Heißes Geld. Will Berthold

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Heißes Geld - Will Berthold

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zu. Sie war auf die Begegnung mit ihrem potentiellen neuen Arbeitgeber sorgfältig vorbereitet, entschlossen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Mit Männern hatte sie leichtes Spiel, aber sie erschwerte es sich oft selbst, weil sie sich wenig aus Männern machte. Aber das versteckte man besser, wenn man sich um eine Spitzenstellung bewarb und längst wußte, daß es sich in der Direktionsetage weicher sitzt als im Großraumbüro.

      »Die ›Kö‹ gegen Kettwig – das ist natürlich kein so toller Tausch«, sagte Nareike.

      »Das Revier ist weit besser als sein Ruf«, erwiderte sie. »Ich wäre nicht abgeneigt, hierherzuziehen.«

      »Warum?« schoß er die Frage ab.

      »Solide Gründe: Vielleicht schätzen Sie mich jetzt als sehr materiell ein, aber ich bringe sie einmal auf einen Nenner: Geld.«

      Nareike nickte und lächelte.

      »Ich könnte mich in Ihrer geschätzten Firma ganz hübsch verbessern«, erklärte die Kandidatin: »Fast 200 Mark brutto mehr im Monat, plus eine Woche zusätzlicher Urlaub und dann auch noch eine günstige Betriebswohnung.«

      »Ein Apartment in Kettwig«, versetzte er. »Vermutlich klein, aber fein.«

      »Ich bin bescheiden«, erwiderte sie. »Ich habe es lernen müssen. Wir sind Flüchtlinge und haben alles verloren.«

      »Schlimm«, entgegnete er mit wenig Teilnahme, obwohl er selbst aus Breslau stammte. »Persönliche Gründe ziehen Sie also nicht in den Kohlenpott?« fragte er wie beiläufig.

      »Doch«, antwortete Sabine und überlegte, ob er sich von dem Typ unterschied, den sie nur zu gut kannte: Dem Alter nach ein Vater, der Güte nach ein Onkel, und bei Gelegenheit ein seniler Sittenstrolch: »Meine Mutter wohnt in Castrop-Rauxel. Sie ist ganz allein, und ich könnte mich von hier aus natürlich viel besser um sie kümmern.«

      »Wie schön für Ihre Frau Mutter«, erwiderte der Geschäftsführer der Firma Müller & Sohn, Produktion von Autobedarfsartikeln. Die Motorisierungswelle, einige Erfindungen des Firmengründers und der Geschäftssinn Nareikes hatten in eineinhalb Jahrzehnten aus einem größeren Handwerksbetrieb ein Unternehmen mit rund tausend Arbeitnehmern und drei Zweigwerken gemacht. Die stürmische Expansion ging weiter, und Nareike war – wenn auch bescheiden – am Gewinn beteiligt. Er verdiente mehr, als er ausgeben konnte. Vermutlich wäre er mit seinem Einkommen zufrieden gewesen, würde ihn nicht die erraffte Dollarmillion zur Habgier verleitet haben.

      Der Dollarschatz war sein Traum wie sein Trauma, seine Fluchtburg wie das Wolkenkuckucksheim seiner Zukunft; er brachte den Erfolgsmenschen um Schlaf, Ruhe, Selbstbescheidung und Besonnenheit und dadurch in Gefahr.

      Solange er nicht an das heiße Geld heranging, würde ihn auch niemand mehr verfolgen – aber verfolgte man ihn überhaupt noch oder schlug er sich nur mit Schatten herum?

      Es gab Tage, da glaubte er beim Erwachen, als Werner Nareike zur Welt gekommen zu sein. Dann tauchte plötzlich aus dem Dunkel des Vergessens der Name eines Verschollenen im Radio oder in den Schlagzeilen auf und löste in der Öffentlichkeit eine Explosion von Anschuldigungen, Verdächtigungen und Enthüllungen aus. Dann überlegte Nareike jeweils zwecklos, ob man ihn in einem solchen Fall an die Franzosen oder an die Amerikaner ausliefern würde. Freilich: Guillotine, Strick oder Peloton brauchte er nicht mehr zu fürchten, davor schützte ihn die Bonner Verfassung, das Grundgesetz. Normalerweise durfte er keinem Land übergeben werden, in dem es noch die Todesstrafe gab, oder allenfalls gegen die verbindliche Zusicherung, daß man sie an dem Ausgelieferten nicht vollstrecken würde.

      Aber in Deutschland drohte ihm der Tod, wenn auch in Raten. Lebenslänglich. Das Wort fraß sich in seinem Bewußtsein fest, bis er merkte, daß er wieder an Hannelore dachte. Niemand außer seiner Frau wußte, daß er noch lebte, untergetaucht war und unter falschem Namen eine zweite Karriere geschafft hatte. Er konnte sich auf seine einzige Mitwisserin verlassen, solange sie seiner sicher war, und mitunter wurde ihm bewußt, daß seine Ehe nicht im Himmel geschlossen, sondern auf Erpressung gegründet war. Immerhin hatte der seltsame Balanceakt seit fast 17 Jahren ohne Panne funktioniert. Aber ständig hatte Nareike das Gefühl, mit einer Zeitbombe zu leben.

      Womöglich war seine Rücksicht auf Hannelore übertrieben, aber er wußte um ihre Witterung für seine Seitensprünge, obwohl er sie vermutlich überschätzte, denn in seinen Glanzzeiten – als er Massen von Menschen und Unsummen von Geld beherrscht hatte – waren Amouren Salz, Pfeffer und Paprika seines Lebens gewesen. Liebschaften im Dutzend, wenn nicht im Hundert, kleine und große, überschäumende und überflüssige, nur notdürftig verheimlicht vor seiner Frau. Damals, als er mehr Mühe darauf zu verwenden hatte, seine Gespielinnen wieder loszuwerden als sie zu erobern. – Nareikes Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück: »Ich denke, wir sollten es miteinander versuchen«, sagte er. »Sie wissen natürlich, daß wir manchmal Überstunden …«

      »Daran bin ich gewöhnt«, antwortete Sabine.

      »Und es macht Ihnen nichts aus, wenn ich Ihnen vielleicht einmal – ich wohne hier im Penthouse über dem Verwaltungsgebäude – unrasiert und unter Umständen im Pyjama ein dringendes Telegramm diktiere?«

      »Ich würde mir nichts dabei denken«, erwiderte Sabine, sie wollte die Bemerkung unterdrücken, setzte aber doch etwas spitz hinzu: »Im übrigen habe ich auch gelernt, mich meiner Haut zu wehren.«

      »Bravo«, spottete Nareike. »Schlagen Sie mich nur nieder, wenn ich zudringlich werde.«

      »Mein Gott, entschuldigen Sie, Herr Direktor«, erwiderte Sabine erschrocken.

      »Schon gut.« Er nickte und beglückwünschte sich zu dem Zufall, der ihm ihre Bewerbung zugespielt hatte. In seiner Lage hatte er wenig Möglichkeit, Zufällen nachzuhelfen, oder besser gesagt: überhaupt keine. Abstinenz war ihm aufgezwungen, und mitunter kam sich Nareike vor wie ein Gefangener, der in Einzelhaft laute Selbstgespräche führt, um sich seiner Stimme zu vergewissern. So besuchte er nach geschäftlichen Besprechungen in Düsseldorf dann und wann das anrüchige Haus an der Rethelstraße, weniger vom Trieb geplagt, als von der Frage getrieben, ob er noch bei Stimme sei.

      Sabine wußte noch nicht, wie sie Nareike einschätzen sollte: Er wirkte großzügig, und sie hatte absolut nichts gegen Geld, aber sie mochte spendable Gönner nicht, die auf Dankbarkeit spekulierten. Er war anderen offensichtlich überlegen, er wußte und er nutzte es und ließ keine Zweifel aufkommen, daß er in diesem Haus der Mann war, auf den es ankam.

      »Damit wir weiterkommen«, entschied er sich ohne Übergang: »Wann könnten Sie eigentlich bei uns anfangen, Fräulein Littmann?«

      »In fünf Wochen, wenn ich auf meinen Urlaub verzichte.«

      »Und das würden Sie tun?« fragte Nareike und spürte, wie sich die Haut auf seinem Rücken spannte. So war es immer gewesen, wenn das unterschwellige Spiel eingesetzt hatte, aus dem er eigentlich seit vielen Jahren heraus war. Aber Radfahren würde man nicht verlernen, sagte er sich, solange man in der Lage wäre, stramm in die Pedale zu treten. Er nahm an, daß dieses Mädchen als Sekretärin perfekt und als Frau schwierig wäre. Vielleicht naturherb bis bitterzart, vermutlich geschockt durch unsachgemäße Behandlung. Einen Moment lang zürnte er Männern, die nicht wußten, wie man geeiste Blondinen flambiert, dann war er froh, daß wenigstens er das Rezept noch kannte.

      »Gut«, erwiderte Sabine. »Ich wäre bereit, falls Sie sich für mich …«

      Nareike ließ den Personalchef kommen, einen untersetzten, servil wirkenden Mann mit Stirnglatze und zackiger Aussprache: »Herrn Brill kennen Sie ja schon«,

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