Hanussen - Hellseher und Scharlatan. Will Berthold
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Читать онлайн книгу Hanussen - Hellseher und Scharlatan - Will Berthold страница 7
»Tun Sie das sonst?« fragt die Pragerin: »Wie haben Sie das nur geschafft – diese Tataufklärung?« will Eva Pflügler wissen.
»Das weiß ich selbst nicht«, versetzt Hanussen. »Wissen Sie, Eva, der eine ist musikalisch, der andere farbenblind, und der dritte womöglich ein mathematisches Genie – und keiner kann etwas dafür.«
»Und Sie sind hochmusikalisch und farbentüchtig und auch noch ein Adam Riese.«
»Ich habe noch ganz andere Fähigkeiten«, prahlt Hanussen, »und die werde ich Ihnen beweisen, und zwar bald.«
»Muß ich mich fürchten?«
»Das würden Sie ohnedies nicht. Sie wissen doch, wo Gott wohnt.«
»Und das sind Sie?«
»Nein«, entgegnet Hanussen. »Gewiß nicht, aber vielleicht eines seiner privilegierten Geschöpfe.«
»Am meisten bewundere ich Ihre Bescheidenheit«, versetzt die Blondine keß. Sie ist jetzt schon beim dritten Glas, und ein wenig beginnt sich der Raum bereits zu drehen. Sie möchte den Mann im Morgenrock anheizen und dann schleunigst verschwinden.
Hanussen beugt sich über sie und zieht sie behutsam aus dem Sessel hoch, küßt ihre Wangen, ihre Hand, ihren Mund, er legt den Arm um Evas Schultern. »Komm«, sagt er, »wir vertrödeln nur die Zeit – an so einem wunderschönen Tag.«
Sie will sich wehren, macht sich steif, aber es nützt ihr so wenig wie dem Kaninchen vis-à-vis der Schlange. EJH drängt sie einfach aus dem Salon in den nebenan liegenden Raum mit dem breiten französischen Bett.
»Mit mir nicht«, wehrt sich Eva, als Hanussen beginnt, sie auch mit den Händen auszuziehen. »Genauso habe ich mir das vorgestellt«, protestiert sie.
»Ich auch«, erwidert er keuchend. »Du bist eine schöne Frau, und schöne Frauen werden begehrt.«
Die Vorhänge sind bereits zugezogen. Wie von selbst setzt Musik ein. Schlummerschmalz. Eva Pflügler stemmt sich noch immer gegen den ungeliebten Verführer. Vergeblich. Sie wird diesen dämonischen Kraftprotz genauso über sich ergehen lassen müssen wie andere Frauen und Mädchen vor ihr und nach ihr, die ganz andere Vorstellungen vom Mann ihrer Träume hatten und haben.
5
Am Morgen kann sich Kriminalkommissar Molitor nur noch mit Kannen voll starkem Kaffee auf den Beinen halten. Die Stunden der Nacht hängen wie Trimmgewichte an seinem korpulenten Körper. Er ist am Ende seiner Leistungsfähigkeit, aber lange noch nicht am Schluß seiner Ermittlungen. Er muß sich ein paar Stunden hinlegen und ausruhen, aber statt nach Hause zu gehen wird er erneut zu Staatsanwalt Swoboda gerufen.
»Wie weit sind Sie?« empfängt ihn der lange Hagere ungeduldig.
»Der Mord ist geklärt«, berichtet der Kripobeamte. »Wir haben uns die halbe Nacht die Kellnerin Maria noch einmal vorgenommen. Ohne Einschränkung hat sie gestanden, dem Bäckergesellen aus Hörigkeit vorsätzlich ein falsches Alibi gegeben zu haben.« Nach einer kurzen Pause fährt Molitor fort: »Er war in der Mordnacht nicht bei ihr. Maria hat ihrem Freund gedroht, heute bei der Polizei die Wahrheit auszusagen und dadurch den Selbstmord Walters ausgelöst.«
»Und wie hat dieser Scharlatan von diesen Vorgängen erfahren können?«
»Das weiß ich noch nicht«, antwortet der Erschöpfte. »Es grenzt wirklich an Hexerei.«
»Fallen Sie nicht auch noch auf diesen faulen Zauber herein«, brummelt Swoboda gereizt. Auch er müßte ins Bett. Sein erschreckend eingefallenes Gesicht ist grau, plissiert von einer schlaflosen Nacht; er gleicht einem Patienten, der Schwierigkeiten mit der Verdauung hat, aber nicht der Magen macht ihm zu schaffen, seit gestern abend spürt er seine Galle, übrigens zum ersten Mal.
»Ich muß Ihnen gestehen, Herr Staatsanwalt, daß mir jede natürliche Erklärung fehlt«, gesteht Molitor.
»Es muß sie aber geben«, entgegnet der Vorgesetzte gereizt und sieht einen Moment ins Leere. »Haben Sie die Uhrzeit zwischen dem Unfall und Hanussens Auftritt im Kursaal verglichen?«
»Das ist die einzige Abweichung«, erwidert der Kriminalbeamte: »Der Selbstmörder hat sich genau 13 Minuten vor Hanussens Direktschilderung vor den Zug geworfen.«
»Sie haben den Bäckergesellen überwachen lassen?«
»Ja«, antwortet Molitor. »Am Anfang nur aus Routine, wie die anderen potentiellen Täter, aber gestern nachmittag wurde seine Beschattung verschärft.« Er fängt Swobodas fragenden Blick auf. »Die Zeugin Maria hat sich so seltsam benommen – ich spürte, daß etwas faul sein mußte und das Alibi platzen würde.«
»Und der Bewacher hat geschlafen?«
»Keineswegs«, versetzt der Kriminalkommissar. »Aber es ist verdammt schwer, einen Verdächtigen auf freiem Feld zu verfolgen, ohne daß er es bemerkt. Kriminalobersekretär Slowik ist ein äußerst zuverlässiger Beamter, aber er mußte sich außer Sichtweite halten und dabei doch so in der Nähe des Beschatteten bleiben, daß der Kerl ihm nicht entschlüpfen konnte.«
»War er der erste, der den Selbstmord entdeckte?«
»Unmittelbar nach dem Lokomotivführer, gut dreißig Sekunden später.«
»Und 13 Minuten bevor dieser Scharlatan im Kursaal den Vorgang schilderte, als erlebte er ihn gleichzeitig.«
»Richtig«, bestätigt Molitor müde. »Es tut mir leid, aber es gibt einfach keine natürliche Erklärung …«
»Dann werde ich sie Ihnen geben«, entgegnet der Jurist grimmig. »Gestern nach der Vernehmung hat, wie auch immer, Hanussen aufgeschnappt, daß Sie den Bäckergesellen verdächtigen, und er witterte eine Chance, es vor Walters Verhaftung hinauszuposaunen. Vielleicht ließ er ihn selbst überwachen – oder aber Ihr vorzüglicher Slowik hat zuerst Hanussen verständigt statt uns – gegen eine entsprechende Summe natürlich.«
»Ausgeschlossen«, behauptet Molitor. »Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
»Dann eben ein anderer, der sofort nach dem Unfall ans Telefon gestürzt ist.«
»Unmöglich, Herr Staatsanwalt«, erwidert der Kripobeamte aufsässig. »Es ist ganz und gar ausgeschlossen, von der Unfallstelle in 13 Minuten an ein Telefon zu kommen.«
»Auch nicht mit einem Auto oder einem Motorrad?«
»Es wurde keines in der Nähe des Unfallorts gesehen. Ich habe mit mindestens einem Dutzend Zeugen gesprochen und einen in meiner langen Praxis seltenen Fall von Übereinstimmung erlebt.«
»Glauben Sie jetzt eigentlich auch schon an Hellseherei?« fragt Swoboda – er spuckt die Worte förmlich aus, und tatsächlich hängt ein Speicheltröpfchen an seinen Lippen. »Auf keinen Fall«, behauptet Molitor.
»Dann klären Sie die Vorgänge gefälligst auf«, befiehlt der Vertreter der Anklage die Quadratur des Kreises.
»Wenn Sie einen Hellseher suchen«, erwidert der Kriminalkommissar patzig, »dann müssen Sie sich an einen wenden, an Erik-Jan Hanussen,