Der Sieg des Abendlandes. Christentum und kapitalistische Freiheit. Rodney Stark

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Der Sieg des Abendlandes. Christentum und kapitalistische Freiheit - Rodney  Stark

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eines Fatums geschehe«.68 Während Gott zwar weiß, für welche Handlungen wir uns frei entscheiden werden, greift er doch nicht ein! Es bleibt daher uns überlassen, die Tugend oder die Sünde zu wählen.

      Augustinus’ Ansichten fanden in Generationen christlicher Denker ihren Nachhall. Thomas von Aquin etwa griff sie auf, als er schrieb, dass die Lehre, der zufolge die Menschen eine moralische Wahlfreiheit hätten und Gott dennoch omnipotent sei, keineswegs einen Widerspruch in sich berge: »Ein Mensch kann seine Handlungen seinerseits bestimmen und leiten. Die Kreatur nimmt daher teil an der göttlichen Vorsehung nicht nur, indem sie beherrscht wird, sondern auch indem sie selbst herrscht.«69 Augustinus nahm sogar bereits Descartes’ berühmtes »Ich denke, also bin ich« vorweg,70 etwa in Aussagen wie diesen: »Ohne daß sich irgendwie eine trügerische Vorspiegelung der Phantasie und ihrer Gebilde geltend machen könnte, steht mir durchaus fest, daß ich bin, daß ich das weiß und es liebe. In diesen Stücken fürchte ich durchaus nicht die Einwendungen der Akademiker, die da entgegenhalten: Wie aber, wenn du dich täuschest? Wenn ich mich nämlich täusche, dann bin ich. Denn wer nicht ist, kann sich natürlich auch nicht täuschen; und demnach bin ich, wenn ich mich täusche … Folglich täusche ich mich auch darin nicht, daß ich um dieses mein Bewußtsein weiß. Denn so gut ich weiß, daß ich bin, weiß ich eben auch, daß ich weiß.«71

      Der Gedanke des freien Willens kam zwar ursprünglich nicht von den Christen (Cicero hatte bereits Ähnliches wie Augustinus gesagt72), doch war er für sie viel mehr als eine obskure Angelegenheit der Philosophie. Der freie Wille war vielmehr das Grundprinzip ihres Glaubens. Während die gewöhnlichen Griechen und Römer dem Fatalismus zusprachen, ungeachtet der Vorbehalte mancher ihrer alten Philosophen, lehrte Jesus dagegen, dass jedes Individuum für seine moralischen Fehltritte einstehen und büßen müsse, weil diese eben falsche Entscheidungen darstellten. Es hätte keine zwingendere intellektuelle Gewichtung des Selbst und der Individualität geben können als diese.

       Die Abschaffung der mittelalterlichen Sklaverei

      Der Aufstieg des Individualismus regte nicht nur zur Selbstbeobachtung an, sondern warf auch Fragen bezüglich der Grenzen persönlicher Freiheit auf. Wenn wir Einzelwesen sind, die nach unseren Handlungen beurteilt werden, für die wir uns frei entschieden haben, welche Pflicht hat der Christ dann bezüglich der Handlungsfreiheit eines anderen? Als die Kirchenväter über die Implikationen des freien Willens sinnierten, gerade auch nach dem Fall von Rom, wurde ihnen die Institution der Sklaverei immer zweifelhafter.

      Anders als in asiatischen Sprachen gibt es im Griechischen wie im Latein Wörter für Freiheit, ebenso betrachteten viele Griechen und Römer sich als frei. Jedoch stand ihre Freiheit im Kontrast zu einer Masse von Sklaven, da die Freiheit in antiken Zeiten ein Privileg darstellte, aber kein Recht.

      Platon opponierte gegen die Versklavung der »Hellenen«, also seiner griechischen Landsleute, sah die »barbarischen«, sprich fremdländischen Sklaven wiederum als eminent wichtig für seinen idealen Staat an, da diese in ihm alle produktive Arbeit übernehmen sollten.73 Die Regeln, die Platon für die Behandlung der Sklaven vorsah, waren sogar ganz besonders brutal.74 So glaubte er, dass Menschen nicht durch einen bösen Zufall zu Sklaven würden, sondern dass die Natur selbst »Sklavenvölker« erschaffe, denen durch geistige Unfähigkeit der Weg zu Tugend und Kultur verbaut sei und die allein dienen könnten. Obwohl sie, wie Platon es sah, streng diszipliniert werden müssten, damit keine sozialen Unruhen unter ihnen ausbrachen, so sollten sie doch niemals grausam behandelt werden.75 Aus Platons Testament geht hervor, dass er selbst auf seinem Grundstück fünf Sklaven beschäftigte.

      Aristoteles wiederum lehnte den Standpunkt der Sophisten ab, demzufolge jegliche Autorität auf Gewalt beruhe und sich daher von selbst rechtfertige, da er die politische Tyrannei zu verurteilen suchte. Wie wäre die Sklaverei aber ansonsten zu rechtfertigen? Ohne dass Sklaven sich um die körperliche Arbeit kümmerten, so Aristoteles, hätten die aufgeklärten Männer weder genügend Zeit noch Energie, um sich auf den Weg der Tugend und Weisheit zu begeben. Auch stützte er sich auf Platons biologistische Ansicht, dass die Sklaverei sich schon dadurch rechtfertige, dass dumme Rohlinge sich als Sklaven ungleich mehr anboten, als freie Männer. »Von der Stunde ihrer Geburt an sind manche zur Unterwerfung ausersehen, andere zur Herrschaft.«76 Als er starb, besaß Aristoteles auf seinem Anwesen vierzehn Sklaven.

      Der Niedergang der Sklaverei war in der Spätzeit des römischen Imperiums eine direkte Folge von dessen militärischer Schwäche. Nicht länger wurden dicke Trauben von Gefangenen auf siegreichen Schiffen zu den Sklavenmärkten verschickt. Zudem ging die Geburtenrate unter den römischen Sklaven, die ausgezehrt waren und denen es an Frauen mangelte, steil nach unten. Schließlich führte der Fehlbestand an Sklaven dazu, dass Landwirtschaft und Industrie eine neue Figur entstehen ließen: den freien Lohnarbeiter, auf den sie sich fortan stützten.

      Nach dem Fall von Rom und mit den erfolgreichen Militärfeldzügen der neuen germanischen Reiche wuchs der Sklaverei eine zentrale Rolle in der Produktion zu. Obwohl niemand genau weiß, wie viele Sklaven es in Europa während des, sagen wir, 6. Jahrhunderts gab, so scheinen sie doch in rauen Mengen vorhanden und ihre Behandlung durchweg gröber gewesen zu sein als zu Zeiten der Antike. In den Gesetzbüchern der diversen germanischen Verbünde, die nun anstelle der römischen Statthalter regierten, waren Sklaven nicht mit anderen Menschen, sondern dem Viehbestand gleichgestellt. Nichtsdestotrotz sollte die Sklaverei einige Jahrhunderte später bereits der Vergangenheit angehören.

      Manche Historiker bestreiten, dass der Sklaverei des Mittelalters tatsächlich ein Ende gesetzt wurde – vielmehr glauben sie bloß an eine sprachliche Verschiebung, bei der aus dem Wort »Sklaven« das Wort »Leibeigene« gemacht wurde.77 Doch ist es nicht die Geschichte, die hier linguistische Spielchen spielt, es sind die Historiker. Leibeigene gehörten nicht zum Mobiliarvermögen, sie besaßen Rechte und eine gewisse Privatsphäre. Sie konnten heiraten, wen sie wollten, und ihre Familien durften weder verkauft noch auseinandergerissen werden. Sie bezahlten ihre Miete, verfügten über ihre Zeit und entschieden, wie schnell oder langsam sie eine Arbeit verrichteten.78 Sofern ein Leibeigener, wie es mancherorts geschah, seinem Herrn eine feste Anzahl von Arbeitstagen pro Jahr schuldete, war seine Verpflichtung eben nicht unbegrenzt und eher der eines Leiharbeiters, denn eines Sklaven vergleichbar. Auch waren die Leibeigenen zwar über viele Obliegenheiten an ihre Herren gebunden, diese jedoch auch an sie, ebenso wie an eine höhere Autorität, der sie wiederum unterstanden. Und so ging es die Leiter immer weiter nach oben, denn die Koppelung gegenseitiger Verpflichtungen war ein Wesensmerkmal des Feudalismus.79

      Selbst wenn man nicht behaupten kann, dass die Bauern des Mittelalters im heute gebräuchlichen Sinn frei gewesen wären, so waren sie doch keine Sklaven. Die brutale Institution der Sklaverei war am Ende des 10. Jahrhunderts zur Gänze aus Europa verschwunden. Nun gestehen die meisten heutigen Historiker diesen Umstand zwar ein, doch wollen immer noch die wenigsten wahrhaben, dass das Christentum dafür verantwortlich war. Robert Fossier schrieb etwa: »Die allmähliche Aufhebung der Sklaverei war in keiner Weise das Werk von Christen. Die Kirche legte den Sklaven vielmehr Demut nahe und versprach eine Gleichstellung im Jenseits … Sie hatte keine Gewissensbisse, als riesige Herden von Tieren mit menschlichem Antlitz in der Knechtschaft verblieben.«80 Auch Georges Duby sah die Kirche bei der Aufhebung der Sklaverei gänzlich unbeteiligt: »Das Christentum hat die Sklaverei nicht verurteilt, sondern ihr höchstens einen flüchtigen Knuff verpasst.«81 Man behauptet stattdessen, die Sklaverei sei verschwunden, weil sie unrentabel wurde und einem veralteten Produktionsmodell entsprach.82 Selbst Robert Lopez übernahm diese Sichtweise und behauptete, die Sklaverei sei nur verschwunden, weil durch Erfindungen wie das Wasserrad »die Sklaven nutzlos oder unergiebig« geworden waren.83 So entstand die Idee, dass das Ende der Sklaverei auf keiner moralischen Entscheidung, sondern auf reinem Egoismus seitens der Elite beruht habe. Das gleiche Argument wird angeführt, wenn es um die Abschaffung der Sklaverei in der westlichen

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