Der Fall Deruga. Ricarda Huch

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Der Fall Deruga - Ricarda Huch

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Mann«, sagte plötzlich Deruga laut.

      Verzielli, der es bisher vermieden hatte, nach der Anklagebank hinüberzusehen, wandte jetzt den Kopf herum und warf Deruga einen verzweifelten Blick zu. Auch Dr. Zeunemann sah ihn an. »Wie erklären Sie es«, sagte er, »daß Sie im ersten Augenblick der Überraschung Verzielli gegenüber die Tat zugaben?«

      »Ich wollte sehen, was für ein Gesicht er machte«, sagte Deruga leichthin, »das ist alles.«

      »Ja, natürlich«, fiel Verzielli rasch ein. »So war er. Das ist ganz er. O Gott, er hatte recht, mich einen Dummkopf zu nennen. Ja, ein Esel, ein verwünschter Tölpel war ich, es nicht sofort klar zu durchschauen.«

      »Bei der Sache bleiben«, unterbrach Dr. Zeunemann. »Die Stimmung des Angeklagten schlug unvermittelt um, er geriet in Wut und wollte sofort zum italienischen Konsul laufen, um zu erfahren, wer ihn verleumdet hätte. ›Sie haben es also nicht getan‹, riefen Sie und beschworen den Angeklagten, keinen übereilten Schritt zu tun und mit dem Besuch beim Konsul bis zum folgenden Morgen zu warten. Fürchteten Sie vielleicht, er würde sich in seiner Wut am Konsul vergreifen?«

      »Gott bewahre!« rief Verzielli entrüstet. »Der Konsul sollte nur nicht erfahren, daß ich Deruga alles ausgeplaudert hatte. Auch fürchtete ich, daß Dr. Deruga in seinem gerechten Zorne sich allzu heftig äußern und dadurch den Konsul gegen sich einnehmen würde. Kurz, ich war ein Dummkopf und war maßlos aufgeregt. Ich wußte nicht, was ich sagte und was ich tat.«

      Der Staatsanwalt war im Laufe des Verhörs aufgestanden und begleitete die Antworten des Italieners mit unwillkürlichen Gebärden und hier und da mit einem höhnischen Lachen oder entrüsteten Ausruf. »In Ihrer Aufgeregtheit«, sagte er jetzt, sich vorbeugend, »hatten Sie jedenfalls den Eindruck, daß der Angeklagte im Ernst sprach, als er sagte: ›Ich habe es ja getan.‹ Sonst hätten Sie hernach nicht ausgerufen: ›Sie haben es also nicht getan!‹«

      Verzielli warf einen zornigen und verächtlichen Blick auf den Sprecher und sagte entschlossen: »Was ich auch gesagt und gedacht habe, ich war im Unrecht, und der Doktor war im Recht, und wenn er seine Frau getötet hätte, was er aber nicht getan hat, so hätte er auch recht gehabt.« Eine Bewegung, mit Gelächter gemischt, ging durch den Saal.

      »Eigentümliche Auffassung«, sagte der Staatsanwalt, beide Arme in die Seite stemmend.

      »Ich denke«, nahm der Vorsitzende das Wort, als es wieder still geworden war, »wir lassen die Auffassungen beiseite und halten uns an Tatsachen. Wünscht einer der Herren Kollegen oder der Herren Geschworenen noch eine Frage an den Zeugen zu stellen? Nein? So können wir zu Fräulein Klinkhart, der Haushälterin oder Empfangsdame des Angeklagten, übergehen.«

      Ein Fräulein von etwa fünfunddreißig Jahren trat vor, einfach, aber gut gekleidet, schwarzhaarig, mit gerader Nase und ruhigen, braunen Augen. Sie kam mit raschen, sicheren Schritten und sah sich um, als suche sie, wo es etwas für sie zu tun gäbe; als ihr Blick dabei auf Deruga fiel, nickte sie ihm freundlich und ermunternd zu. Den Eid leistete sie frisch und freudig; sie schien zu denken, nun habe sie den Faden in der Hand und werde den Wulst schon entwirren. Das Verhör begann folgendermaßen:

      »Wie lange sind Sie in der Stellung bei dem Angeklagten?«

      »Zehn Jahre.« Ich kenne ihn also etwas besser als Sie alle, meine Herren, lag in diesen Worten.

      »Worin besteht Ihre Beschäftigung?«

      »Ich führe das Haus; koche das Essen, mache die Zimmer, empfange die Patienten, schreibe die Rechnungen und so weiter.«

      »Das ist sehr viel. Standen oder stehen Sie in freundschaftlichen, ich wollte sagen in mehr als freundschaftlichen Beziehungen zu dem Angeklagten?« Sie runzelte die Brauen und schien eine rasche Antwort geben zu wollen, besann sich aber und sagte kurz:

      »Nein.«

      »Wieviel Lohn erhielten Sie?«

      »Achtzig Kronen.«

      »Hatten Sie Nebeneinkünfte?«

      »Nein.«

      »Die Stelle muß offenbar ideelle Annehmlichkeiten haben. Sie waren vermutlich sehr selbständig? Der Doktor behandelte Sie gut?«

      »Er mich und ich ihn. Wir passen gut zusammen. Übrigens ist es leicht, mit Dr. Deruga auszukommen. Wer es nicht tut, trägt selbst die Schuld.«

      »Gut. Erinnern Sie sich an den 1. Oktober des vorigen Jahres? Der Angeklagte verließ die Wohnung etwa um sechs Uhr. Sagte er Ihnen, wohin er ginge und wann er wiederkomme?«

      »Dr. Deruga sagte, er käme vielleicht nachts nicht nach Hause und wisse auch noch nicht, ob er am folgenden Tage zur Sprechstunde wieder dasein würde. Wenn Patienten kämen, sollte ich sie vertrösten.«

      »Glaubten Sie, daß er verreise?«

      »Ich glaubte gar nichts – weil es mich nichts anging. Ich pflegte nie zu fragen, wohin er ginge, nur neckte ich ihn zuweilen, weil ich wußte, daß ihm die Frauenzimmer nachliefen. Vielleicht habe ich das auch an jenem Abend getan.«

      »Was hatte der Angeklagte bei sich, als er fortging?«

      »Ein Paket.«

      »Wissen Sie, was der Inhalt des Paketes war?«

      »Nein.«

      »Sie wissen es nicht, aber Sie ahnten es doch vielleicht. Haben Sie ihn etwas einwickeln sehen? Hat er in Schränken oder Kommoden gekramt?«

      »Ja, ich sah, daß er etwas suchte, und fragte ihn, was es sei. Da sagte er ärgerlich: ›Wo zum Teufel haben Sie den alten Faschingströdel versteckt?‹ Ich sagte, es sei alles in der Truhe auf dem Vorplatz, was überhaupt noch vorhanden sei. Er hatte nämlich verschiedenes verliehen oder verschenkt.«

      »Was verstehen Sie unter altem Faschingströdel?«

      »Kostüme, die er früher beim Fasching getragen hatte. In den letzten Jahren hatte er nichts mehr mitgemacht.«

      »Was für Kostüme waren das?«

      »Oh, das kann ich so genau nicht sagen, was sie bedeuteten. Bauernkleider und ein Bajazzo und ein Mönch, glaub' ich. Ich kenne mich nicht aus damit.«

      »Vermutlich boten Sie ihm Ihre Hilfe an?«

      »Ja, aber er sagte: ›Gehen Sie zum Teufel!‹ Das war nicht böse gemeint, es war so eine Redensart von ihm. Mir war es recht, ich hatte in der Küche zu tun.«

      Inzwischen war der Staatsanwalt aufgestanden, gestikulierte mit langen Armen und machte Grimassen. »Mein liebes Fräulein«, sagte er, »hatte der Angeklagte keine Reisetasche?«

      »Ja, wenn er verreiste, nahm er eine Reisetasche«, sagte Fräulein Klinkhart.

      »Nun, mein liebes Fräulein«, fuhr der Staatsanwalt mit süßlicher Liebenswürdigkeit fort, »sollten Sie als Dame und als Haushälterin, teils aus Neugier und teils aus Ordnungsliebe, nachdem Ihr Brotherr fort war, nicht nachgesehen haben, was er mitgenommen hatte? Wenn ich mich in Ihre Lage versetze, so scheint mir, Sie mußten sich Gewißheit zu schaffen versuchen, wie lange Ihr Brotherr fortbleiben würde. Aus dem, was er mitgenommen hatte, ließ sich doch manches schließen.«

      Fräulein

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