Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola

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      Als er hinter sich ein Gejohle hörte, wandte er sich mit so drohender Miene um, daß die eingeschüchterten Fischweiber ganz still wurden. Als die Méhudin die zehn Franken zurückgegeben hatten, gebot er ihnen, augenblicklich den Verkauf einzustellen. Die Alte erstickte schier vor Wut; die Tochter war bleich und stumm. Sie, die schöne Normännin, von ihrer Fischbank verjagt! Claire sagte mit ihrer ruhigen Stimme, daß ihr recht geschehen sei. Darob gerieten die beiden Schwestern des Abends, in ihrer Wohnung, einander in die Haare. Als nach Verlauf von acht Tagen die Méhudin wieder auf dem Markte erschienen, beobachteten sie eine ruhige, still grollende Haltung. Auch die anderen im Pavillon waren ruhig; die Ordnung war wieder eingekehrt. Die schöne Normännin nährte seit jenem Tage sicherlich furchtbare Rachegedanken. Sie merkte, daß der Schlag von der schönen Lisa komme; sie war ihr am Tage nach der Schlacht begegnet, und jene hatte den Kopf so hoch getragen, daß die Fischhändlerin sich im stillen schwor, die Metzgersfrau solle den triumphierenden Blick teuer bezahlen. Es gab in den Winkeln der Hallen endlose Beratungen mit Fräulein Saget, Madame Lecoeur und der Sarriette; allein nach all dem ungeheuerlichen Geträtsch über die Ausschweifungen Lisas mit dem Vetter und über die Haare, die man in den Würsten Quenus finde, fühlte die Fischhändlerin sich wenig erleichtert. Sie suchte nach etwas sehr Boshaftem, was ihre Feindin im Herzen treffen sollte.

      Ihr Kind wuchs auf dem Fischmarkte frei heran. Schon mit drei Jahren saß es mitten unter den Fischen. Es schlief brüderlich an der Seite der großen Tunfische und erwachte unter den Makrelen und Schellfischen. Der Balg roch so übel, als komme er aus dem Bauche eines großen Fisches. Sein Lieblingsspiel blieb lange, aus Heringen Mauern und Häuser aufzuführen, sobald seine Mutter ihm den Rücken zugewandt; er spielte auch Krieg auf dem blanken Auslagetische, indem er daselbst Seehähne aufreihte, sie gegeneinander stieß, ihre Köpfe zusammenschlug, mit dem Maul Trompete und Trommel nachahmte und schließlich die Fische in einen Haufen zusammenwarf, indem er sagte, sie seien tot. Später trieb er sich um seine Tante Claire herum, um die Blasen der Karpfen und Hechte zu bekommen, die sie ausweidete; er legte die Blasen zur Erde und trat mit dem Fuße darauf, daß sie platzten, was ihm eine ungeheure Freude machte. Mit sieben Jahren trieb er sich in den Gängen herum, kroch unter die Fischkästen, war der verhätschelte Laufbursch der Fischweiber. Wenn sie ihm irgendeinen neuen Gegenstand zeigten, der ihm gefiel, da legte er die Hände zusammen und stammelte entzückt: »Oh, das ist fein!« Und so war ihm der Name Feinchen geblieben; Feinchen hier, Feinchen dort. Alle riefen ihn heran. Man fand ihn überall, hinter den Ausrufpulten, in den Fischkörben, zwischen den Spülichtkübeln. Er war wie ein junger Bartfisch, rosig und weiß, munter und glatt, den man ins Wasser hat schlüpfen lassen. Er liebte auch das Wasser wie ein Fischlein. Er watete in den Lachen herum, ließ das Wasser von den Verkaufspulten sich auf den Kopf träufeln. Oft öffnete er verstohlen einen Wasserhahn und war glücklich, wenn er den Strahl plätschern hörte. Des Abends fand ihn seine Mutter zumeist bei den Brunnen oberhalb der Kellertreppe; mit blauen Händen, naß bis in die Schuhe und Taschen brachte sie ihn nach Hause.

      Mit sieben Jahren war Feinchen schön wie ein Engel und roh wie ein Kutscher. Er hatte krauses, kastanienbraunes Haar, schöne, sanfte Augen, einen fein gezeichneten Mund, aus dem Flüche und Lästerworte hervorkamen, die einen Gendarm erröten machen konnten. Im Unflat der Hallen heranwachsend, stammelte er den Katechismus der Fischweiber nach, stemmte eine Faust in die Hüfte und ahmte Mama Méhudin nach, wenn sie in Zorn war. Mit seiner silberhellen Stimme eines Chorknaben sagte er Worte wie die folgenden: »Nichtsnutz!« – »Metze!« »Geh' deinen Mann schneuzen!« »Was zahlt man dir für deine Haut?« Dabei ahmte er den schnarrenden Ton der Marktweiber nach und wälzte seine unschuldvolle Kindheit im Schlamme. Die Fischhändlerinnen lachten darüber, daß ihnen die Tränen über die Backen rannen. Dadurch ermutigt, redete der Knabe nicht zwei Worte mehr, ohne einen Fluch hinzuzufügen. Aber er blieb liebenswürdig, seiner Unflätigkeiten unbewußt, gesund erhalten durch den frischen Hauch und die starken Gerüche des Fischmarktes, seine schlüpfrigen Schmähungen mit entzückter Miene hersagend, als spreche er seine Gebete.

      Der Winter kam. Feinchen fror stark dieses Jahr. Gleich in den ersten kalten Tagen ward er von großer Neugierde für das Büro des Aufsehers ergriffen. Das Büro Florents lag an der linken Ecke des Pavillons nach der Seite der Rambuteau-Straße. Es war mit einem Tische, einem Kasten für die Schriftstücke, einem Sessel, zwei Stühlen und einem Ofen ausgestattet. Feinchen träumte nur von diesem Ofen. Florent liebte die Kinder. Wenn er das Kind mit den durchnäßten Füßen sah, wie es durch die Glastüre schaute, hieß er es eintreten. Die erste Unterredung mit Feinchen setzte ihn in großes Erstaunen. Das Kind hatte sich zum Ofen gesetzt und sagte mit seiner ruhigen Stimme:

      Ich will mir ein wenig die Kegel rösten ... Du begreifst? Es ist verflucht kalt!

      Dann fügte er mit seinem hellen Lachen hinzu:

      Meine Tante Claire sieht aber heute gespitzt aus! ... Sag', Herr: ist es wahr, daß du ihr des Nachts die Füße wärmst?

      Florent war verdutzt über diese Reden und faßte ein eigentümliches Interesse für diesen Knaben. Die schöne Normännin verharrte in ihrer grollenden Haltung und ließ ihr Kind zu ihm gehen, ohne ein Wort zu sagen. Da hielt sich Florent für ermächtigt, ihn bei sich zu sehen; er rief ihn jeden Nachmittag und kam allmählich auf den Gedanken, einen vernünftigen Jungen aus ihm zu machen. Ihm war, als werde sein Bruder Quenu wieder klein, und als träfen sie sich noch jeden Abend in der großen Stube der Royer-Collard-Straße. Seine Freude, sein geheimer Traum von Hingebung war: stets in Gesellschaft eines jungen Wesens zu leben, das nicht wachsen würde, das er immerfort unterrichten, in dessen Unschuld er die Menschen lieben würde. Am dritten Tage brachte er ein Alphabet mit. Feinchen entzückte ihn durch seine Klugheit. Er erlernte die Buchstaben mit der Aufgewecktheit des Pariser Gassenjungen. Die Bilder des Lesebuches ergötzten ihn außerordentlich. Nach dem Unterricht hielt er sich lange in dem Büro des Aufsehers auf. Der Ofen blieb sein guter Freund, ein Gegenstand endloser Freuden. Anfänglich briet er da Kartoffeln und Kastanien; doch das wurde ihm bald langweilig. Er stahl seiner Tante Claire Gründlinge, die er einzeln vor der glühenden Öffnung des Ofens briet und dann ohne Brot, mit Wonne aß. Eines Tages brachte er sogar einen Karpfen; aber der Fisch wollte nicht gar werden und verpestete das Büro dermaßen, daß man Türe und Fenster öffnen mußte. Wenn der Gestank allzu arg wurde, warf Florent die Fische auf die Straße; aber zumeist lachte er nur. Nach Verlauf von zwei Monaten konnte Feinchen geläufig lesen, und seine Schreibhefte waren sehr sauber.

      Des Abends schwatzte der Junge seiner Mutter den Kopf voll von seinem guten Freunde Florent. Der gute Freund Florent habe Bäume gezeichnet und Menschen, die in Hütten wohnen. Der gute Freund Florent pflege zu sagen, die Menschen seien besser, wenn alle lesen könnten. So ward die schöne Normännin immer mehr mit dem Manne bekannt, den sie am liebsten erdrosselt hätte. Einmal sperrte sie Feinchen einen ganzen Tag über zu Hause ein, damit er nicht zu dem Aufseher gehen könne; allein der Junge weinte dermaßen, daß man ihn am nächsten Tage freilassen mußte. Trotz ihrer Keckheit und ihrer dreisten Miene war sie sehr schwach. Wenn der Knabe ihr erzählte, daß er es gut warm gehabt, und wenn er mit getrockneten Kleidern zurückkam, empfand sie eine gewisse Dankbarkeit, ein Gefühl der Zufriedenheit, ihn in guter Hut, die Beinchen vor dem Feuer zu wissen. Später war sie sehr gerührt, wenn er ein Zeitungsblatt, in das eine Schnitte Meeraal gewickelt war, vor ihr ablesen konnte. So kam sie allmählich auf den Gedanken, ohne es zu sagen, daß Florent vielleicht kein schlechter Mensch sei; sie empfand vor seiner Bildung Achtung, gepaart mit einer steigenden Neugierde, ihn in der Nähe zu sehen, sein Leben kennen zu lernen. Dann ersann sie plötzlich einen Vorwand und redete sich ein, daß sie ihre Rache gefunden habe: sie mußte liebenswürdig mit dem Vetter sein und ihn mit der schönen Lisa entzweien; das sei noch spaßiger.

      Spricht dein guter Freund Florent nicht von mir? fragte sie eines Tages Feinchen, während sie ihn ankleidete.

      O nein! antwortete das Kind; wir unterhalten uns.

      Nun wohl, sage ihm, daß ich ihm nicht mehr grolle und ihm dafür danke, daß er dich lesen lehrt.

      Seither

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