Zu Vermieten. John Galsworthy
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Читать онлайн книгу Zu Vermieten - John Galsworthy страница 16
Solche Unterhaltungen mit seinem Sohn hatten Jolyons Zweifel bekräftigt, ob die Welt sich überhaupt verändert hatte. Die Leute sagten, es sei ein neues Zeitalter. Mit der Tiefgründigkeit eines Menschen, dem nicht allzu viel Zeit für irgendein Zeitalter blieb, erkannte Jolyon, dass die Ära unter leicht veränderten Oberflächen noch immer genau dieselbe war. Die Menschheit war noch immer in zwei Arten unterteilt: die wenigen, denen Nachdenklichkeit und Fantasie gegeben war, und die vielen, denen das nicht gegeben war, und dazwischen eine Schicht von Mischlingen wie ihm selbst. Jon schien Nachdenklichkeit und Fantasie gegeben zu sein, sein Vater hatte den Eindruck, dass das nichts Gutes verhieß.
Deshalb hatte er mit etwas Tieferem als seinem üblichen Lächeln den Jungen vor zwei Wochen sagen hören: »Ich möchte es mit Landwirtschaft versuchen, Papa, wenn es dich nicht zu viel kostet. Das scheint wohl die einzige Art zu leben zu sein, die niemandem schadet, abgesehen von Kunst, und die kommt für mich natürlich nicht in Frage.«
Jolyon unterdrückte sein Lächeln und antwortete: »In Ordnung, dann sollst du also dorthin zurückkehren, wo der erste Jolyon 1760 angefangen hat. Das wird die Theorie beweisen, dass alles ein Kreislauf ist, und außerdem könntest du zweifelsohne bessere Rüben hervorbringen als er.«
Ein wenig enttäuscht hatte Jon geantwortet: »Aber hältst du das denn nicht für einen guten Plan, Papa?«
»Er passt schon, mein Junge, und wenn du wirklich Gefallen daran finden solltest, dann wirst du damit mehr Gutes tun als die meisten Menschen, was wenig genug ist.«
Sich selbst hatte er jedoch gesagt: Aber er wird keinen Gefallen daran finden. Ich gebe ihm vier Jahre. Gesund ist es trotzdem, und harmlos.
Nachdem er über die Sache nachgedacht und mit Irene darüber gesprochen hatte, schrieb er seiner Tochter Holly und fragte, ob sie einen Landwirt in ihrer Nähe in den Downs kannten, bei dem Jon in die Lehre gehen könnte. Hollys Antwort war enthusiastisch gewesen. Es gäbe einen hervorragenden Mann ganz in der Nähe, sie und Val würden sich sehr freuen, wenn Jon bei ihnen wohnen würde.
Der Junge sollte morgen abreisen.
Während er an seinem schwachen Tee mit Zitrone nippte, blickte er durch die Blätter der alten Eiche auf die Aussicht, die ihm seit zweiunddreißig Jahren ersehnenswert schien.
Der Baum, unter dem er saß, schien nicht einen Tag älter! So jung die kleinen goldbraunen Blätter, so alt das Weiß-Grau-Grün seines dicken, rauen Stamms. Ein Baum der Erinnerungen, der noch hunderte Jahre länger weiterleben würde, wenn ihn nicht irgendein Barbar fällte – er würde noch das Ende des alten Englands erleben, so schnell, wie die Dinge sich entwickelten! Er erinnerte sich an eine Nacht vor drei Jahren, als er, den Arm eng um Irene geschlungen, aus seinem Fenster hinausgesehen und ein Deutsches Flugzeug beobachtet hatte, das direkt über dem alten Baum zu schweben schien. Am nächsten Tag hatten sie auf einem Feld von Gages Farm einen Bombenkrater entdeckt. Das war, bevor er von seinem Todesurteil wusste. Er wünschte fast, die Bombe hätte ihn getötet. Das hätte ihm das Warten erspart, viele Stunden kalter Angst in der Magengrube. Er hatte damit gerechnet, das übliche Forsyte-Alter von fünfundachtzig oder mehr zu erreichen, wenn Irene siebzig sein würde. Unter den jetzigen Umständen würde sie ihn vermissen. Doch immerhin gab es noch Jon, der in ihrem Leben wichtiger war als er, Jon, der seine Mutter vergötterte.
Unter jenem Baum, wo der alte Jolyon – als er darauf wartete, dass Irene über den Rasen zu ihm käme – seinen letzten Atemzug getan hatte, kam Jolyon der komische Gedanke, ob er nicht besser jetzt, wo er alles in perfekte Ordnung gebracht hatte, seine Augen schließen und davonziehen sollte. Es hatte etwas Würdeloses, sich so parasitär an das untätige Ende eines Lebens zu klammern, in dem er nur zwei Dinge bereute – den langen Bruch zwischen seinem Vater und ihm, als er jung war, und dass er und Irene so spät zueinander gefunden hatten.
Von seinem Platz aus konnte er eine Gruppe blühender Apfelbäume sehen. Nichts in der Natur bewegte ihn so sehr wie blühende Obstbäume, und plötzlich schmerzte sein Herz, denn er würde sie vielleicht nie wieder in Blüte sehen. Frühling! Es sollte doch wirklich niemand sterben müssen, wenn sein Herz noch jung genug war, um Schönheit zu lieben! Amseln sangen unbekümmert in den Sträuchern, Schwalben flogen hoch, die Blätter über ihm glänzten, und über den Feldern lag jede nur vorstellbare Schattierung frühen Blattwerks, das im gleichmäßigen Sonnenlicht leuchtete, bis hin zu dem fernen Blau des Rauchbuschs, das sich entlang des Horizonts erstreckte.
Irenes Blumen in den schmalen Beeten hatten an jenem Abend eine erstaunliche Individualität, kleine, dunkle Botschafter des heiteren Lebens. Nur chinesische und japanische Maler, und vielleicht Leonardo, hatten sich darauf verstanden, dieses erstaunliche kleine Ego in jede gemalte Blume zu übertragen, und in jeden Vogel, jedes Tier – das Ego und zugleich die Artenzugehörigkeit und die Vielseitigkeit des Lebens. Das waren die wahren Könner! Ich habe nichts geschaffen, das weiterleben wird!, dachte Jolyon, ich war immer ein Amateur – ein bloßer Liebhaber, kein Schöpfer. Immerhin hinterlasse ich Jon, wenn ich gehe. Was für ein Glück, dass der Junge nicht in diesen entsetzlichen Krieg involviert gewesen war! Er hätte darin so leicht sterben können, wie der arme Jolly vor zwanzig Jahren in Transvaal. Jon würde irgendwann schon eine Beschäftigung finden – wenn die Zeit ihn nicht verdarb – ein fantasievoller Junge! Sein plötzlicher Einfall, Landwirt zu werden, war nur eine momentane Gefühlssache und würde kaum von Dauer sein. Und genau in dem Moment sah er sie über das Feld heraufkommen: Irene und den Jungen, sie kamen vom Bahnhof, liefen mit eingehakten Armen. Und er stand auf und schlenderte ihnen durch den neuen Rosengarten entgegen …
An jenem Abend kam Irene in sein Zimmer und setzte sich ans Fenster. Dort saß sie wortlos, bis er sagte: »Was ist denn, mein Schatz?«
»Wir sind heute jemandem begegnet.«
»Wem denn?«
»Soames.«
Soames! Er hatte jenen Namen in den letzten zwei Jahren aus seinem Kopf verbannt, denn er wusste, dass es ihm nicht guttat, an ihn zu denken. Und nun hatte er ein beunruhigendes Gefühl in seinem Herzen, als ob es in seiner Brust zur Seite gerutscht sei.
Irene sprach ruhig weiter: »Er und seine Tochter waren in der Galerie und danach in der Konditorei, in der wir Tee getrunken haben.«
Jolyon ging zu ihr und legte seine Hand auf ihre Schulter.
»Wie sah er aus?«
»Grau, aber ansonsten noch ziemlich genauso wie früher.«
»Und seine Tochter?«
»Hübsch. Zumindest fand Jon das.«
Jolyons Herz rutschte erneut zur Seite. Auf dem Gesicht seiner Frau lag ein angespannter und aufgewühlter Ausdruck.
»Du hast aber nicht –?«, setzte er an.
»Nein, aber Jon kennt ihren Namen. Das Mädchen hat ihr Taschentuch fallen lassen und er hat es aufgehoben.«
Jolyon setzte sich auf sein Bett. Was für ein böser Zufall!
»June war doch dabei. Hat sie euch irgendwie in eine peinliche Situation gebracht?«
»Nein, aber es war alles sehr komisch