Maigret und der faule Dieb. Georges Simenon

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Maigret und der faule Dieb - Georges  Simenon Georges Simenon

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zu verabschieden.

      »Haben Sie einen Wagen?«

      »Ich nehme mir an der Porte Dauphine ein Taxi.«

      Der Staatsanwalt zögerte, war kurz davor Maigret anzubieten, dass er bei ihm mitfahren könne. Doch da hatte sich der Kommissar, nachdem er Fumel noch zugewinkt hatte, bereits entfernt.

      Allerdings hätte Maigret ihnen eine halbe Stunde später zweifellos einiges über den Toten sagen können. Er hatte geschwiegen, weil er sich noch nicht sicher gewesen war.

      Schon in dem Moment, als er sich über die Leiche gebeugt hatte, war es ihm vorgekommen, als hätte er den Mann schon einmal gesehen. Obwohl das Gesicht vollkommen entstellt war, hätte der Kommissar schwören mögen, dass er es wiedererkannt hatte.

      Er benötigte nur noch einen kleinen Beweis, den man finden würde, wenn man den Toten auszog.

      Wenn er recht hatte, würde man allerdings auch anhand der Fingerabdrücke zu diesem Ergebnis kommen.

      Am Taxistand hielt noch derselbe Wagen, der ihn hergebracht hatte.

      »Schon fertig?«

      »Zu mir nach Hause, Boulevard Richard-Lenoir.«

      »Verstanden. Aber das ist ja wirklich schnell gegangen … Wer ist es?«

      An der Place de la République hatte schon ein Bistro geöffnet, und Maigret hätte den Fahrer fast halten lassen, um dort irgendetwas zu trinken, aber aus einer Art Schamgefühl ließ er es sein.

      Seine Frau hatte sich zwar wieder schlafen gelegt, hörte ihn aber dennoch die Treppe heraufkommen und machte ihm die Tür auf.

      »Du bist schon zurück?«, fragte auch sie verwundert.

      Und dann gleich darauf mit besorgter Stimme:

      »Was ist passiert?«

      »Nichts. Diese Herren brauchen mich nicht.«

      Er sprach mit ihr so wenig wie möglich darüber. Es kam selten vor, dass er Angelegenheiten vom Quai des Orfèvres mit nach Hause nahm.

      »Hast du noch nichts gegessen?«

      »Nein.«

      »Ich mache dir dein Frühstück. Nimm doch schnell ein Bad, um dich aufzuwärmen.«

      Aber er fror nicht mehr. Auch sein Zorn war einer melancholischen Stimmung gewichen.

      Er war nicht der Einzige in seiner Abteilung, der sich entmutigt fühlte. Der Direktor der Kriminalpolizei hatte schon zweimal davon gesprochen, die Kündigung einreichen zu wollen. Eine dritte Gelegenheit für diese Drohung würde er nicht kriegen, denn man suchte schon nach einem Nachfolger.

      Umstrukturierung nannten sie das. Gut ausgebildete junge Leute aus den ersten Familien der Republik saßen still in ihren Büros und führten auf der Suche nach mehr Effizienz umfassende Analysen durch. Die Früchte ihres eifrigen Nachdenkens waren prächtige Pläne, die jede Woche in neuen Vorschriften umgesetzt wurden.

      Zuallererst sollte die Polizei ein Werkzeug im Dienst der Justiz werden. Ein Werkzeug wohlgemerkt. Und so ein Werkzeug besitzt keinen eigenen Verstand.

      Die Untersuchung wurde von den imposanten Schreibtischen des Untersuchungsrichters und des Staatsanwalts aus geleitet, von dort aus wurden die Befehle erteilt.

      Aber auch für die Ausführung dieser Befehle wollte man nicht mehr die Beamten vom alten Schlag, von denen viele wie Aristide Fumel mit der Rechtschreibung ihre Schwierigkeiten hatten.

      Wenn es nun vor allem darum ging, Papier vollzuschreiben – was sollte man dann mit diesen Leuten, die ihren Beruf auf der Straße gelernt hatten, bei der Bahnhofspolizei gewesen waren und Kaufhäuser überwacht hatten, jedes Bistro in ihrem Viertel kannten, jeden kleinen Gauner und jedes Strichmädchen und von denen manche in der Lage waren, mit den Verbrechern in ihrer eigenen Sprache zu diskutieren?

      Man brauchte jetzt für alles ein Diplom, musste für jede Karrierestufe eine Prüfung ablegen, und Maigret konnte für seine Ermittlungen nur noch auf die wenigen alten Mitarbeiter aus seiner Truppe zurückgreifen.

      Man verdrängte ihn noch nicht ganz. Vielmehr geduldeten sie sich, denn sie wussten ja, dass er sowieso in zwei Jahren pensioniert werden würde.

      Dennoch überwachten sie jeden seiner Schritte.

      Es war noch nicht hell draußen, und während er frühstückte, gingen in dem Haus gegenüber nacheinander die Lichter an. Durch diesen Telefonanruf war er früher dran als sonst und fühlte sich ein wenig benommen, so wie man sich fühlt, wenn man nicht genug geschlafen hat.

      »Fumel, ist das nicht der, der schielt?«

      »Ja.«

      »Der, dem die Frau durchgebrannt ist?«

      »Ja.«

      »Hat man sie nie wiedergefunden?«

      »Sie soll in Südamerika verheiratet sein und einen Haufen Kinder haben.«

      »Weiß er das?«

      »Wozu?«

      Er kam auch früher als sonst ins Büro, und obwohl es endlich Tag geworden war, musste er seine Lampe mit dem grünen Schirm anmachen.

      »Verbinden Sie mich bitte mit dem Revier an der Fasanerie.«

      Er hatte kein Recht dazu. Aber er wollte jetzt nicht sentimental werden.

      »Hallo? Ist Inspektor Fumel da? Wie? Er schreibt seinen Bericht?«

      Andauernd Papierkram, Formulare, verlorene Zeit.

      »Bist du es, Fumel?«

      Wieder sprach Fumel mit gedämpfter Stimme, als telefonierte er heimlich.

      »Ist der Erkennungsdienst fertig?«

      »Ja. Sie sind vor einer Stunde gefahren.«

      »War der Gerichtsmediziner am Tatort?«

      »Ja. Der neue.«

      Denn sie hatten auch einen neuen Gerichtsmediziner. Der alte Doktor Paul, der noch mit sechsundsiebzig Jahren Autopsien vorgenommen hatte, war gestorben und durch einen gewissen Lamalle ersetzt worden.

      »Was sagt er?«

      »Das Gleiche wie sein Kollege. Der Mann ist nicht dort getötet worden. Es besteht kein Zweifel, dass es eine starke Blutung gab. Die letzten Schläge ins Gesicht hat man ihm versetzt, als er schon tot war.«

      »Hat man ihn ausgezogen?«

      »Zum Teil.«

      »Ist dir am linken Arm eine Tätowierung aufgefallen?«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Ein Fisch? Eine Art Seepferdchen?«

      »Ja.«

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