Michael Unger . Ricarda Huch
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Wie Michael mit Genuß das frische Wesen des Freiherrn empfand, wurde er sich zugleich seiner eigenen Kraft bewußt, die sich in anderen Kämpfen entfalten sollte, als jener oder als der junge Russe sie führten, und wußte er auch selbst noch nicht, in welchen, so brannte er doch, sie zu kämpfen. Es tat ihm wohl, wenn der Mantel seines Begleiters sich hinter ihm aufblähte und in der Luft stand wie ein sausender Fittich; auch meine Seele wird die Flügel regen, dachte er, und sie werden mich über Hügel und Berge tragen, dahin, wo die Gedanken schweigen, dahin, wo Götter wohnen.
*
Bei jedem schönen Aufschwung, bei jeder fördernden Anspannung war Rose in Michaels Gefühl inbegriffen, ja er war sich bewußt, daß er nur durch sie und mit ihr die Kraft besaß, die über seine Natur hinausging. Es schien ihm keine Gefahr von ihr zu kommen, nichts, was ihn bedrohte, und er hätte eher einen Engel, der ihn hob und beseligte, als ihr Bild von sich verscheuchen mögen. Seit der Frühlingsnacht am Bodensee war ein Jahr vergangen, ohne daß er sie gesehen hatte; aber er wußte, daß sie in dem Dorfe war, wo sie im vergangenen Jahre das Kind hatte malen wollen. Es war kein langes Zaudern und Ringen, ehe er sich entschloß, zu ihr zu fahren; denn was hätte werden sollen, wenn er dem gewaltigen Zuge, der ihn zu ihr zog, nicht Folge leistete? Dann, so schien es ihm, würden die Saiten in ihm reißen, auf denen das Leben seine schönen wilden Lieder spielte, und ein tonloses Brett würde übrigbleiben, mit dem sich allenfalls seine Angehörigen an kalten Tagen das Zimmer würden heizen können. War er aber dazu bestimmt?
Ein wolkenloser Maitag sank lautlos und schimmernd auf die Flur, als der Zug, mit dem er abreiste, aus der Halle ins Freie lief. Bald begann in den Dörfern das Geläut zur Kirche und verschwebte, wie sie blitzschnell von einem zum andern glitten, in einem fernen, sanften Chor der Lüfte. Michael hatte die Fenster geöffnet und ließ die laue Luft zu sich herein; er wiederholte leise ihren Namen und träumte zu sehen, wie er sich in lauter rosigen Funken von seinen Lippen löste und gen Himmel stieg, bis die blaue See der Luft wie von Meeresleuchten damit erfüllt war. In den Glanz seines Glückes drang kein Zweifel, ob es durch eigene Stimmung oder durch Zufälle getrübt werden könne; er wußte, daß das Leben jetzt nur zwischen ihm und ihr war, eine selige Insel makellos aus dem Schwall der Zeit tauchend. Auf dem kleinen zwischen Bäumen versteckten Bahnhof, der eine Viertelstunde vom Dorfe entfernt lag, war sie nicht; aber er sah sie durch die Felder her, ihm entgegenkommen. Mit ihrem Anblick löste sich das fliegende Zittern seiner Seele in eine große Ruhe auf, so daß ihm war, als könne er jetzt ohne Scheideweh vom Leben in den Tod hinuntersinken. Sie faßten sich bei den Händen und gingen aufs Geratewohl über die Felder bis zu einer Anhöhe, wo eine Bank stand, auf die sie sich niedersetzten.
Rose zeigte ihm das Dorf: die wunderliche kegelförmige Kirche, die weißen Häuser in den grünen baumreichen Gärten, zwischen den Gehöften die lachenden Wiesen und die breiten streifigen Äcker, zum Teil von einem zarten Schleier keimender Saat überzogen, zum Teil schwarzbraun, auf denen Männer langsam hin und her gingen und Samen auswarfen. Es war ein Ring voll gefriedeter Erde, im Raume schwebend, auf allen Seiten durch dunkle Wälder gegen den Abgrund geschützt, durch eine weite unendliche Wölbung an den Himmel geschlossen. »Das ist dein Arkadien«, sagte Michael und blickte froh in ihre schönen Augen. Erst als sie in dem Zimmer waren, das Rose bewohnte, sahen sie sich wie erwacht und erstaunt an und begrüßten sich mit Leidenschaft. »Ich glaubte, ich hätte nicht auf dich gewartet, kaum an dich gedacht«, sagte Rose, »und nun du da bist, tötet mich die Angst, du könntest nicht gekommen sein.«
Unterdessen deckte Roses Wirtin einen schmalen hölzernen Tisch im Garten unter Bäumen, denn es war schon Nachmittag. Rose und Michael spürten nun auch, daß sie Hunger hatten, und aßen mit großem Vergnügen, während die Bäuerin ab und zu ging und sie bediente. Sie war eine große breite Frau von würdevoller Haltung und ebensolchen Bewegungen und mit dem Kopf einer altdeutschen Königin: auf dem glatten Haar, das sie in der Mitte gescheitelt und über die Schläfen heruntergekämmt trug, hätte man einen schweren Goldreifen voll bunter Edelsteine sitzen sehen mögen. Sie hatte kluge Augen unter stolzen Brauen und eine starke, gebogene, aber nicht unweibliche Nase; es war ihr anzusehen, daß sie mehr tatkräftig, ordnend und umsichtig als weichherzig war, doch zeigte ihr freundlicher Blick, daß man sie auch nicht ungütig nennen konnte.
In Abwesenheit der Frau erzählte Rose von ihrer Tüchtigkeit, da sie das große Gut allein auf das vortrefflichste bewirtschaftete; denn ihr Mann, ein arbeitsscheuer, trunksüchtiger Mensch, beeinträchtigte sie mehr, als daß er sie unterstützte. Sie hatte aus einer ersten Ehe eine erwachsene Tochter und einen kränklichen, an der Krücke hinkenden Sohn, welcher der Gegenstand geheimer häuslicher Ärgernisse und Zwistigkeiten war. Die Frau nämlich wollte hauptsächlich diesen Kindern, die schon von ihres verstorbenen Vaters Seite Vermögen hatten, den Ertrag ihrer Arbeit zuwenden, besonders dem Sohne, der seiner hinfälligen Gesundheit wegen ungünstig im Leben gestellt war; ihr zweiter Mann hingegen, und hauptsächlich dessen Mutter, verlangten, daß alles in der zweiten Ehe Erworbene dem in derselben erzeugten Kinde zufiele, von dem sie behaupteten, daß seine Mutter es benachteilige, ja nicht einmal liebhabe. Dies, meinte Rose, sei unwahr, eigentlich unmöglich, da das Kind, eben der kleine Knabe, den sie gemalt hatte, zu liebreizend sei, als daß man es nicht liebhaben könne; doch müsse sie sich freilich der Kinder des ersten Mannes, die der zweite und seine Mutter ungern sähen, besonders annehmen, und der Junge hatte infolge seiner Schwächlichkeit stets ihrer Pflege und Sorgfalt mehr als die anderen bedurft. Es sei zum Weinen wie zum Lachen, sagte Rose, daß diese Leute, aufgewachsen inmitten der Unschuld der Natur, und jahraus jahrein nur mit den geduldigen, stillzufriedenen Tieren und den im ruhigen Kreislauf blühenden und fruchttragenden Pflanzen beschäftigt, für nichts anderes Sinn hätten, als für Geld und Erwerb. Auch für die Bäuerin war das Geldverdienen eine Leidenschaft, doch war sie nicht kleinlich, und ihre Zuneigung, wie sie solche zu Rose hatte, drückte sie nicht selten in großartiger Uneigennützigkeit aus.
Sie luden die Frau ein, sich zu ihnen zu setzen, und Rose sagte: »Nicht wahr, Frau Gundel, ich schelte oft mit Ihnen, daß Sie so viel Aufhebens vom Gelde machen, anstatt des schönen Lebens, das jeder Tag hier bringt, von Herzen froh zu werden.«
»Das Fräulein kann freilich kaum einen Taler von einem Groschen unterscheiden«, sagte die Bäuerin und lachte; »uns, die wir von frühauf die harte Erde graben, liegt das im Blut. Es ist gewiß schön, nur so den Blumen und Tieren und Kindern zuzusehen und Bilder daraus zu machen; das Fräulein weiß aber nicht, wie es ist, wenn man das alles hat und in Ordnung halten muß, und wenn man denkt, daß die Kinder vielleicht einmal allein in der falschen Welt unter fremden, bösen Leuten zurückbleiben, die keinen Zwetschenkern für sie übrig hätten, im Fall sie es hungerte.« – »Ich glaube, die Welt ist weder so falsch, noch sind die Menschen so böse, wie Sie meinen«, sagte Rose. Die Bäuerin ließ nun ihre klugen Augen langsam zwischen Michael und Rose hin und her gehen und sagte freundlich: »Wie Mann und Frau schauen Sie aus, Sie zwei!« worauf Michael nach einer kleinen Pause antwortete: »Wir möchten es einmal werden.«
Als die Bäuerin fort war, sagte Michael: »Ich hätte das vielleicht nicht sagen sollen, aber ich glaubte, wir wären der Frau, die dir so zugetan ist, eine Erklärung unseres Verhältnisses schuldig.« Rose schwieg und nickte; sie blieben noch eine Weile unter den Bäumen sitzen und gingen dann zwischen den Wiesen spazieren, aber es hatte sich eine Schwermut auf sie gelegt, die sie nicht bannen konnten. Erst als die Sonne untergegangen war und es im Dorfe still wurde, kam ihnen die vorige Freude zurück. Es war rings kein Singen von Vögeln, kein Bellen von Hunden, kein Sprechen oder Lachen in den Häusern und Gärten, nur der Wind strich mit großem Flügelschlage über die bleichen Wege und die schwarzen, feuchten Äcker. Was singt er? fragten sie einander. Er singt: O Erde, du Liebesstern, du Leidensblume, du träumerische! Ich umschlinge dich und trage dich durch Schwärme von Sonnen, dein Antlitz ist schöner als alle. Als der Mond aufging, sahen sie sich lächelnd an und sagten langsam flüsternd, indem jedes einen Arm zu dem Gestirn emporreckte: »Mond, bleicher Engel, schütze uns vor Tränen!«