Gesammelte Werke. Heinrich Mann

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Gesammelte Werke - Heinrich Mann

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sogar recht. Hierdurch in seinem Glauben an die herrschende Ordnung erschüttert, ward er zum Aufwiegler, verkam sittlich und wäre unter anderen Umständen unbedingt entlassen worden. So aber konnte Diederich sich nicht entschließen, das Gebiß, das ihn teuer zu stehen kam, dahinzugeben, und behielt daher auch den Mann.... Die ganze Angelegenheit, er verhehlte es sich nicht, war dem Geiste der Arbeiterschaft nicht zuträglich. Hinzu kam die Einwirkung gefährlicher politischer Ereignisse. Als im neu eröffneten Reichstagsgebäude mehrere sozialdemokratische Abgeordnete beim Kaiserhoch sitzengeblieben waren, da konnte man nicht mehr zweifeln, die Notwendigkeit einer Umsturzvorlage war bewiesen. Diederich machte in der Öffentlichkeit dafür Stimmung; seine Leute bereitete er darauf in einer Ansprache vor, die sie mit düsterem Schweigen aufnahmen. Die Mehrheit des Reichstages war gewissenlos genug, die Vorlage abzulehnen, und der Erfolg ließ nicht warten, ein Industrieller ward ermordet. Ermordet! Ein Industrieller! Der Mörder behauptete kein Sozialdemokrat zu sein, aber [pg 467]das kannte Diederich von seinen eigenen Leuten her; und der Ermordete sollte arbeiterfreundlich gewesen sein, aber das kannte Diederich an sich selbst. Tage- und wochenlang öffnete er keine Tür ohne Bangen vor einem dahinter schon gezückten Messer. Sein Bureau erhielt Selbstschüsse, und gemeinsam mit Guste kroch er jeden Abend durch das Schlafzimmer und suchte. Seine Telegramme an den Kaiser, mochten sie von der Stadtverordnetenversammlung ausgehen, vom Vorstand der „Partei des Kaisers“, vom Unternehmerverband oder vom Kriegerverein: die Telegramme, mit denen Diederich den Allerhöchsten Herrn überschüttete, schrien nach Hilfe gegen die von den Sozialisten angefachte Revolutionsbewegung, der wieder ein Opfer mehr erlegen war; nach Befreiung von dieser Pest, nach schleunigen gesetzlichen Maßnahmen, militärischem Schutz der Autorität und des Eigentums, nach Zuchthausstrafen für Streikende, die jemand abhielten zu arbeiten.... Die „Netziger Zeitung“, die alles dies pünktlich wiedergab, vergaß aber keinesfalls hinzuzufügen, wie sehr gerade Herr Generaldirektor Doktor Heßling sich verdient mache um den sozialen Frieden und die Arbeiterfürsorge. Jedes von Diederich neuerbaute Arbeiterhaus führte Nothgroschen stark geschmeichelt im Bilde vor und schrieb dazu einen hochgestimmten Artikel. Mochten gewisse andere Arbeitgeber, deren Einfluß in Netzig glücklicherweise nicht mehr in Frage kam, unter ihren Angestellten subversive Tendenzen schüren, indem sie sie am Gewinn beteiligten. Die von Herrn Generaldirektor Doktor Heßling vertretenen Grundsätze zeitigten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer das denkbar beste Verhältnis, wie Seine Majestät der Kaiser es überall in der deutschen Industrie zu sehen wünschten. Ein kräf[pg 468]tiger Widerstand gegen die unberechtigten Forderungen der Arbeiter sowie eine Koalition der Arbeitgeber gehörten bekanntlich gleichfalls zum sozialen Programm des Kaisers, das mit zu verwirklichen ein Ruhmestitel des Herrn Generaldirektor Doktor Heßling war. – Und daneben stand Diederichs Bild.

      Solche Anerkennung spornte zu immer eifrigerer Betätigung an – trotz der unerlösten Sünde, die ihre verheerende Wirkung übrigens nicht nur geschäftlich, sondern auch in der Familie äußerte. Hier war es leider Kienast, der Neid und Zwietracht säte. Er behauptete, daß ohne ihn und seine unauffällige Vermittlung beim Ankauf der Aktien Diederich seine glänzende Stellung gar nicht erlangt haben würde. Worauf Diederich erwiderte, daß Kienast durch einen seinen Mitteln entsprechenden Aktienbesitz entschädigt sei. Dies erkannte der Schwager nicht an, vielmehr vermaß er sich, für seine pietätlosen Ansprüche eine rechtliche Grundlage gefunden zu haben. War er nicht als Gatte Magdas der Mitbesitzer, zu einem Achtel ihres Wertes, der alten Heßlingschen Fabrik gewesen? Die Fabrik war verkauft, Diederich hatte bares Geld und Gausenfelder Vorzugsaktien dafür bekommen. Kienast verlangte ein Achtel der Kapitalrente und der jährlichen Dividende der Vorzugsaktien. Auf dieses unerhörte Ansinnen erwiderte Diederich mit aller Energie, daß er weder seinem Schwager noch seiner Schwester irgend etwas mehr schuldig sei. „Ich war nur verpflichtet, euch euren Anteil vom jährlichen Gewinn meiner Fabrik zu zahlen. Meine Fabrik ist verkauft. Gausenfeld gehört nicht mir, sondern einer Aktiengesellschaft. Was das Kapital betrifft, das ist mein Privatvermögen. Ihr habt nichts zu fordern.“ – Kienast nannte dies einen offenen Raub, Die[pg 469]derich, durch die eigenen Argumente vollkommen überzeugt, sprach von Erpressung, und dann folgte ein Prozeß.

      Der Prozeß dauerte drei Jahre. Er ward mit immer wachsender Erbitterung geführt, besonders von seiten Kienasts, der, um sich ihm ganz zu widmen, seine Stellung in Eschweiler aufgab und mit Magda nach Netzig zog. Als Hauptzeugen gegen Diederich hatte er den alten Sötbier aufgestellt, der in seiner Rachsucht nun wirklich beweisen wollte, daß Diederich schon früher an seine Verwandten nicht die ihnen zustehenden Summen abgeführt habe. Auch verfiel Kienast darauf, gewisse Punkte in Diederichs Vergangenheit mit Hilfe des jetzigen Abgeordneten Napoleon Fischer aufhellen zu wollen: was ihm freilich niemals recht gelang. Immerhin aber ward Diederich durch dieses Vorgehen genötigt, zu verschiedenen Malen größere Beträge für die sozialdemokratische Parteikasse zu erlegen. Und er durfte es sich sagen, sein persönlicher Verlust schmerzte ihn weniger als der Abbruch, den dergestalt die nationale Sache erlitt ... Guste, deren Blick so weit nicht reichte, schürte den Streit der Männer mehr aus weiblichen Motiven. Ihr Erstes war ein Mädchen, und sie verzieh Magda ihren Jungen nicht. Magda, die den Geldsachen anfangs nur ein laues Interesse entgegengebracht hatte, leitete den Beginn der Feindseligkeiten von dem Tage her, als Emmi mit einem aus Berlin bezogenen unerhörten Hut erschien. Magda stellte fest, daß Emmi jetzt von Diederich in der empörendsten Weise bevorzugt wurde. Emmi bewohnte in Gausenfeld ein eigenes Appartement, wo sie Tees gab. Die Höhe ihres Toilettegeldes stellte eine Unverschämtheit gegen die verheiratete Schwester dar. Magda mußte sehen, daß der Vorrang, den ihre Verheiratung ihr eingetragen hatte, [pg 470]sich in das Gegenteil verkehrte; und sie beschuldigte Diederich, er habe sich ihrer, vor dem Anbruch seiner Glanzzeit, heimtückisch entledigt. Wenn Emmi auch jetzt noch keinen Mann fand, schien dies besondere Gründe zu haben – die man sich in Netzig denn auch ins Ohr sagte. Magda sah kein Hindernis, sie laut auszusprechen. Durch Inge Tietz erfuhr man es in Gausenfeld; aber Inge brachte zugleich eine Waffe gegen die Verleumderin mit, weil sie nämlich bei Kienasts der Hebamme begegnet war, und das erste Kind war kaum ein halbes Jahr. Ein furchtbarer Aufruhr trat hierauf ein, telephonische Beschimpfungen von Haus zu Haus, Drohungen mit gerichtlicher Klage, wofür man Stoff sammelte, indem jede der beiden Frauen das Zimmermädchen der anderen anwarb.

      Und bald nachdem Diederich und Kienast mit männlicher Besonnenheit den äußersten Familienskandal für diesmal noch verhütet hatten, brach er dennoch aus. Guste und Diederich bekamen anonyme Briefe, die sie vor jedem Dritten und sogar voreinander verstecken mußten, so grenzenlos frivol war ihr Inhalt. Noch dazu illustrierten ihn Zeichnungen, die jedes erlaubte Maß einer wenn auch realistischen Kunst überschritten. Pünktlich jeden Morgen lagen die harmlos grauen Umschläge auf dem Frühstückstisch, und jeder ließ den seinen verschwinden, wobei man tat, als habe man den des anderen nicht bemerkt. Eines Tages freilich war es aus mit dem Versteckenspiel, denn Magda hatte die Kühnheit, in Gausenfeld zu erscheinen, versehen mit einem Packen ganz gleichartiger Briefe, die sie selbst erhalten haben wollte. Dies fand Guste zu stark. „Du wirst wohl wissen, wer sie dir schreibt!“ brachte sie hervor, erstickt und rot angelaufen. Magda sagte, sie könne es sich denken, und darum sei [pg 471]sie gekommen. „Wenn du es nötig hast,“ erwiderte Guste und zischte, „daß du dir selbst mußt solche Briefe schreiben, damit du in Stimmung kommst, dann schreib’ sie wenigstens anderen Leuten nicht, die es nicht nötig haben!“ Magda protestierte und stieß ihrerseits, grün im Gesicht, Beschuldigungen aus. Aber Guste war zum Telephon gestürzt, sie rief Diederich aus dem Bureau herbei; dann lief sie fort und kehrte mit einem Packen Briefe zurück. Gegenüber trat Diederich ein und hatte seinen auch schon dabei. Als die drei interessanten Sammlungen wirkungsvoll ausgebreitet auf dem Tisch lagen, sahen die drei Verwandten entgeistert einander an. Dann faßten sie sich und schrien alle gleichzeitig dieselben Anklagen. Um nicht an Boden zu verlieren, rief Magda das Zeugnis ihres Mannes an, der gleichfalls heimgesucht sei. Guste behauptete, auch bei Emmi etwas gesehen zu haben. Emmi ward geholt und gestand unschwer in ihrer wegwerfenden Art, daß auch ihr die Post solche Schweinereien gebracht habe. Die meisten habe sie vernichtet. Die alte Frau Heßling sogar war nicht verschont geblieben! Sie leugnete zwar weinend, solange es ging, ward aber überführt ... Da dies alles die Angelegenheit nur erweiterte, aber nicht klärte, trennte man sich beiderseits mit Drohungen, die innerlich haltlos, aber keineswegs ohne Schrecken waren. Um ihre Stellung zu befestigen, hielt jede der Parteien Umschau nach Bundesgenossen,

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