Die Morde in der Rue Morgue und andere Erzählungen. Эдгар Аллан По

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Читать онлайн книгу Die Morde in der Rue Morgue und andere Erzählungen - Эдгар Аллан По страница 11

Die Morde in der Rue Morgue und andere Erzählungen - Эдгар Аллан По Reclam Taschenbuch

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jetzt hörte, die ich aber nicht vernahm – von Bewegungen, die sie gerade jetzt sah, die ich aber nicht zu sehen vermochte. Der Wind rauschte heftig-bewegt hinter den Wandbehängen, und ich wollte ihr zeigen (was, so will ich zugeben, mir nicht gänzlich glaubhaft erschien), dass jenes fast unhörbare Atmen und jenes sanfte Spiel der Gestalten auf der Wand nur die natürlichen Folgen des Luftstroms waren, der wie üblich zirkulierte. Doch eine tödliche Blässe, die ihr Antlitz überzog, bewies mir schon, dass meine Bemühungen, sie zu beruhigen, fruchtlos sein würden. Sie schien in Ohnmacht zu fallen, und keiner unserer Diener war in Rufweite. Ich erinnerte mich, wo sich eine Karaffe leichten Weins befand, der ihr von den Ärzten verordnet worden war, und hastete quer durch den Raum, die Karaffe zu holen. Aber als ich in den Lichtkreis der Weihrauchschale trat, erregten zwei Umstände beunruhigender Art meine Aufmerksamkeit. Ich fühlte, wie ein spürbares, aber nicht sichtbares Objekt leicht an mir vorbeistreifte; und ich sah, dass auf dem goldenen Teppich, genau in der Mitte des strahlenden Lichterkranzes der Weihrauchschale, ein Schatten lag – ein schwacher, unbestimmter Schatten von engelsgleicher Erscheinung –, so wie man sich den Schatten eines Schattens vorstellen würde. Doch ich war verstört und erregt von einer übermäßigen Dosis Opium und beachtete diese Dinge kaum und sprach auch nicht zu Rowena davon. Als ich den Wein gefunden hatte, durchquerte ich den Raum erneut und füllte einen Pokal, den ich der halb Bewusstlosen an die Lippen hielt. Doch sie war wieder halbwegs zu sich gekommen und ergriff selbst den Pokal, wahrend ich auf die nächste Ottomane sank und mit meinen Augen an ihr hing. Es war in diesem Moment, dass ich deutlich sanfter Schritte auf dem Teppich und bei der Bettstatt gewärtig wurde; und Sekunden später, als Rowena im Begriff war, den Wein an ihre Lippen zu führen, sah ich – oder träumte dies nur – drei oder vier große Tropfen einer glitzernden, rubinroten Flüssigkeit in den Pokal fallen, so, als entsprängen sie einer unsichtbaren Quelle inmitten der Leere des Raumes. Ich sah es wohl – doch nicht Rowena. Sie trank den Wein, ohne zu zögern, und ich wagte es nicht, sie mit einem Geschehnis vertraut zu machen, das letztlich – wie ich meinte – wohl die Vorspiegelung einer allzu lebhaften Einbildungskraft gewesen sein musste, die durch das Entsetzen Rowenas, durch das Opium und durch die ungewohnte Stunde krankhaft überhitzt war.

      Doch kann ich es vor mir selbst nicht verbergen, dass unmittelbar nach dem Ereignis mit den Rubintropfen im Zustand meiner Frau eine schnelle Wendung zum Schlimmeren eintrat, so dass ihre Dienerschaft sie in der dritten darauf folgenden Nacht für das Grab vorbereitete und ich in der vierten Nacht allein bei ihrem verhüllten Leichnam saß, allein in dem bizarren Gemach, das sie als meine Braut betreten hatte. Wilde Visionen, opiumgeboren, flirrten wie Schatten vor meinen Augen. Mit unstetem Blick starrte ich auf die Sarkophage in den Ecken des Gemachs, auf die wechselvollen Figuren der Wandbehänge und auf das Züngeln der bunten Flammen in der Weihrauchschale über mir. Dann fiel mein Blick, als ich mir die Ereignisse der vergangenen Nacht ins Bewusstsein zurückrief, auf die Stelle unter dem Lichtkreis der Weihrauchschale, wo ich die vage Andeutung des Schattens gesehen hatte. Der Schatten jedoch war verschwunden; ich atmete befreit auf, und mein Blick schweifte hinüber zur bleichen und starren Gestalt auf dem Bett. Da stürmten tausend Erinnerungen an Ligeia auf mich ein – und dann überfiel mein Herz mit der ungestümen Gewalt einer Flut das ganze unaussprechliche Weh, mit dem ich sie als verhüllten Leichnam gesehen hatte. Die Nacht schwand dahin, und voll bitterer Gedanken an die eine, die einzige, die über alles Geliebte verweilte ich und starrte versunken auf die sterbliche Hülle Rowenas.

      Es mag um Mitternacht gewesen sein, vielleicht auch früher oder später, denn ich hatte den Sinn für die Zeit verloren, als ein sanftes, leises, doch deutlich vernehmbares Schluchzen mich aus meinen Träumen auffahren ließ. Ich fühlte, dass es von dem Ebenholzbett her kam – dem Lager des Todes. Ich lauschte, gepeinigt von abergläubischem Entsetzen – doch das Schluchzen wiederholte sich nicht. Ich marterte meine Augen, um irgendeine Bewegung des Leichnams zu entdecken – doch nicht die geringste Bewegung war zu sehen. Dennoch konnte ich mich nicht getäuscht haben. Ich hatte den Laut ja gehört, wie schwach er auch immer gewesen war, und meine Seele war zu neuem Leben erwacht. Entschlossen und standhaft richtete ich meine ganze Aufmerksamkeit auf den toten Körper. Viele Minuten vergingen, ehe irgendetwas geschah, was das Geheimnis hätte erhellen können. Endlich wurde klar, dass ein leichter, sehr schwacher und kaum wahrnehmbarer Anflug von Farbe die Wangen wie auch die feinen, tiefliegenden Äderchen der Augenlider belebte. Eine Art unsäglicher Horror und Entsetzen, wofür die Sprache der Menschen keinen zureichenden Ausdruck kennt, ließ meinen Herzschlag anhalten und meine Glieder so, wie ich saß, versteinern. Doch endlich bewirkte mein Pflichtgefühl, dass ich meine Fassung zurückgewann. Ich durfte nicht länger daran zweifeln, dass wir in unserem Tun voreilig gewesen waren – dass Rowena noch lebte. Die Notwendigkeit verlangte, dass auf der Stelle etwas geschehe; doch der Turm lag gänzlich abseits von denjenigen Räumen der Abtei, welche die Bediensteten beherbergten – keiner von ihnen war in Rufweite –; ich hatte keine Möglichkeit, sie zur Hilfe herbeizurufen, ohne das Zimmer für lange Minuten zu verlassen – gerade dies aber konnte ich nicht wagen. So rang ich also allein in meinem Bemühen darum, den unentschlossen schwebenden Geist in den Körper zurückzurufen. Binnen kurzem wurde jedoch klar, dass ein Rückfall eingetreten war; die Farbe wich wieder aus den Augenlidern und den Wangen und hinterließ eine Blässe, die kälter war als Marmor; die Lippen welkten noch mehr dahin und kniffen sich in einem grässlichen Ausdruck des Todes zusammen; eine widerwärtige Feuchte und Kälte überzog rapide den ganzen Körper; und sofort darauf hatte sich auch die übliche Leichenstarre wieder eingestellt. Ich fiel schaudernd zurück auf die Ottomane, von der ich so alarmiert aufgeschreckt war, und überließ mich wieder den leidenschaftlichen Wachträumen von Ligeia.

      So war eine Stunde verronnen, als ich (konnte es überhaupt sein?) zum zweiten Male gewisser vager Laute, die aus der Richtung des Bettes kamen, gewärtig wurde. Ich lauschte in höchstem Entsetzen. Der Laut wiederholte sich – es war ein Seufzen. Ich stürzte hin zu der Toten und sah – sah in aller Deutlichkeit – ein Zittern auf den Lippen. Einen Moment später entspannten sie sich und enthüllten eine blendende Reihe von Perlenzähnen. Ungläubiges Staunen kämpfte jetzt in meiner Brust mit einer tiefen, ehrfürchtigen Scheu, die mich bisher allein beherrscht hatte. Ich fühlte, dass ich in Dunkelheit versank und dass mein Denken abirrte; und nur dank einer gewaltigen Anstrengung gelang es mir, mich aufzuraffen und der Aufgabe zu stellen, welche die Pflicht mir einmal mehr gebot. Ein schwaches Glühen überzog nun die Stirn, die Wangen und den Hals; eine spürbare Wärme durchdrang den ganzen Körper; sogar ein leichtes Pulsieren des Herzens war bemerkbar. Rowena lebte, und mit verstärktem Eifer widmete ich mich der Aufgabe der Wiedererweckung. Ich rieb und benetzte ihre Schläfen und Hände und wandte jeden Kunstgriff an, den Erfahrung und eine nicht geringe medizinische Belesenheit mir nahezulegen vermochten. Doch vergebens. Plötzlich wich die Farbe wieder, der Puls verstummte, die Lippen nahmen erneut den Ausdruck des Todes an, und einen Augenblick später zeigte der ganze Körper wieder die eisige Kälte, die aschgraue Färbung, die tiefe Starre, die eingesunkenen Umrisse und all jene ekelhaften Eigenschaften dessen, der schon für viele Tage sein Grab gefunden hatte.

      Und wieder versank ich in Visionen von Ligeia – und wiederum (was Wunder, dass mich schaudert, da ich dies niederschreibe?), wiederum drang vom Ebenholzbett her ein leises Schluchzen an mein Ohr. Aber warum soll ich die unsagbaren Schrecken jener Nacht auf das genaueste wiedergeben? Warum bei der Enthüllung verweilen, wie Mal um Mal bis in die graue Morgendämmerung hinein dieses scheußliche Drama der Wiederbelebung seine Erneuerung fand; wie jeder schreckliche Rückfall nur ein grausameres und offenbar immer hoffnungsloseres Verfallen an den Tod war; wie jede Agonie den Anblick eines Kampfes mit einem unsichtbaren Feind bot; und wie jeder Kampf eine ich weiß nicht wie zu beschreibende wilde Veränderung in der Erscheinung des Leichnams zur Folge hatte? Man möge mich zum Schlussakt eilen lassen.

      Der größte Teil der furchtbaren Nacht war vergangen, und sie, die schon tot gewesen, regte sich erneut – und jetzt nachdrücklicher als bisher, obgleich sie aus einem Zustand des Verfalls erwachte, der in seiner völligen Hoffnungslosigkeit erschreckender als alles Vorherige erschien. Ich hatte schon lange aufgehört, zu kämpfen oder mich zu bewegen, und saß erstarrt auf der Ottomane, ein hilfloses Opfer im Wirbel heftigster Emotionen, deren am wenigsten schreckliche, am wenigsten verzehrende vielleicht

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