Michael Unger . Ricarda Huch

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Michael Unger  - Ricarda Huch

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stille Ruhenkönnen in der leisen, unbekümmerten Natur ihr Schönstes und Göttlichstes ist. Laß es dir doch genug sein an dem bescheidenen Gange des Lebens und erwarte keine Wunder, am allerwenigsten aber von mir, den du vielmehr ganz und gar, in jedem Zusammenhange kennen und wie das Brot auf dem Tische liebhaben solltest. Warum kann ich mich niemals ohne Furcht und Mißtrauen schweigend an dich lehnen, mich bei dir ausruhen, glücklich, die Kleinlichkeit des Geschäftes zu vergessen und mit dir dem Stammeln und Zappeln unseres Kindes zuzusehen? Der Hauch des Frühlings dringt zu uns durch das Fenster, hinter uns stehen buntverschleierte Lampen neben einladenden Sesseln und zahllose reizende Bequemlichkeiten, welche die meisten Menschen entbehren; wir genießen es nicht, sondern tragen Unfrieden, Streit und Widerstreben hinein.«

      »O Gott«, rief Verena aufflammend, »daß du mir mit jedem Blick und jedem Wort Altweibermoral und Bierbürgerideale predigen mußt! Gibt es denn nichts auf Erden zu ersehnen, als die Ruhe im Arm des Weibes und Dämmern im Sessel bei verschleiertem Lampenlicht? Halte mir doch nicht diese abgestandene Zimmerpracht vor als eine hohe Glückesgabe, deren wir uns würdig zeigen müssen, indem wir sie faulenzend genießen. Wären wir Bettler! Müßten wir barfuß durch die Frühlingsnacht wandern und in der Fremde um das Brot für unser Kind kämpfen! Die Ruhe und Wohlhabenheit des Hauses, die bei Verlust der Seelenseligkeit nicht gestört werden durfte, war der Fluch meiner Kindheit und Jugend. Da sah ich dich und dachte, du würdest mich erlösen!«

      Sie sah ihn mit ihren schönen, dunklen Augen traurig an, und er erinnerte sich ihrer Brautzeit nicht ohne Wehmut und ein unbewußtes Reuegefühl. »Ich hatte immer die Ahnung«, sagte er nach einer Weile, »daß du mehr von mir erwartest, als ich leisten kann. Ja, du kennst mich nicht, das ist unser Unglück, und das macht unsere häufigen Mißverständnisse aus, daß du einen andern anredest, ein Bild deiner Phantasie, dem vielleicht mein Bruder Raphael eher entspräche, und daß doch die Antwort von mir kommt. Man sagt, daß ich ein schönes und bedeutendes Gesicht habe, und das mag dich verführt haben, dämonische Triebe bei mir zu suchen, die dir ein abenteuerlich hinreißendes Leben versprachen. Aber ich bin nichts anderes und will nichts anderes sein, als ein mittelmäßiger Mensch, mit menschlichen Schwächen und Neigungen, der den Wunsch hat, das gut zu machen, was seine Pflicht von ihm fordert, und dessen größter Vorzug es eben sein mag, daß er seine Grenzen kennt. Diesen Menschen, der ich in Wirklichkeit bin, kennst du weder, noch liebst du ihn.«

      Er sprach aufrichtig und mit Überzeugung aus, was er sich an eben diesem Tage klar zurechtgelegt hatte, und war fast erschrocken über die Wirkung seiner Worte; denn Verena glaubte in seiner Behauptung, sie kenne und liebe ihn nicht, einen zärtlichen Vorwurf zu hören, und sogleich im Innersten dadurch umgewendet, warf sie sich heftig zu seinen Füßen nieder und schluchzte: »Ich liebe dich nicht? O Michael, ich liebe dich allzusehr, mit unsäglichen Schmerzen! Sage auch das nicht, daß ich dich nicht kenne. Nur ich kenne dich, nicht deine Eltern, du selbst dich nicht. Sähest du dich mit meinen Augen! Ja, dein Gesicht verrät dich, wie anders du bist, als du glaubst. Wolle nur, du könntest alles, wenn du nur wolltest. Ein Jahr lang schon schmachtet mein Herz an deinem Herzen, und du gibst mir nichts als das bürgerliche Vorschriftsgefühl, in das du auch deine Liebe eingezwängt hast. Hundertmal, wenn du kamst, warf ich mich dir entzückt und erwartungsvoll entgegen, und wenn ich dann den ledernen Panzer, in den du dich geschnürt hast, berührte, wurde mein Herz kalt und kehrte sich ab. Ein ganzes Leben in bequemem Genuß an deiner Seite verlebt, gäbe ich gerne, wenn ich dich einen Tag lang sehen könnte, wie du bist, in der Kraft und Schönheit deines Wesens.«

      Sie sprach die letzten Worte unter Tränen an seiner Brust, denn es war ihm unterdessen gelungen, sie an sich zu ziehen, und er streichelte, in Gedanken verloren, sanft ihre schweren blonden Haare, froh, daß ihn eine warme, erbarmende Zärtlichkeit für sie überkam.

      »Armes Kind«, sagte er liebkosend, »ich glaube, du kennst dich selbst noch weniger als mich. Was möchtest du denn, das ich täte? Soll ich mein Hab und Gut auf einem Scheiterhaufen verbrennen und sagen, alles ist eitel, oder es unter die Armen verteilen und den Steinen predigen? Soll ich Parteigänger werden, Vereine gründen und Volksreden halten? Soll ich einen sechsten Weltteil entdecken oder ausziehen, um den Stein der Weisen zu suchen? Alles das würde dir in Wirklichkeit nicht gefallen.«

      »Wenn es dir Ernst wäre, warum nicht«, sagte sie weich. »Könnte ich dir in Worten sagen, was ich so deutlich fühle. Als ich ein junges Mädchen, ein halbes Kind noch war, wenn ich dann an solchen Frühlingsabenden zusah, wie alle Gegenstände langsam in der großen stillen Nacht untergingen, fühlte ich die ungeheure Macht des Lebens mir so nah, als könnte ich mit meinen Händen den Schleier davonziehen, und nur eine wunderliche Scheu, ja die Sehnsucht selbst hielt mich davor zurück. Alles, was ich kannte und was mich umgab, war so anders, so schattenhaft, so fade und häßlich gegen das Leben, das sich meiner Seele offenbarte; erst als ich dich kennenlernte, glaubte ich es zu berühren.«

      »Liebe Verena«, sagte Michael, indem er sie auf die braunen Augen küßte, »diese Sehnsucht, die du fühltest, war nichts als die Sehnsucht der ganzen keimenden Frühlingserde und ging in dich hinein, nicht nach außen in die Welt. Nach Liebe sehntest du dich, nach Blüten und Früchten, und was dich bei meinem Anblick ergriff, war die Ahnung des Glückes, das uns in unserem Kinde beschieden sein sollte.«

      Sie schüttelte den Kopf, aber entgegnete nichts, um die zärtliche Stimmung nicht zu verscheuchen, in der es ihr wohl war. Im Innern wiederholte sie sich stürmisch: Nein, es kann nicht sein, das kann nicht alles sein! wie sie unzählige Male dachte, wenn sie, an dem kleinen Kinderwagen sitzend, die alte Sehnsucht fühlte, nur nicht mit der früheren Wonne und Zuversicht, sondern wie aus einer Gefängniszelle heraus, deren Pforte nicht knarrt, wie mit Flügeln, die ein unglücklicher Flug gelähmt hat.

      Michael ahnte, was für Gedanken sie zurückhielt; er rief sich die ersten Monate ihrer Schwangerschaft ins Gedächtnis zurück, wo sich das Nichtverstehen zwischen ihnen ausgebildet hatte; denn keine himmlische Beseligung hatte sich an ihr gezeigt, wie er es für selbstverständlich gehalten hatte, sondern ein qualvolles inneres Ringen, das bald in bitterer, spröder Kälte, bald in glühendem Haß gegen ihn ausbrach, bis sie schließlich, aufgelöst und demütig, wie eine, die sich zum erhabensten Opfer entschlossen hat, mit krampfhaft gesteigerter Liebe an ihm niedersank. Dies alles hatte er mit Befremden angesehen, wie ein Schauspiel, in dem er seine Rolle nicht kannte, und eine immer wachsende Enttäuschung bemächtigte sich seiner, wovon er aber, zartfühlend und gut wie er war, angesichts ihrer Leiden nichts hatte merken lassen. Wenn er sich kälter werden fühlte, hielt er sich vor, wie sehr er sie geliebt hatte, wie sie so fein, klug, stolz und feurig war, und vor allem, daß er sein Wort gegeben hatte, ihr treu zur Seite zu stehen und sie zu beglücken; was stets genügte, um ihn in einem gleichmäßigen Betragen voll Rücksicht und liebevoller Freundlichkeit gegen sie zu erhalten. Dazu kamen ihm jetzt, während sie an ihn gelehnt sich am Gefühle seiner zärtlichen Nähe berauschte, die Gedanken des Vormittags zurück, und er freute sich seiner geistigen Kraft, die ihm möglich machte, die Trockenheit des Lebens zu erkennen und bewußt auf sich zu nehmen, anstatt wie sie, die Schwächere, sich ein phantastisches Dasein in Nebel und Wolken zu erschleichen und dabei, strauchelnd und unsicher, stets der hilfreich stützenden Hand zu bedürfen.

      Ein helles Geschrei weckte sie aus ihren Gedanken, und sie eilten beide, vergnügt lachend, in das Kinderzimmer, um zu sehen, was es gäbe. Dort hatten sich bereits mehrere Dienstboten und Michaels Eltern versammelt und sahen zu, wie die Amme das schreiende Kind singend und wiegend im Zimmer herumtrug, ohne die leiseste Veränderung dadurch zu erzielen. Der Großvater holte Uhr und Kette, einen goldenen Bleistift und was er sonst dergleichen bei sich trug, hervor und hielt es dem Enkel hin, in der Hoffnung, die kleinen geballten Hände möchten sich lösen und danach greifen, doch vermehrte sich nur seine Wut, da die Amme einen Augenblick zu singen aufhörte, um Verena Rede zu stehen, die ihr schuld gab, die vorgeschriebene Pünktlichkeit in der Ernährung nicht eingehalten zu haben. Der winzige und doch energische Zorn, der sich durch nichts begütigen ließ, hatte etwas Komisches, zugleich aber lag das Unaufhaltsame der Elemente darin, das man erstaunt und bänglich über sich austoben lassen muß. Michaels Mutter, die schöne

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