Der Sieg des Abendlandes. Christentum und kapitalistische Freiheit. Rodney Stark

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Der Sieg des Abendlandes. Christentum und kapitalistische Freiheit - Rodney  Stark

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aus Technologie besteht. Eine Gesellschaft kann sich nicht deshalb der Wissenschaft rühmen, weil sie in der Lage ist, Schiffe zu bauen, Eisen zu schmelzen oder weil sie das Essen auf Porzellantellern serviert. Die Wissenschaft ist eine Methode, die in organisierten Versuchen benutzt wird, um der Natur einer Sache auf den Grund zu gehen und um sie zu formulieren. Dabei ist sie stets Modifizierungen und Korrekturen durch systematische Beobachtung unterworfen.

      Anders gesagt, besteht die Wissenschaft aus zwei Bausteinen: Theorie und Forschung. Die Theorie ist der erklärende Teil der Wissenschaft. Wissenschaftliche Theorien sind abstrakte Aussagen darüber, warum und wie bestimmte Teile der Natur (einschließlich des menschlichen Gemeinschaftslebens) ineinander passen und funktionieren. Allerdings gehen nicht alle abstrakten Aussagen, und selbst nicht alle erklärenden, als wissenschaftliche Theorien durch. Ansonsten wäre auch die Theologie eine Wissenschaft. Abstrakte Theorien sind vielmehr nur dann wissenschaftlich, wenn man von ihnen einige verbindliche Vorhersagen positiver wie negativer Art darüber ableiten kann, was überhaupt beobachtet werden wird. Und hier kommt die Forschung ins Spiel. Bei ihr geht es darum, Beobachtungen anzustellen, die für die empirischen Vorhersagen relevant sind. Dabei wird klar, dass die Wissenschaft auf Aussagen über die natürliche und materielle Wirklichkeit beschränkt ist – also über Dinge, die zumindest grundsätzlich beobachtbar sind. Aus diesem Grund gibt es auch manche diskursiven Gefilde, die die Wissenschaft überhaupt nicht erreichen kann – etwa die Frage nach der Existenz Gottes.

      Man beachte auch, dass die Wissenschaft eine organisierte, gemeinschaftliche Bestrebung darstellt und nicht auf Zufallsfunden beruht oder in der Abgeschiedenheit stattfindet. Freilich haben manche Wissenschaftler auch allein gearbeitet, jedoch niemals in der Isolation. Seit den ersten Tagen haben Wissenschaftler Netzwerke gegründet und unterhielten durchweg viele Kontakte.

      In Übereinstimmung mit der Ansicht heutiger Historiker und Wissenschaftstheoretiker schließt diese Definition der Wissenschaft alle Versuche aus, die es im Laufe der Menschheitsgeschichte gab, um die materielle Welt zu erklären und zu kontrollieren, selbst solche, die mit dem Übersinnlichen nichts zu tun hatten. Die meisten dieser Bemühungen kann man deshalb aus der Kategorie der Wissenschaft herausnehmen, da bis vor kurzem, wie Marc Bloch sagte, »technischer Fortschritt, selbst großen Ausmaßes, auf bloßer Empirie beruhte«.33 Das heißt, der Fortschritt war das Ergebnis von Beobachtung sowie praktischem Herumprobieren, doch fehlte ihm die Erklärung – die Theorie. Aus diesem Grund stellen die frühen technischen Innovationen aus griechischrömischen Zeiten, der islamischen Welt oder aus China, ganz zu schweigen von solchen aus der Vorzeit, keine Wissenschaft dar und beruhten vielmehr auf überliefertem Wissen, Geschicklichkeit, Weisheit, Technik, Handwerk, Technologie, Ingenieursbegabung, Bildung oder einfachen Kenntnissen. Auch ohne Teleskope waren die Menschen der Antike zu großartigen astronomischen Beobachtungen fähig, doch bevor diese mit nachprüfbaren Theorien verknüpft waren, verharrten sie in der Sphäre bloßer Gegebenheiten. Charles Darwin hat diesen Aspekt anschaulich beschrieben: »Vor dreißig Jahren wurde oft gesagt, dass die Geologen beobachten und nicht theoretisieren sollten; und ich erinnere mich noch gut an jemanden, der meinte, dass man ebenso gut in einer Kiesgrube die Steine zählen und ihre Farben beschreiben könnte. Wie seltsam ist das, dass jemand nicht versteht, dass alle Beobachtung immer für oder gegen eine bestimmte Ansicht sprechen muss, so sie überhaupt von Nutzen sein will!«34

      Was die intellektuellen Errungenschaften der griechischen oder östlichen Philosophen angeht, war ihr Empirismus so a-theoretisch, wie ihre Theorien nichtempirisch. Schauen wir auf Aristoteles. Obwohl er für seinen Empirismus gerühmt wird, hielt er diesen doch von seinen Theorien fern. So lehrte er zum Beispiel, dass die Geschwindigkeit, mit der Objekte auf den Boden fallen, proportional zu ihrem Gewicht sei – dass ein Stein, der doppelt so schwer als ein anderer sei, darum auch zweimal so schnell falle.35 Schon ein Besuch auf den Felshängen in seiner Nachbarschaft hätte ihn eines Besseren belehren können.

      Gleiches lässt sich auch von den anderen berühmten Griechen sagen – entweder sind ihre Werke ausschließlich empirisch oder aber sie erfüllen nicht die Kriterien der Wissenschaft, da es ihnen an Empirie mangelt. Auf diese Weise bleiben sie rein abstrakte Thesen, die keinerlei feststellbare Folgen miteinbeziehen oder die diese sogar ignorieren. Als Demokrit erklärte, dass die gesamte Natur aus Atomteilchen bestehe, bewegte er sich damit keineswegs in Richtung der wissenschaftlichen Atomtheorie. Sein Modell war rein spekulativ und beruhte weder auf Beobachtungen noch auf Empirie. Dass es sich dennoch als richtig herausstellte, ist nicht mehr als ein linguistischer Zufall, der Demokrits Annahme ebenso viel oder wenig Bedeutung zukommen lässt, wie der seines Zeitgenossen Empedokles, als dieser behauptete, die Natur bestehe einzig aus Feuer, Luft, Wasser und Erde, oder Aristoteles’ Variante aus dem Folgejahrhundert, welche besagte, die Natur sei ein Gemisch aus Hitze, Kälte, Trockenheit, Feuchte und Quintessenz. Das Gleiche betrifft Euklid: trotz seiner analytischen Bravour und seines Scharfsinns war er doch kein Wissenschaftler, da sein Steckenpferd, die Geometrie, an und für sich keine Substanz hat und sie bloß einige Aspekte der Wirklichkeit beschreibt, jedoch nicht zu erklären vermag.

      Die echte Wissenschaft erhob sich nur ein einziges Mal: in Europa.36 China, die islamische Welt, Indien und das alte Griechenland hatten zwar ihrerseits die Alchemie entwickelt, doch wurde sie nur in Europa zur Chemie. Analog dazu hatten zwar viele Gesellschaften elaborierte Systeme der Astrologie entwickelt, doch führte nur in Europa die Astrologie zur Astronomie. Warum? Die Antwort darauf hat erneut mit verschiedenen Gottesbildern zu tun.

      In den Worten des großen, wenn auch missachteten mittelalterlichen Wissenschafts-Theologen Nikolaus von Oresme ist die Schöpfung Gottes »ungefähr so wie die eines Menschen, der eine Uhr baut und ihren Gang in der Folge ihr selbst überlässt«.37 Im Gegensatz zu den religiösen und philosophischen Doktrinen der nichtchristlichen Welt entwickelten Christen die Wissenschaft, weil sie glaubten, dass sie entwickelt werden konnte und sollte. Alfred North Whitehead sagte im Rahmen seiner Lowell-Vorlesungen 1925 in Harvard, dass die Wissenschaft in Europa entstanden sei aufgrund des breit gefächerten »Glaubens in die Möglichkeit der Wissenschaft … welcher von der mittelalterlichen Theologie abgeleitet war«.38 Whiteheads Erklärung schockierte nicht nur seine distinguierte Zuhörerschaft, sondern westliche Intellektuelle im Allgemeinen, sobald seine Vorlesungen veröffentlicht waren. Wie konnte dieser große Philosoph und Mathematiker, Bertrand Russells Co-Autor der bahnbrechenden Principia Mathematica (1919–1913), etwas so Obskures behaupten? Wusste er denn nicht, dass die Religion der Todfeind der wissenschaftlichen Untersuchung ist?

      Whitehead wusste etwas viel Besseres. Er hatte verstanden, dass die christliche Theologie für den Aufstieg der Wissenschaft im Westen ganz unerlässlich gewesen war, und ebenso, dass nicht-christliche Theologien das wissenschaftliche Streben überall sonst abgewürgt hatten. Er erklärte: »Der größte Beitrag des mittelalterlichen Geistes zur Wissenschaftsbewegung war der unbezwingbare Glauben, dass … da ein Geheimnis war, ein Geheimnis, das gelüftet werden konnte. Wie kam es, dass diese Überzeugung so tief in den europäischen Geist eingewurzelt war? … Es muss mit der mittelalterlichen Fixierung auf die Vernunft Gottes zu tun gehabt haben, die man sich als persönliche Energie Jahwes verbunden mit der Rationalität eines griechischen Philosophen ausmalte. Jedes Detail wurde überwacht und kontrolliert: die Suche nach den Geheimnissen der Natur konnte nur in einer Bekräftigung des Glaubens an die Vernunft resultieren.«39

      Whitehead schloss mit der Anmerkung, dass die in anderen Religionen zu findenden Gottesbilder, zumal die asiatischen, zu unpersönlich und zu irrational waren, als dass sie die Wissenschaft hätten stützen können. »Gleich welches Geschehnis könnte gerade auch auf den willkürlichen Befehl eines despotischen Gottes zurückzuführen sein« oder einen »unpersönlichen und völlig undurchschaubaren Ursprung haben. Es gibt da nirgends das gleiche Zutrauen in die begreifliche Rationalität eines persönlichen Wesens.«40

      Tatsächlich gehen die meisten nicht-christlichen Religionen sowieso nicht von einer Schöpfung aus: das Universum ist vielmehr ewiglich oder bewegt sich bestenfalls

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