Laternen, die sich spiegeln. Hans Leip
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Hans Leip
Laternen, die sich spiegeln
Saga
Laternen, die sich spiegeln
Es tappt mein Sinn durch Straßenewigkeiten,
Ein Ungelöschtes pulst, ihn aufzuwiegeln,
Und spornt ihn über das Gebirg von Ziegeln
Zum dunkeln See, zum großen Rausch des Weiten.
Wo tief geoffenbart sich Lichter spiegeln,
Ungleich und süchtig ihre Schleier spreiten,
Bald still, bald ungestillt von ihren Zeiten,
Voll scheuer Lust, ihr Wesen zu entriegeln.
An nächt’gen Ufern auf und ab gereiht
Erbebt ihr Schein von zauberhaften Zeichen
Und strickt viel Leitern zur Unendlichkeit.
Der Tag entfernt sie kühl vom Wunderreichen,
Laternen nur, mit Amt und Obrigkeit.
Und du und ich, wir müssen ihnen gleichen.
Der blanke Schrank
Als ich heimkam, ging ich zu Tante Gesehen, Sie wohnte in dem schönen roten Stift, dessen mächtiger Backsteingiebel weit über die Außenalster blickt. Die schmiedeeiserne Tür klappte zu, mein Stiefel hallte im Torweg und kluckerte und knirschte auf dem Kiesgange, welcher den Garten mit streng rechtwinkligen Abzweigungen durchschneidet. Rechts und links warteten flache Rabatten, von Tannenzweigen zugedeckt, auf Schneeglöckchen und Krokus, und aus dem Ziegelviereck der Stiftsgebäude leuchteten die weißen Reihen der Fensterrahmen, Blumenstöcke hockten hinter den blanken Scheiben und zwischen den Gardinen rührten sich weiße und graue Köpfe, die mit Brillen und Augen meinen griesen Mantel betrachteten, der schlecht in den sauberen Stiftsfrieden paßte. Und auch Tante Geschen war erschrocken, als ich gardelang und mit preußisch gestraffter Wirbelsäule in ihre Jungfrauenkammer trat Es war südlich warm in ihrer Stube und roch nach Lavendel und nach dem zierlichen Kraut, das die Bauern wie in verschollener Romantik „Marieken Bettstroh“ nennen.
Tante Geschen saß wie immer in ihrem verschossenen Armsessel vor den grünen Kurven der Mullgardinen, mit der schwarzen Fleckhaube auf den fahlen Haaren, die sich kaum von der Wangenfarbe abhoben. Ihr Gesicht war voller Furchen, wie ein Acker, über den der Säemann schreiten will. Ihre Gemütsbewegungen waren nur an dem mehr oder minder offenen und zitternden Munde abzulesen. Am verwunderlichsten kamen mir ihre Hände vor, die im Schoße auf der schwarzseidenen Schürze lagen. Wie abgeschlagen lagen sie da, denn die langen, engen schwarzen Ärmel waren kaum vor dem schwarzen Kleide zu erkennen. Sie waren voller Knoten und Einschnürungen, als hätten sie ihr Leben lang Fesseln und Banden getragen. Oder sie sahen aus wie knorrige Wurzeln, die sich nach der Erde sehnen. Am unheimlichsten waren sie, wenn ein mattes Flackern sie bis in die Fingerspitzen durchkroch, und die gelben großen Hakennägel leise auf dem glatten Stoff scharrten. Die jungen, drallen Mädchen, die den alten Damen Kaffee und Zeitung brachten und die Stuben heizten und feulten, hatten alle ein Gruseln vor diesen Händen. Und die Brotfrau — Tante Geschen verwaltete mißtrauisch ihr Brot selber — fühlte einst die kalte Angst in ihre Beine jagen, als sie einen Pfundklöben, welcher der Alten nicht gewichtig genug erschien, aus den zitternden Runzelhänden zurücknehmen sollte. Das halbe Stift hatte aufgelauscht, als die Händlerin Himmel und Hölle anschwor zu Zeugen für ihre reelle Ware, wie sie beredt wurde, gleich einem Kriegsversorgungsamt, und zuletzt das Brot verschenkte. Die Treppen und Hallen des Stiftes waren alle hell und neu und rochen fast noch nach dem Schweiß der Maurer, und doch graulten sich die Mädchen im Dunkeln vor Tante Geschens Tür.
Mir war vor ihren Händen nicht bange, waren ja alte, müde Hände, die ihr Werk getan. Und die vielen Hände da draußen, erstarrt und verkrallt, waren weit eher geeignet zu dumpfen Betrachtungen. Ich liebte die verfangene altmodische Luft ihres Zimmers, ihre grünen Gardinen, ihren runden Tisch mit den Klauenfüßen, ihr Biedermeiersofa, das bei ihr nicht als Theaterrequisite wirkte, ihre kleinen, vergilbten Stiche an den Wänden und ihren blanken Schrank. Dieser Schrank hatte es mir besonders angetan. Er stand in einem Winkel, in den sich sein dreieckiger Grundriß glatt hineinschmiegte, war nicht sehr hoch und hatte ganz gerade Umrißlinien, aber in wundervoll ruhigen und ausgewogenen Verhältnissen. Diese setzten sich fort in der leicht vorgewölbten Tür, in der breit kannelierten Schublade darüber, in der schmalen Aufsatzplatte und dem schweren Unterbau. Die Anordnung der beiden Schlüssellöcher, die sparsamen, einfachen Schmuckriefen, alles mußte so sein und nicht anders. Am schönsten aber war der tiefe braunrote Glanz seines alten Mahagonis. Geheimnisvolle Lichter spiegelten auf der breiten Türfläche und auf den Leistenbuckeln, schmale und runde, spitze und weiche, Flecken, Streifen, Wirbel und Schlangen, aber alle gedämpft von dem tiefdunklen Altbraun und voll verhaltener Flammen von der Maserung unterspielt. Alle Töne des Zimmers waren tief in den roten Grund getrunken und leuchteten seltsam daraus hervor, als zeigten sie ihre Seele. Es hatte mich oft im Felde ein Verlangen angeschlichen, vor diesem Schrank zu sitzen und das rätselhafte Wesen meines Wiederbildes darin zu betrachten. Mich dabei einlullen zu lassen von der daunenweichen Luft der kleinen Stube, die wie der aufbewahrte, beschauliche Atem vergessener Jahrzehnte war.
Auch Tante Geschen war vergessen worden vom Markt- und Feldgeschrei des Lebens. Sie gehörte zu den wenigen Menschen unseres Jahrhunderts, die noch keinen Kinematographen gesehen haben, und denen die Eisenbahn ein Ungeheuer voll Schrecken und Teufelswerk bedeutet. In der Verwandtschaft wurde erzählt, seit Beginn des Krieges hätte sie das Stift nicht mehr verlassen. Kam das Gespräch auf sie, so pflegte man sich vielsagend an die Stirn zu tippen. Natürlich hatte sie auch ihre Liebesgeschichte gehabt, in prähistorischen Zeiten, und die Nachrichten darüber gehörten unbedingt der Sage an. Sie hatte lange Zeit den Haushalt eines verschrobenen Arztes geführt, das war sicher, und als Zeuge dieser Vergangenheit schwamm in einem schmalen, platten Glaszylinder ein auch im Dunkeln bläulichweiß leuchtender Katzenfötus. Und das Gefäß thronte ohne irgendwelche Nebenbuhlerschaft von üblichen Kränzen unter Käseglocken, mitten und einsam auf dem blanken Schrank.
Ich setzte mich der blanken Tür gegenüber auf einen der angenehm einfachen Stühle unserer Urgroßeltern, erhob mich aber gleich wieder, da die Alte mit Kopf und Finger nach dem Ofen deutete und mit ihrer hölzernen Stimme „Kaffi“ sagte. Ich nahm die kleine Bunzlauer Kanne aus der Kasse und setzte sie auf das weiße Tischtuch. Währenddessen hatte sie sich hochgerappelt und schlurfte gebückt an den Schrank. Ehe sie aber den Schlüssel umdrehte, sah sie mich mit ängstlich verzogenem Munde an, klapperte dann eine Art Lachen heraus, das sich teilweise zu Worten verdichtete: „Jung Lüd, he he he, möt eten, hehe!“ und zog die leise wiemelnde Tür auf. Ich war nicht wenig erstaunt, die vier Schrankbörter waren wie ein Bäckerladen am Sonnabend voller Brot. Schwarzbröte und Feinbröte, angeschobene und lange, übergeschnittene und gemengte, Bauern-, Graham- und Simonsbröte, Rundstücke, Pröben und was sonst die vaterstädtische Backkunst für den Alltag hervorbringt und brachte, waren da übereinandergestapelt. Teilweise schimmelig und mumienhaft vertrocknet, teilweise frisch und glänzend. Die Bemerkung eines Onkels, Tante Geschen hätte anno dazumal an der berühmten Speisung der Fünftausend teilgenommen und brauche daher weniger als ein Kanarienvogel, schien also ihre Untergründe zu haben. Auf den Laut meiner Verwunderung zogen sich ihre Mundwinkel lustig nach oben: „Hihihi, wennt gornix mehr gif ft!“ kröchelte sie und fummelte mir ein verschrumpftes, puppenkleines und granithartes Kaiserbrötchen heraus.
„Ne, Tante Geschen,“ sagte ich, „was ich übrig gelassen hab, als ich zur Schule kam, das mag ich jetzt auch nicht mehr!“
„So, so krüsch, krüsch!“ wackelte ihr Kopf, und damit