Michael Unger . Ricarda Huch

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Michael Unger  - Ricarda Huch

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warm werden und nie schmelzen kann.« Michael antwortete nicht darauf, und Rose bereute plötzlich, daß sie diese Bemerkung gemacht hatte, ohne sich selbst recht klarwerden zu können, warum.

      Verena vermißte ihren Mann nicht, so sehr war sie von Bewunderern umringt, die ihr als Veranstalterin, Malerin und Dichterin huldigen wollten. Auch hatte sie noch fortwährend aufzumerken, daß alles seinen rechten Gang ginge, und kam ihren Verpflichtungen mit einer Umsicht und Geistesgegenwart nach, welche die beteiligten Herren stets zu neuen schmeichelhaften Versicherungen anfeuerte. Häufig sah man auch Peter Unkenrode an ihrem Zelte, der wie ein Fürst ab und zu ging, bestrebt, den Strom seines Goldes gerecht zu verteilen und kein Fleckchen zu überschwemmen, keines ganz verschmachten zu lassen. Dennoch war nicht zu verkennen, daß er Verena auszeichnete, die darüber zugleich lächelte und triumphierte, je nachdem Arnold Meier oder ein anderer sie damit neckte.

      Arnold Meier pflegte bei solchen Anlässen nie zu fehlen, regte durch lustige Einfälle an und füllte namentlich die Pausen, die von Zeit zu Zeit zum Essen und Trinken gemacht wurden, mit witzigen Reden aus. Während an kleinen Tischen gefrühstückt wurde, die nahe genug beieinander standen, daß die Unterhaltung von einem zum anderen gehen konnte, schlug er an sein Glas, um eine Rede auf das goldene Kalb zu halten, und begann etwa folgendermaßen: »Ich bitte die verehrten Anwesenden um Erlaubnis, das Wohl eines trefflichen und nützlichen Tieres auszubringen, das wir alle kennen und schätzen, ja insgeheim mehr oder weniger anbeten; denn das Kalb, an das ich denke, ist nicht das gemeine, von der Kuh geworfene, im Stalle geborene, vom Metzger geschlachtete, sondern das goldene Kalb, das die Bewohner Palästinas Mammon nannten. Werden Sie mir in pietätvoller Erinnerung, daß Jehova, der ein eifriger Gott war, sich die Vergötterung dieses beliebten Tieres verbat, die Erlaubnis verweigern? Ein anderes Mal, verehrte Freunde, würde ich mich dieser löblichen Gewissenhaftigkeit fügen, aber heute, heute lassen Sie uns unseren schönen Götzen öffentlich rühmen und unser Fest seiner Gnade empfehlen. Wenn er nicht über uns thronte in seiner goldenen Fülle, wenn sein breites, triefendes Maul uns nicht lächelte, was hülfen uns unsere Schönen und selbst ihr Genie und ihre Talente? Ja, gestehen wir es, das goldene Kalb ist eine brauchbare Bestie, gemästet an Leib und Seele, glatt und feist von Gliedern, mit Recht hoffärtig, und Jehova hatte Ursache, eifersüchtig zu sein. In seinem runden Bauch, der glänzt wie ein Spiegel, sehen wir unser Bild dick, breit und zufrieden, so wie wir sein wollen und sollen. Wir haben ihm trotz seiner Schönheit noch kein Standbild auf unserem Markte errichtet, gönnen wir ihm ein Heiligtümchen in einem schattigen Winkel unseres Herzens. Bringen wir ihm einige Tropfen des edlen Weines, den wir durch seine Gnade genießen und der uns so unentbehrlich ist, wenn wir fröhlich und witzig sein möchten.«

      So erging er sich eine gute Weile, funkelnd vor Spott und Vergnügen, durch Gelächter und Beifallsklatschen häufig unterbrochen. Die größte Genugtuung für ihn und die Eingeweihten war, daß Peter Unkenrode, der am nächsten Tische saß, wohlwollend glänzte und lachte und, obwohl er im allgemeinen kein Freund Arnold Meiers war, die feineren Wendungen durch ein kurzes billigendes Wort hervorhob. Am Abend indessen, als nach Beschluß des Verkaufes ein Gelage gefeiert wurde, bei dem es laut und üppig zuging, führte seine bittersüße Laune einen verdrießlichen Ausgang herbei.

      Ohne Anlaß stellte er plötzlich an Malve die Frage, ob sie wisse, zugunsten welcher Notleidenden der Basar eigentlich unternommen sei; worauf sie sich erstaunt im Kreise umsah und lächelnd, als ob es sich um die fremdeste und gleichgültigste Sache handelte, sagte: »Nein, wie sollte ich das wissen? Es ist niemals davon die Rede gewesen.« Alle lachten, am meisten Waldemar, der immer lustiger und zugänglicher war, wenn er eine Flasche guten Weines getrunken hatte, und den die Weltunerfahrenheit und das kindliche In-den-Tag-Hineinleben seiner Frau stets von neuem entzückte. Auch Arnold Meier lachte, nahm dann aber mit einem gewissen Nachdruck das Wort und sagte:

      »Dieselbe Antwort hätte ich vielleicht von mehreren schönen Lippen erhalten, wenn ich in die Runde fragte; um aber etwaige Verlegenheiten zu ersparen und weil ich glaube, daß es Sie höchlichst interessiert, will ich Ihnen mitteilen, daß der Ertrag des Basars für die Arbeitslosen bestimmt ist, deren Elend diesen verflossenen Winter über die Augen ihrer Mitchristen auf sie gelenkt hat. Aus den Münzen, die galante Herren hier den Grazien opfern, wird eine angenehme Halle erbaut werden, wobei diejenigen, welche nichts Besseres zu tun haben, beschäftigt werden und wo sich außerdem diejenigen ein wenig erwärmen und vielleicht auch sättigen können, die zu Hause keine Gelegenheit dazu haben. Um Sie noch eingehender über den Hintergrund des Weißen Basars zu unterrichten, will ich Ihnen ausmalen, wie es in dieser Stunde bei denjenigen aussieht, denen Sie das Opfer dieses Festes mit so viel Arbeit des Geistes und des Körpers bringen. Mann und Frau und Kinder werden sich in ihre Lumpen hüllen, denn sie wissen, daß im Frühling die Nächte noch kalt sind, und das jüngste Kind wird in durchnäßten Windeln zittern. Auf dem wackeligen Tisch wird ein Teller voll Kartoffeln stehen, und der Säugling wird mit einer spülichtfarbenen Suppe ernährt, in der einige Brocken Brot schwimmen. Vielleicht wird eine zerbrochene Petroleumlampe brennen oder die ganze Familie kriecht im Dunkeln in das eine strohgefüllte Bett zusammen. Sie können sich vorstellen, welch eine Erbauung und welch ein Trost es für diese Elenden bedeutet, zu wissen, daß edle Menschenfreunde zu ihrem Wohle in glänzend geschmückten Sälen zusammenkommen und überflüssige Dinge kaufen und verkaufen, daß sie, um ihnen wohlzutun, Hummersalat, Spickaal und Austern essen, um ihnen wohlzutun, Champagner trinken, daß insbesondere die edlen Frauen, um ihnen wohlzutun, ihren vollen Hals und ihre weißen Arme enthüllen, damit die geblendeten Männer um so lieber den Beutel ziehen und leeren.«

      Es waren während der ganzen Rede abwehrende Bewegungen gemacht und warnende Ausrufe laut geworden: bei den letzten Worten stand Waldemar, der seinen Zorn bis dahin unterdrückt hatte, mit Geräusch auf und rief: »Genug, wir sind hier in keiner französischen Komödie!«, worauf sich auch einige andere Herren von den Stühlen erhoben. Malve fand diesen heftigen Ausdruck ihres Mannes weit lächerlicher und unanständiger als Arnold Meiers Rede und tauschte mit Raphael einen Blick des Einverständnisses darüber aus. Um den störenden Eindruck soviel wie möglich zu verwischen, sagte sie zu Arnold Meier, der während des Sprechens die scharfen, blitzenden Augen unausgesetzt auf sie gerichtet hatte, weniger unfreundlich als kindlich schmollend: »Wollten Sie mich wieder einmal erziehen, lieber Arnold? Bin ich Ihnen selbst heute nicht alt genug, daß Sie die Hoffnung aufgeben, etwas zu erreichen?« Der Scherz wurde bereitwillig belacht, und während sich hier und da wieder Gespräche anknüpften, fügte die Malve langsam hinzu: »Ich fühle mich auch nicht einmal getroffen, denn das herzlose Weib, als das Sie mich malen möchten, bin ich nicht; nur ein oberflächliches Weltkind bin ich, und das werde ich wohl auch bleiben, denn etwas anderes aus mir zu machen, ist es zu spät.« Sie sagte es in einer Weise, daß kein Zweifel blieb, daß sie zufrieden war mit der Rolle, die sie im Leben spielte, dennoch lag eine leise, feuchte Wehmut in dem Blick, mit dem sie träumend ins Weite sah.

      Inzwischen war auch Verena aufgestanden und sagte mit klarer Stimme: »Ich finde, daß Herr Arnold Meier mit dem, was er uns zu verstehen geben wollte, recht hat. Das weiße Fest hat einen toten, kalten, harten Klang, und man sieht ihm an, daß es von gedankenlosen Egoisten angeordnet ist. Da wir es nun aber einmal unternommen haben, können wir nichts Besseres tun, als es mit möglichst großem Erfolge zu Ende zu bringen. Zu diesem Zwecke will ich, so viel an mir ist, sogleich den Anfang machen und mit den übrigen Mitgliedern des Vorstandes, die den Auftrag haben, abrechnen und die nötigen Einrichtungen für morgen treffen.« Sie reichte Arnold Meier ihre Hand, der sie küßte und ihr dann den Arm bot, um sie in den Geschäftsraum zu führen.

      Rose hatte während dieses Vorganges unwillkürlich hilfesuchend auf Michael geblickt, der, sowie sein Vater aufgesprungen war, den Arm in den seinigen gelegt hatte und, um ihn zu beruhigen, langsam in dem großen Saale mit ihm auf und ab ging. Er erwiderte Roses Blick mit einem Zusammengehörigkeitsgefühl, das er noch nie so lebhaft empfunden hatte und das ihn beglückte, obwohl ihm der Vorfall äußerst widerlich und besonders auch darum peinlich war, weil Rose ihn miterlebte. Als ob sie sich durch den Blick verabredet hätten, wendete sie sich freundlich zu Malve und klagte über Müdigkeit, worauf diese sofort einging und Raphael bat, den Wagen vorfahren zu lassen, damit sie

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