Michael Unger . Ricarda Huch
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Читать онлайн книгу Michael Unger - Ricarda Huch страница 22
Besonders schwer wurde es ihm, was er aber für seine Pflicht hielt, Raphael zu veranlassen, daß er ihm über sein Verhältnis zu dem Mädchen, in das er sich verliebt hatte, Rede stände. Auf nachdrückliche Vorstellungen hin sagte Raphael, er hätte den Plan, das Mädchen zu heiraten, aufgegeben und damit alles getan, was von ihm verlangt werden könne; alles Weitere ginge niemanden etwas an. Michael wußte, daß die Verbindung noch bestand, daß sein Bruder ein Kind von dem Mädchen hatte und sie unterhielt; letzteres, sagte er, sei allerdings seine Pflicht, er solle für beide sorgen, aber dem Liebesverhältnisse ein Ende machen. Ob er denn, wenn er heiratete, zwei Haushalte nebeneinander haben wollte, einen offenen und einen heimlichen? Außerdem werde die Frau mit der Zeit vollständige Gewalt über ihn bekommen, und bei seiner Schwachheit könne das zu allem möglichen führen.
Raphael hatte den Charakter seines Bruders immer dem seinigen überlegen gefühlt und sich manches strenge Wort von ihm gefallen lassen; jetzt blieb er eigensinnig verschlossen und sagte schließlich: »Du hast mir genommen, was mein höchster Lebenstraum war, laß mich nun zufrieden, wenn ich mir die drückende Gegenwart erträglich mache, wie es gehen will. Erst hast du mir die echten Perlen entrissen und verachtest mich jetzt, wenn ich mit gemeinem Tand vorliebnehme.«
Michael war erschrocken und entrüstet zugleich. »Du bist auf dem Wege, der traurigste Lügner zu werden, den die Erde trägt«, sagte er, »der sich selbst belügt, um sich höher achten zu können. Was ich dir genommen habe, war der Irrglaube an deine Fähigkeiten, und was ich dir aufgezwungen habe, ist ein einträglicher Beruf, der keine übermäßigen Pflichten und viele Vorteile für dich mitbringt. Bist du wirklich ein Künstler, so kann ich dir das nicht rauben, so wenig wie irgendein anderer Mensch. Vor allen Dingen aber hast du die Liebschaft mit der Kellnerin angezettelt, als du noch nichts als Künstler warst und keinen Flitter gebrauchtest, um ein häßliches Leben herauszuputzen.«
»Damals war es ein Spiel«, sagte Raphael, »jetzt bin ich Geschäftsmann, und alles was ich tue, wird ernst, gewichtig und folgenschwer. Hören wir auf, diese nutzlose Unterredung zu führen, du sprichst wie ein Freier zu einem Gefangenen, und so verstehen wir uns nicht mehr.«
Michael fühlte, daß es in der Tat nichts fruchtete, zu reden, wenn auch aus einem anderen Grunde; Bangigkeit und Ekel erfüllten ihn mehr und mehr. Er suchte sich einzureden, daß Raphaels Torheiten im Grunde nicht so viel zu bedeuten hätten, daß er es nicht anders machte als unzählige junge Männer seines Standes; aber er konnte sich doch nicht dabei beruhigen. Einmal dachte er daran, Verena zu bitten, daß sie ihn beeinflußte, da sie ja so befreundet miteinander waren; doch gerade deswegen scheute er wieder davor zurück, ihr etwas zu eröffnen, was sie ohne Zweifel noch strenger als er beurteilen und sie vielleicht gegen ihn einnehmen würde. Als sich eine Gelegenheit bot, stellte er Raphael noch einmal mit Herzlichkeit vor, daß er jetzt, in seiner Abwesenheit, die Stütze und das Gewissen der Familie sei, daß ihr Vater zu altern beginne und mehr und mehr entlastet werden müsse; käme er selbst in einigen Jahren zurück, so werde er selbst, wenn auch in einem anderen Berufe stehend, die allgemeine Verantwortung als der Älteste wieder auf sich nehmen, bis dahin möge er besonnen und ein Mann sein. Raphael war diesmal weicher und zugänglicher; aber es schien Michael, als fehle ihm das kräftige Knochengerüst, um das zu tragen, was er wohl guten Willen hätte auf sich zu nehmen, und so hatte er keineswegs Sicherheit über seine künftige Haltung gewonnen.
Als Michaels Aufenthalt sich seinem Ende näherte, hatte Waldemar sich wieder daran gewöhnt, von ihm begleitet des Morgens in das Geschäft zu gehen und des Abends eine Zeitung zu lesen und zu rauchen, während er neben ihm saß. Es drängte Michael ungeduldig, fortzukommen, und zugleich fürchtete er, es würde irgendwo, vielleicht aus seinem eigenen Innern, sich eine Macht erheben, die ihm das Scheiden unmöglich machte. Dennoch saß er endlich im Eisenbahnwagen, der ihn fortführen sollte, und sein Vater stand vor dem Wagen und sah mit schweren, klagenden Augen zu ihm hinein. Indem er ihm zunickte und die letzten Worte mit ihm wechselte, fiel ihm ein, daß der Vater allein vom Bahnhofe in die Stadt zurückgehen müßte, und seine Beängstigung war so groß, daß er glaubte, aus dem Wagen springen zu müssen, als der Zug sich schon bewegte. Später, als er einige Stationen entfernt war, dachte er ruhiger darüber nach und fand, daß die drückenden Verhältnisse zu Hause ihm eine ungesunde Art, zu empfinden, angewöhnt hatten. Er wußte unzählige Familien, wo nicht ein Sohn, sondern mehrere Söhne in der Fremde waren, ja sogar für immer an verschiedenen Orten lebten, ohne daß es als etwas Schmerzliches oder Unrichtiges angesehen wurde; jeder verständige Mensch würde lachen und es für krankhaft erklären, wenn er hörte, die Tatsache, daß sein Vater einen halbstündigen Gang ohne seine Begleitung machen müsse, hätte sein Herz so tief erschüttert. Wer würde, dachte er, noch ein freies Auge mit Freude zum Himmel aufschlagen können, wenn er stets an die Schmerzen denken wollte, mit denen seine Mutter ihn geboren, an alle Tiere, die, um ihn zu ernähren, das Leben lassen mußten, an die Gefangenen, welche die frische Luft, die ihm wohltätig, nicht atmeten, an alle Sorgen, alles Elend, alle Qualen, die gelitten werden mußten, damit für einen ein Augenblick des Glückes kommen konnte? Er sprang auf und ging in dem engen Raume auf und ab und hob die Arme hoch, als wollte er sich vor den Gewalten retten, die aus Urgründen heraus, seinen innersten Eingeweiden verflochten, seinem Blute vermischt, mit unzähligen Geisterarmen sich in ihm verzweigten und ihn hinab in ihr dunkles Leben ziehen wollten, vor dem ihm graute.
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