Der Sieg des Abendlandes. Christentum und kapitalistische Freiheit. Rodney Stark

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Der Sieg des Abendlandes. Christentum und kapitalistische Freiheit - Rodney  Stark

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die allerperfekteste angesehen wurde. Als Sammlung apriorisch angestellter Mutmaßungen war Platons Idealismus für die Entdeckung und Erkenntnis lange Zeit ein echtes Hindernis – noch Jahrhunderte später war es sein unerschütterlicher Glaube an ideale Formen, der Kopernikus von dem Gedanken abhielt, dass die Planetenbahn nicht kreisförmig, sondern elliptisch sein könnte.

      In mancherlei Hinsicht ist es seltsam, dass die Griechen überhaupt nach Wissen und Technologie gestrebt haben, da sie die Idee des Fortschritts doch für das Seins-Modell eines endlosen Kreislaufs aufgaben. Platon war immerhin noch der Ansicht, dass das Universum geschaffen wurde. Andere griechische Gelehrte betrachteten es stattdessen als unerzeugt und einfach ewig. Aristoteles verurteilte die Vorstellung, »dass das Universum zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Dasein gekommen ist … als undenkbar«.51 Obwohl die Griechen das Universum als ewig und unveränderlich ansahen, berücksichtigten sie die unübersehbare Tatsache, dass Geschichte und Kulturen sich ständig veränderten, dies aber nur in den Grenzen einer endlosen Wiederholung. In seinem Werk Über den Himmel schrieb Aristoteles, dass »die Menschen die gleichen Ideen nicht ein- oder zweimal haben, sondern immer und immer wieder« und in seiner Politik betonte er, dass alles »mehrfach im Laufe des Weltalters erfunden wurde, oder im Laufe einer Zeit ohne Ziffern«. Da er außerdem in einem Goldenen Zeitalter lebte, war die Technologie auf einem höchsten zu erreichenden Niveau, was weiteren Fortschritt entbehrlich machte. Was Erfindungen betraf, galt auch für Individuen – ein und derselbe Mensch wurde wieder und wieder geboren, während die blinden Zyklen des Universums vor sich hin kreisten. Laut Chrysippos in seinem verschollenen Werk Über den Kosmos lehrten die Stoiker, dass »der Unterschied zwischen einer früheren und jetzigen Existenz bloß äußerlich und zufällig ist; doch führen diese Unterschiede nicht zu einem neuen Menschen, der sich von seinem Gegenstück aus einem früheren Weltalter unterscheidet«.52 Im Universum selbst sei, Parmenides zufolge, jeder Eindruck von Veränderung bloße Illusion, da das »unerschaffene und unzerstörbare« Universum sich in einer konstanten Perfektion befinde, »in dem alles vollständig, ortsfest und endlos ist«.53 Andere einflussreiche Griechen wie die Ionier lehrten, das Universum sei zwar unbegrenzt und ewig, jedoch seinerseits der Abfolge unendlicher Kreisläufe unterworfen. Platon sah das etwas anders, doch glaubte auch er felsenfest an Zyklen und dass, durch ein ewiges Gesetz bewirkt, auf jedes Goldene Zeitalter Chaos und Zusammenbruch folgen müssten.

      Schließlich ließen die Griechen es sich nicht nehmen, den Kosmos sowie unbelebte Dinge im Allgemeinen in lebende Wesen zu verwandeln. Platon lehrte, der Demiurg habe den Kosmos als »einzelnes sichtbares lebendiges Gebilde« geschaffen, wodurch auch der Welt eine Seele zukomme. Obwohl sie »alleinsteht«, sei sie »durch ihre Vortrefflichkeit in der Lage, sich selbst Gesellschaft zu leisten, wobei sie keine weiteren Bekanntschaften oder Freunde braucht, sondern sich selbst genügt«.54

      So man aber Mineralien Leben zuerkennt, geht die Erklärung natürlicher Phänomene notwendig in eine falsche Richtung. Man schreibt dann den Grund, warum ein Gegenstand sich bewegt, Motiven zu und nicht natürlichen Ursachen. Von den Stoikern, insbesondere von Zenon, dürfte die Idee stammen, den Gang des Kosmos auf der Basis seiner willentlichen Vorsätze zu erklären, doch wurde sie bald Allgemeingut. So bewegten sich Aristoteles zufolge die Gestirne in Kreisen, weil ihnen diese Bewegung so gut gefiel und Dinge fielen deswegen zu Boden, »weil sie eine angeborene Liebe für den inneren Kern der Welt empfinden«.55

      Letztlich wurden die griechischen Denkschulen durch ihre eigene innere Logik auf ein totes Gleis gefahren. Nach Platon und Aristoteles gab es bis auf einige Erweiterungen der Geometrie kaum mehr Neues. Als Rom die griechische Welt in sich eingliederte, begrüßte es die griechischen Denkschulen – ihre Gelehrten hatten den gleichen Erfolg unter der Republik wie unter Caesar.56 Auch im Byzantinischen Reich sollten die Denkschulen nicht untergehen, doch misslang ihnen hier erneut jede Innovation.57 Der Niedergang Roms behinderte die Ausbreitung des menschlichen Wissens nicht mehr als die »Genesung« des griechischen Denkens, die diesen Prozess wieder neu beginnen ließ. Das griechische Denken war ein Hindernis für den Aufstieg der Wissenschaft! Es führte weder die Griechen noch die Römer zu einem wissenschaftlichen Verständnis und erstickte zudem den intellektuellen Fortschritt im Islam, wo es ebenfalls sorgfältig studiert und aufrechterhalten wurde.

       Der Islam

      Man könnte denken, dass die Vorstellung, die sich der Islam von Gott macht, dem Aufstieg der Wissenschaft hätte günstig sein müssen. Aber so war es nicht.58 Allah wird nicht als gesetzgebender Schöpfer angesehen, sondern als ein extrem tatkräftiger Gott, der genau so weit in die Welt eindringt, wie er es für angemessen hält. Über diese Vorstellung entstand im Islam ein großer theologischer Block, der alle Versuche, Naturgesetze zu formulieren, als Blasphemie verurteilt, da sie ja Allahs Handlungsfreiheit leugnen würden. So machte der Islam sich nie wirklich die Idee zu eigen, dass das Universum auf bestimmten, von Gott zu Anfang festgelegten Grundprinzipien beruhe, sondern er glaubt vielmehr, dass Gott mittels seines Willens kontinuierlich auf die Welt einwirke. Als Beleg hierfür gilt eine Aussage des Korans: »Wen Allah will, leitet er irre, und wen er will, den führet er auf den rechten Pfad«. Obwohl die Zeile sich auf Gottes Beeinflussung individueller Schicksale bezieht, wurde sie zumeist so verstanden, als bezöge sie sich praktisch auf alle Dinge.

      Wann immer es um islamische Wissenschaft und Bildung geht, betonen die meisten Historiker, dass das griechische Denken schon seit Jahrhunderten lebendiger Teil des Islams war, während es in der christlichen Welt noch lange nicht ankam. Das ist sicher richtig, nicht anders als der Umstand, dass etliche klassische Schriften das christliche Europa erst über den Kontakt mit dem Islam erreichten. Und doch hat der Besitz der griechischen Erkenntnisse zu keinem bedeutenden intellektuellen Fortschritt im Islam geführt, ganz zu schweigen von einer Entwicklung islamischer Wissenschaften. Stattdessen sahen muslimische Intellektuelle im griechischen Denken, zumal in den Arbeiten von Aristoteles, gewissermaßen eine heilige Schrift,59 der man vielmehr glaubte, als dass man sie auslotete.

      Das griechische Denken unterband jede Möglichkeit eines Aufstiegs der islamischen Wissenschaft, und zwar aus dem gleichen Grund, aus dem es selbst zum Stillstand kam: der Annahme von Thesen, die im fundamentalen Gegensatz zur Wissenschaft standen. Das Rasa’il Ichwan as-Safa, die große Enzyklopädie des Wissens, verfasst von frühen muslimischen Gelehrten, übernahm zur Gänze die griechische Vorstellung der Welt als eines großen, bewussten und lebendigen Organismus, der zugleich einen Intellekt und eine Seele hat.60 Die Chancen für die Wissenschaft wurden auch dann nicht verbessert, als im 12. Jahrhundert der gefeierte Philosoph Averroës und dessen Studenten aus ihren Werken alle muslimischen Doktrinen zu streichen begannen, die durch die Rasa’il Ichwan as-Safa nicht gedeckt waren. Vielmehr wurden Averroës und seine Jünger zu unbeugsamen und doktrinären Aristotelikern. Die aristotelische Physik, so behaupteten sie, sei vollendet und unfehlbar – und sofern einmal eine Beobachtung, die jemand anstellte, nicht mit Aristoteles’ Ansichten in Einklang zu bringen war, musste die Beobachtung sicherlich falsch sein oder eine Illusion.

      Daher konnten islamische Gelehrte nennenswerte Fortschritte einzig auf bestimmten Fachgebieten erlangen, etwa in Teilbereichen der Astronomie und Medizin, die keine allgemeine theoretische Grundlage benötigten. Doch war es nach einer Weile selbst mit diesen Fortschritten vorbei.

      Im Gegensatz zu den üblichen Darstellungen hat die »Genesung« des griechischen Denkens Europa nicht wieder auf Kurs in Richtung Wissenschaft gebracht. Angesichts der Wirkung, die dieses Denken auf die Griechen, die Römer und die Muslime hatte, scheint es von größter Wichtigkeit gewesen zu sein, dass die griechische Philosophie erst dann in Europa zugänglich wurde, nachdem christliche Gelehrte ein unabhängiges intellektuelles Rahmengerüst aufgebaut hatten. Das heißt, als ihnen die Arbeiten Aristoteles’ zum ersten Mal begegneten, waren sie bereits willens und fähig, sie anzufechten! Als die Scholastiker sich der Wissenschaft annäherten, standen sie in direkter Opposition zu Aristoteles und anderen klassischen griechischen Autoren. Zwar

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