Der Fall Deruga. Ricarda Huch

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Fall Deruga - Ricarda Huch страница 4

Автор:
Серия:
Издательство:
Der Fall Deruga - Ricarda Huch

Скачать книгу

gegen Sie erhobenen Verdacht zu Ohren kam.«

      »Durch einen sehr anständigen Menschen«, begann Deruga, »sehr anständig und achtungswert, obgleich er nur ein roher italienischer Weinhändler ist. Der Mann heißt Tommaso Verzielli und kam vor fünfzehn Jahren als ein armer Teufel zu mir, nachdem er eine fünfjährige Gefängnisstrafe verbüßt hatte. Er hatte nämlich einen Polizisten niedergestochen, der eine arme alte Frau verhaften wollte, weil sie in einem Bäckerladen ein Brot genommen hatte. Er war sehr verzagt und wollte nach Italien zurück, denn unter Deutschen, sagte er, würde er doch nicht aus dem Gefängnis herauskommen, weil er fortwährend Dinge mit ansehen müßte, wobei ihm das Blut zu Kopfe stiege. Ich sagte, das würde in Italien nicht anders sein, und redete ihm zu, er sollte die Menschen sich untereinander zerreißen lassen, sie wären einander wert, und es wäre um keinen schade. Er solle heiraten und nur noch für Frau und Kinder arbeiten und sorgen, und außerdem gab ich ihm den Rat, einen Handel mit italienischen Weinen und anderen Lebensmitteln anzufangen, und schoß ihm ein kleines Kapital dazu vor. Das hat er mir längst zurückgestellt, denn durch Fleiß und Intelligenz brachte er sich schnell in die Höhe, aber er widmet mir immer noch eine Dankbarkeit, als ob ich ihm täglich neu das Leben schenkte.

      Dieser Verzielli also kam Mitte November am späten Abend in voller Aufregung zu mir gelaufen und erzählte mir, der italienische Konsul, Cavaliere Faramengo, ein guter alter Herr, aber etwas schwachsinnig, sei bei ihm gewesen – Verzielli hat nämlich jetzt ein sehr feines Restaurant – und habe sich unter der Hand nach mir erkundigt und als tiefstes Geheimnis verraten, daß ich als Mörder meiner geschiedenen Frau verhaftet werden sollte. Der gute Mensch war außer sich und bot mir sein ganzes Vermögen an, wenn ich nach Amerika fliehen wollte. ›Deruga und fliehen? Da kennst du Deruga schlecht, guter Freund‹, sagte ich und lief sofort, trotz Verziellis Flehen, zum italienischen Konsul. Der arme alte Herr hat fast einen Schlaganfall bekommen, so heftig stellte ich ihn zur Rede, und da ich von ihm keine genügende Auskunft bekam, reiste ich hierher, um den Ursprung des infamen Gerüchts kennenzulernen.«

      »Es mußte Ihnen mitgeteilt werden«, fiel Dr. Zeunemann ein, »daß das Gericht bereits beschlossen hätte, die Anklage auf Mord gegen Sie zu erheben, und daß Sie eine etwaige Beleidigungsklage bis zur Beendigung des Prozesses zu verschieben hätten. Wenn Ihr erstes Auftreten, wie ich nicht unterlassen will zu bemerken, den Schein der Schuldlosigkeit erwecken konnte, so belastete Sie hingegen Ihr Verhalten dem Untersuchungsrichter gegenüber in bedenklicher Weise. So haben Sie zuerst auf die Frage, wo Sie vom 1. bis 3. Oktober gewesen wären, die Antwort verweigert. Dann haben Sie erzählt, Sie wären in der Absicht, sich das Leben zu nehmen, fortgefahren, an einem beliebigen Haltepunkt ausgestiegen und dann aufs Geratewohl querfeldein gegangen, bis Sie in eine ganz einsame Gegend gekommen wären. An einem Flusse hätten Sie lange gelegen und mit sich gekämpft, bis Sie darüber eingeschlafen wären. Nach vielen Stunden festen Schlafes wären Sie ernüchtert aufgewacht, hätten sich noch eine Weile herumgetrieben und wären dann heimgefahren. Schließlich tauchte die Geschichte von der geheimnisvollen Dame auf. Der Born der Phantasie sprudelt sehr ergiebig bei Ihnen.«

      »Nicht so, wie Sie meinen«, sagte Deruga. »Ich wollte nur den Untersuchungsrichter ärgern und kann wohl sagen, daß mir das gelungen ist. Er hat beinah Nervenkrämpfe bekommen.«

      Dr. Zeunemann ließ eine Pause verstreichen, bis das Gelächter im Publikum verstummt war, und sagte dann: »Es wundert mich, daß ein Mann in Ihrer Lage, in Ihrem Alter und von Ihrem Verstande sich so kindisch benehmen mag – oder so töricht, denn vielleicht waren Ihre verschiedenen Angaben auch nur ein Verfahren, darauf zugeschnitten, unsicher zu machen und irrezuführen.«

      »Sind Sie schon einmal von einem täppischen Untersuchungsrichter ausgefragt worden?« fragte Deruga. »Nein, wahrscheinlich nicht. Also können Sie nicht wissen, wie Sie sich in solcher Lage benehmen würden. Allerdings vermutlich vernünftiger als ich. Sie haben eine beneidenswerte Konstitution. Sie sind so recht ein Musterbeispiel, wie der gesunde Mensch sein soll. Alle Erschütterungen durch häßliche Eindrücke, Fragen, Zweifel und Leidenschaften werden bei Ihnen durch eine tadellose Verdauung geregelt, so daß Sie sich immer im stabilen Gleichgewicht befinden; ich dagegen bin unendlich reizbar.«

      Dr. Zeunemann hatte versucht, den Angeklagten zu unterbrechen, aber ohne genügenden Nachdruck. »Sie haben wohl auch mehr Ursache, unruhig zu sein, als ich«, sagte er jetzt mit leichter Ironie. »Vielleicht würden Sie sich wohler fühlen, wenn Sie es einmal mit vollkommener Offenheit versuchten, anstatt sich und uns durch Ihre Winkelzüge zu reizen.«

      »Sie, Herr Präsident, will ich nicht ärgern, darauf können Sie sich verlassen«, sagte Deruga mit einem freundlich beschwichtigenden Tone, wie man ihn etwa einem Kinde gegenüber anschlägt.

      »Warten Sie im Vorsaal des ersten Stockes auf mich«, flüsterte Justizrat Fein seinem Klienten zu, als gleich darauf die Sitzung aufgehoben wurde. Von dort aus gingen sie zusammen durch ein rückwärtiges Portal in die Anlagen, die auf eine stille Straße ohne Geschäftsverkehr führten. Vor einem mit Gesträuch bewachsenen Hange blieb der Justizrat stehen, stocherte mit der Spitze seines Regenschirmes in der alten, feuchtverklebten Blätterdecke und sagte: »Da muß es bald Schneeglöckchen und Krokus geben; ich will ihnen den Weg ein wenig frei machen.«

      »Kommen Sie, kommen Sie«, sagte Deruga, den Justizrat am Arm ziehend. »Die finden ihren Weg ohne Sie. Sagen Sie, kann ich heute nachmittag, während der Sitzung, nicht lesen oder noch lieber schlafen? Das Zeug langweilt mich unbeschreiblich; Sie könnten mir ja einen Stoß geben, wenn ich mich betätigen muß.«

      »Machen Sie keine Dummheiten«, sagte der Justizrat; »heute nachmittag wird wahrscheinlich der Hofrat von Mäulchen vernommen, der sehr schlecht für Sie aussagen wird. Sie müssen also aufpassen, ob Sie ihm nicht Ihrerseits etwas am Zeuge flicken können.«

      »Am Zeuge flicken!« rief Deruga aus. »Umbringen möchte ich ihn. Ich hasse diesen Menschen, vielmehr diesen rosa Wachsguß über einer Kloake.«

      »Hören Sie, Deruga«, sagte der Justizrat. »Ich verstehe Sie öfter nicht, doch das am wenigsten, wie Sie einem Menschen Geld schuldig bleiben mochten, den Sie haßten. Sie hätten doch das Geld auch von anderer Seite haben können, zum Beispiel von dem guten Verzielli.«

      »Wahrscheinlich hätte es Ihr Ehrgefühl verletzt, einem verhaßten Menschen Geld zu schulden«, sagte Deruga. »Sehen Sie, bei mir ist das anders. Mir machte es Vergnügen, zu sehen, was für Angst er um seine Taler hatte und wie er sich quälte, die Angst nicht merken zu lassen, sondern den Anschein zu wahren, als wäre es ihm ganz gleichgültig. Denn er will erstens für unermeßlich reich und zweitens für sehr weitherzig in Geldsachen gelten. Hätte ich Geld im Überfluß gehabt, würde ich ihn wahrscheinlich doch nicht ausbezahlt haben, um ihn zappeln zu lassen.«

      »Ich glaube, Sie können fürchterlich hassen«, sagte der Justizrat nachdenklich, indem er den Doktor nicht ohne Bewunderung von der Seite betrachtete.

      Dieser lächelte herzhaft und ausgiebig wie ein Kind. »Das kann ich allerdings«, sagte er. »Ich möchte manchmal einem ein Messer im Herz umdrehen, nur weil mir seine Mundwinkel nicht gefallen. Ich will mich aber heute nachmittag ihnen zuliebe zusammennehmen, so gut ich kann.«

      »Ja, darum bitte ich«, sagte der Justizrat, »ich fühle mich doch etwas verantwortlich für Sie.«

      Hofrat von Mäulchen erschien in gewählter Kleidung, in einen angenehmen, mondänen Duft getaucht, mit dem leichten und sicheren Gang dessen, den allgemeine Beliebtheit trägt, im Schwurgerichtssaale. Die Eidesformel, die der Präsident ihm vorsprach, wiederholte er mit liebenswürdiger Gefälligkeit und einem leicht fragenden Ausklang, so, als wolle er sich bei jedem Satz vergewissern, ob es dem Vorsitzenden und dem lieben Gott so auch recht wäre.

      »Der Angeklagte«, begann Dr. Zeunemann das Verhör, als alle Förmlichkeiten

Скачать книгу