Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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und überbrachte freundliche Worte, Fragen und Antworten, die er wiederholte, ohne die Sache zu begreifen. Man hätte ihn die ungeheuerlichsten Dinge hersagen lassen können. Allein die schöne Normännin fürchtete, scheu zu scheinen, und so kam sie eines Tages mit und setzte sich auf den zweiten Stuhl, während Feinchen seine Schreibstunde hatte. Sie war sehr sanft und sehr freundlich. Florent war sehr verlegen. Sie sprachen nur von dem Kinde. Da er die Besorgnis ausdrückte, daß es ihm nicht möglich sein werde, den Unterricht in seinem Büro fortzusetzen, lud sie ihn ein, er möge des Abends zu ihnen kommen. Dann sprach sie von Geld; er errötete und sagte, er werde nicht kommen, wenn davon die Rede sei. Da versprach sie, ihm seine Mühe mit Geschenken, mit schönen Fischen zu vergelten.

       Man schloß Frieden. Die schöne Normännin nahm Florent sogar unter ihren Schutz. Man ließ sich schließlich den Aufseher gefallen, und die Fischweiber fanden, daß er trotz seiner schlechten Augen ein strammerer Mann sei als Herr Verlaque. Nur Mutter Méhudin zuckte mit den Achseln; sie bewahrte ihren Groll gegen den »langen Mageren«, wie sie ihn in verächtlicher Weise nannte. Eines Morgens, als Florent lächelnd vor den Fischbehältern Claires stehen blieb, ließ das Mädchen einen Aal fahren, den es gerade in der Hand gehabt und wandte dem Aufseher, rot vor Zorn, den Rücken. Er war davon dermaßen überrascht, daß er die schöne Normännin befragte.

      Lassen Sie gut sein, sie ist ein Tollkopf! ... Sie hat immer ihre eigenen Gedanken und hat es nur getan, um mich zu ärgern.

      Sie triumphierte; stolz aufgerichtet stand sie hinter ihrer Fischbank, koketter als je, mit sehr verwickeltem Haarputz. Als sie Lisa begegnete, erwiderte sie ihren verächtlichen Blick, ja sie lachte ihr ins Gesicht. Die Gewißheit, daß sie durch Gewinnen des Vetters die Metzgerin in Verzweiflung versetzen werde, gab ihrem Lachen einen hellen Klang; es war ein Lachen aus voller Brust, daß ihr weißer, fetter Hals davon erzitterte. Zu jener Zeit kam sie auf den Gedanken, Feinchen sehr hübsch zu kleiden mit einer kleinen schottischen Jacke und einer Samtmütze. Feinchen hatte bisher immer nur eine zerfetzte Bluse getragen. Zu jener Zeit wurde Feinchen wieder von einer großen Vorliebe für die Wasserleitung erfaßt. Das Eis war geschmolzen, das Wetter war milde. Er gab der schottischen Jacke ein Bad, indem er das Wasser voll aus dem Rohr auf seine beiden Arme fließen ließ, was er Dachtraufe spielen nannte. Seine Mutter überraschte ihn in Gesellschaft von zwei anderen Jungen, wie sie in der mit Wasser gefüllten Samtmütze zwei kleine weiße Fische schwimmen ließen, die er der Tante Claire gestohlen hatte.

      Florent lebte nunmehr seit nahezu acht Monaten in den Hallen, gleichsam von einem fortwährenden Schlafbedürfnis niedergehalten. Nach seinen sieben Leidensjahren war er jetzt in eine solche Ruhe, in ein dermaßen geregeltes Leben geraten, daß er sein Dasein kaum fühlte. Er überließ sich willenlos diesem Leben mit ziemlich leerem Kopfe, immer wieder davon überrascht, sich jeden Morgen auf demselben Sessel in dem engen Büro wiederzufinden. Dieser kahle, knappe Raum gefiel ihm. Er flüchtete dahin, war da fern von der Welt mitten in dem ewigen Geräusch der Hallen, das ihn an ein großes Meer erinnerte, dessen endlose Fläche ihn von allen Seiten umgab und einschloß. Aber allmählich bemächtigte sich seiner eine dumpfe Unruhe; er war unzufrieden, warf sich Fehler vor, die er nicht genau bestimmen konnte, lehnte sich gegen die Leere auf, die in seinem Hirn und in seiner Brust sich immer mehr auszubreiten schien. Der üble, fade Geruch der Fische fuhr mit einem Hauche über ihn hinweg, der ihm Ekel verursachte. Es war ein langsames Ausdenfugengehen, ein unerklärliches Unbehagen, das zu einer lebhaften Überreizung der Nerven wurde.

      Alle seine Tage glichen einander. Er wandelte in denselben Geräuschen, in denselben Gerüchen einher. Am Morgen betäubte ihn das Getöse der Versteigerung wie fernes Glockengeläute; und je nach der Langsamkeit der Zufuhr endete die Versteigerung oft sehr spät. Er blieb dann im Pavillon bis Mittag, jeden Augenblick gestört durch Streitigkeiten und Beschwerden, bei denen er bemüht war, sich sehr gerecht zu zeigen. Es währte oft stundenlang, bis er irgendeinen erbärmlichen Handel, der den ganzen Markt in Aufruhr brachte, geschlichtet hatte. Er schritt durch die Menge und das Geräusch des Marktes dahin, wandelte langsamen Schrittes durch die Gänge, blieb zuweilen vor den Fischhändlerinnen stehen, deren Bänke bei der Rambuteau-Straße standen. Es sind da große Haufen rosiger Krabben, rote Körbe voll gesottener Seekrebse, während die lebenden Seekrebse platt auf dem Marmortische lagen und langsam verendeten. Hier sah er oft zu, wie Herren in feinen Hüten und schwarzen Handschuhen feilschten und schließlich einen gesottenen Seekrebs, in Zeitungspapier gewickelt, in der Tasche ihres Überrockes heimtrugen. Weiterhin vor den fliegenden Tischen, wo die gewöhnlichen Fische verkauft werden, erkannte er die Frauen aus dem Stadtviertel, die im bloßen Haar immer zur selben Stunde kamen. Zuweilen interessierte er sich für irgendeine fein gekleidete Dame, die ihre Spitzen über die nassen Steine schleppte, gefolgt von einer Magd mit weißer Schürze; eine solche begleitete er dann in einiger Entfernung und beobachtete, wie sie mit angewiderter Miene die Schultern zuckte. Dieses Durcheinander von Handkörben, Ledersäcken, Rundkörben, alle diese Frauenröcke, die durch die wassertriefenden Gänge dahin glitten, beschäftigten ihn bis zur Frühstückszeit, und ihn erfreute das frische Wasser und der frische Windhauch, der von dem scharfen Seegeruch der Schalentiere bis zu dem herben Dampf der eingesalzenen Fische dahinstrich. Bei den eingesalzenen Fischen beendete der Aufseher gewöhnlich seinen Rundgang; die Kisten voll Heringe, die Sardinen von Nantes, auf einem Lager von Blättern ruhend, die eingerollten Schellfische, alles von dicken, faden Marktweibern bewacht, erinnerten ihn an eine Abreise zur See, unter Tonnen voll Pökelfleisch und eingesalzener Fische. Des Nachmittags aber wurde es in den Hallen still und schläfrig. Er schloß sich in seinem Büro ein, brachte seine Schriftsachen in Ordnung und genoß da seine besten Stunden.

      Wenn er herauskam und den Fischmarkt durchschritt, fand er ihn fast verödet. Das Drängen, Stoßen, Lärmen, wie es um zehn Uhr gewesen, war dann verschwunden. Die Fischweiber saßen vor ihren leeren Tischen und strickten, den Rücken zurückgelehnt; nur selten zeigte sich noch eine verspätete Hauswirtin, die mit den forschenden Blicken der Frauen herumging, die den Preis ihres Essens auf einen Heller berechnen. Die Dämmerung brach herein; die Kisten wurden zurechtgerückt und die Fische über Nacht auf Eis gelegt. Florent wartete dann noch, bis die Gittertore geschlossen wurden und nahm den Fischgeruch in seinen Kleidern, in seinem Bart und Haar mit.

      Die ersten Monate war ihm dieser durchdringende Geruch nicht allzu widerwärtig. Der Winter war streng; der Frost verwandelte die Gänge in Spiegel; die Eiszapfen bildeten Spitzen an den Marmortischen und an den Brunnen. Des Morgens mußten kleine Kohlenpfannen unter den Wasserhähnen angezündet werden, damit man einen dünnen Wasserfaden erhalte. Die gefrorenen Fische mit gekrümmtem Schwänze, farblos und hart wie matt geschliffenes Metall, klangen dumpf auf den Tischen, wie graues Gußeisen. Bis zum Februar sah der Pavillon trostlos aus in seinem Leichentuch von Eis. Dann kam der März mit seinem Tauwetter, mit Regen und Nebeln. Da tauten auch die Fische auf und schwammen wieder; Gerüche von verdorbenem Fleisch mengten sich mit den faden Gerüchen des Schlammes, die von den benachbarten Straßen kamen; es war ein noch unbestimmter Mißduft, ein anwidernder, süßlicher Geruch von Feuchtigkeit, der über dem Boden schwebte. Dann, an den heißen Juninachmittagen, stieg der Gestank empor und sättigte die Luft mit pestilenzialischen Dämpfen. Man öffnete die oberen Fenster; große Vorhänge von grauer Leinwand schützten gegen die sengenden Sonnenstrahlen; ein Feuerregen fiel auf die Hallen nieder und durchhitzte sie wie einen eisernen Ofen. Nicht das leiseste Lüftchen regte sich, um den faulen Fischgestank wegzufegen. Die Verkaufsbänke dampften.

      Florent litt durch diese Anhäufung von Nahrung, in deren Mitte er lebte. Der Ekel vor dem Wurstzeug kehrte ihm noch unerträglicher wieder. Er hatte solche furchtbare Gerüche schon ertragen, aber sie kamen nicht aus dem Magen. Sein enger Magen eines hageren Menschen drehte sich um, wenn er an diesen Fischen vorüberkam, die in der großen Hitze faul wurden. Sie nährten ihn mit ihren starken Gerüchen und erstickten ihn, als habe er eine starke Verdauungsstörung infolge der Gerüche gehabt. Wenn er sich in seinem Büro einschloß, folgte ihm der Ekel dahin, drang durch die Ritzen der Tür und des Fensters ein. An trüben Tagen war der kleine Raum ganz dunkel; es war gleichsam eine lange Dämmerung mitten in einem ekelerregenden Sumpfe. Von nervösen Beklemmungen ergriffen, hatte er oft das Bedürfnis zu gehen und stieg in die Keller hinunter,

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