. Solche Momente finden in meinem Leben viel zu selten statt.«

      Klara reagierte auf dieses Kompliment erst seltsam schmallippig. Dann brach es aus ihr heraus: »In deinem Leben? Was heißt denn das, in deinem Leben? Gehöre ich nicht dazu? Bin ich nicht deine Freundin?«

      Dritten gegenüber hätte ich Klara zu diesem Zeitpunkt sicher nicht so vorgestellt, aber das spielte in dem Moment keine Rolle.

      »Natürlich bist du meine Freundin«, versuchte ich sie zu beruhigen.

      »Dann behandle mich auch so. Und nicht wie jemanden, den du nach Belieben kommen lassen und wieder wegschicken kannst.«

      Nun war es an mir, mich aufzuregen: »Warte mal, die Tatsache, dass wir, äh, zusammen sind, kann doch nicht bedeuten, dass ich kein eigenes Leben mehr habe.«

      »Natürlich haben wir beide ein eigenes Leben«, entgegnete Klara, »eins, das wir mit dem anderen teilen

      Die gute Stimmung war erst mal dahin. Ich war perplex, natürlich auch verängstigt, und wütend sowieso. Klara schmollte und rauchte Kette. Im Bett landeten wir trotzdem wieder.

      Kurze Zeit später begann das mit den anonymen Briefen. Ob Klara dahintersteckte, habe ich nie herausfinden können. Zu ihr gepasst hätte es. Aber ich greife einmal mehr vor. Vier oder fünf Tage nach unserer Auseinandersetzung erreichte mich jedenfalls ein Schrieb ohne Absender. Der Inhalt ein kopierter Wikipedia-Artikel zum Thema Todsünden. Zwei der sieben für das Laster verantwortlichen Charaktereigenschaften waren mit rotem Filzstift unterstrichen: nämlich Superbia, also Hochmut, und Luxuria, gemeinhin mit Wollust übersetzt. Zuerst dachte ich an einen religiösen Spinner, dem durch Zufall eins meiner Bücher in die Hände gefallen war. Nur: Wo hatte der Irre meine Postadresse her? (Die Spacken, die mir normalerweise zusetzten, zumeist Rechtsradikale, meldeten sich stets über Facebook oder einen ähnlichen Kanal.) Und dann kam mir für eine Millisekunde der Verdacht, dass Klara hinter der Sache stecken könnte. Natürlich verdrängte ich das sofort wieder. Erzählen konnte ich ihr erst recht nicht davon. Was schon bezeichnend ist. Denn normalerweise sprichst du doch mit dem Menschen, der dich gefangen hält, auch und gerade über diese Dinge.

      Aber das Übersehen des Wesentlichen ist ja das Wesen der meisten zwischenmenschlichen Beziehungen. Und es lief gut zwischen Klara und mir in den nächsten Wochen (auch und gerade, weil ich die Ahnung, dass ich sehenden Auges ins Verderben lief, konsequent ignorierte). Hätte ich das durch kleinliches Misstrauen kaputtmachen sollen?

      Wir trafen uns von nun an fast täglich, unternahmen, weil der August ungewöhnlich heiß daherkam, nicht selten Ausflüge ins Umland. Klara fuhr, ich griff ihr zwischen die Beine. Sobald sie feucht genug war, hielten wir an und trieben es auf der Motorhaube oder im ausgedörrten Gras. Eine dieser Fahrten führte uns an einem Erdbeerfeld vorbei. Selber pflücken, so viel du willst, und danach den Betrag, den du für angemessen hältst, in eine Metallbox werfen.

      »Lass uns welche mitnehmen«, sagte Klara und bog, ohne meine Antwort abzuwarten, in die Auffahrt ein.

      Wir füllten einen der bereitgestellten Körbe, wobei die Hälfte dessen, was wir sammelten, bereits in unsere Münder wanderte.

      Als wir uns der Bezahlbox näherten, friemelte ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche. Klara schenkte mir ein neckisches Lächeln und packte mich am Unterarm.

      »Du bist so ein Spießer«, sagte sie und zog mich mit sich.

      Anlass für die darauffolgende Meinungsverschiedenheit waren allerdings nicht die unbezahlten Erdbeeren, sondern (unbezahlte) Blumen.

      »Ich bekomme für mein Leben gern Blumen geschenkt«, sagte Klara, während sie beschleunigte »vor allem zum Geburtstag. Ein Geburtstag ohne Blumen geht gar nicht.«

      »Tja«, entgegnete ich, »ich verschenke schon gern mal Blumen. Aber nie zu Geburtstagen. Einfallsloser geht’s ja nicht.«

      »Heißt das, dass ich zu meinem nächsten Geburtstag keine Blumen von dir bekomme?«

      »Genau.« Ich lächelte vergnügt und schob mir eine besonders dicke Erdbeere zwischen die Lippen.

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