Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola страница 223
Was kümmern mich seine Waden? Ich brauche niemandes Waden ... Ich tue, was ich will.
Wenn die Mutter nicht nachgab und gar zu deutlich wurde, schrie die Tochter:
Das hat Euch nicht zu kümmern! ... Es ist übrigens nicht wahr; und wenn es wahr wäre, würde ich nicht erst Euch um Erlaubnis fragen. Laßt mich in Frieden!
Sie ging in ihre Stube und schlug die Türe heftig zu. Sie hatte im Hause eine Macht erlangt, die sie mißbrauchte. Die Alte erhob sich des Nachts, wenn sie ein Geräusch zu vernehmen glaubte, und schlich barfüßig zur Türe Louisens, um zu forschen, ob Florent nicht bei ihr sei. Doch dieser hatte im Hause der Méhudin eine noch schlimmere Feindin. Sobald er erschien, erhob sich Claire wortlos, nahm ihren Leuchter und ging in ihre Kammer, die auf der anderen Seite des Flurs lag. Als eines Abends ihre Schwester den Lehrer zum Essen einlud, kochte Claire besonders für sich und aß in ihrer Kammer. Manchmal schloß sie sich so beharrlich ein, daß man sie eine Woche lang nicht zu Gesichte bekam. Dabei war sie weichlich und starrsinnig und hatte einen argwöhnischen Blick unter ihrem reichen, rötlich blonden Haar. Die Mutter Méhudin, die bei ihr sich erleichtern zu können glaubte, machte sie nur wütend, wenn sie von Florent sprach. Zum äußersten getrieben schrie dann die Alte, daß sie auf und davon gehen werde, wenn sie nicht fürchten müsse, daß ihre zwei Töchter sich gegenseitig auffressen würden.
Als Florent eines Abends fortging, kam er an Claires Türe vorüber, die weit offen stand. Sie war sehr rot, während sie ihn betrachtete. Die feindselige Haltung des Mädchens kränkte ihn; nur seine Schüchternheit den Frauen gegenüber hinderte ihn, eine Erklärung herbeizuführen. Er wäre diesen Abend sicherlich in ihr Zimmer eingetreten, wenn er nicht im oberen Stockwerk das kleine, weiße Gesicht des Fräulein Saget, die sich über das Geländer beugte, wahrgenommen hätte. Er ging vorüber und er war noch nicht zehn Stufen hinabgestiegen, als die Türe Claires so heftig zugeschlagen wurde, daß das ganze Stiegenhaus davon erzitterte. Bei dieser Gelegenheit gewann Fräulein Saget die Überzeugung, daß der Vetter der Frau Quenu mit den zwei Schwestern Méhudin schlafe.
Florent dachte gar nicht an diese schönen Mädchen. Er behandelte die Frauen gewöhnlich wie ein Mann, der kein Glück bei ihnen hat. Auch verträumte er zuviel von seiner Männlichkeit. Er kam so weit, daß er eine wahrhafte Freundschaft für die Normännin empfand; sie hatte ein gutes Herz, wenn sie sich nicht erzürnte. Aber weiter ging er nicht. Wenn sie des Abends beim Lampenschein ihren Sessel näher rückte, wie um sich über das Geschreibsel des Knaben zu neigen, fühlte er mit einem gewissen Unbehagen ihren mächtigen und warmen Körper neben sich. Mit ihrem Riesenbusen schien sie ihm ungeheuer, sehr schwerfällig, fast beunruhigend; er zog seine spitzigen Ellenbogen, seine dürren Schultern ein, in einer unbestimmten Furcht, sie in dieses Fleisch zu stoßen. Seine mageren Knochen zitterten vor einer Berührung mit fetten Brüsten. Er senkte den Kopf und machte sich noch dünner, belästigt durch den kräftigen Hauch, der von ihr ausging. Wenn ihr Nachtjäckchen sich ein wenig öffnete, glaubte er zwischen zwei weißen Wölbungen einen Dampf des Lebens, einen Hauch der Gesundheit aufsteigen zu sehen, der ihm warm ins Gesicht drang, gleich einem Qualm der Hallen an heißen Sommerabenden. Es war ein beharrlicher Geruch, der an dieser seidenweichen Haut haftete, ein Fettschweiß der Fische, hervordringend aus den herrlichen Brüsten, aus den königlichen Armen, der geschmeidigen Taille, etwas Rauhes in ihren Frauengeruch mengend. Sie hatte es mit allen wohlriechenden Ölen versucht und nahm reichliche Waschungen mit frischem Wasser vor; allein, sobald die Frische des Bades sich verflüchtigt hatte, führte das Blut den faden Geruch der Lachse, den Moschusgeruch der Spieringe, die Schärfe der Heringe und Rochen bis in die Spitzen der Glieder zurück. Aus dem Schütteln ihrer Röcke ging dann ein Dampf hervor; sie ging wie inmitten einer Ausdünstung von Sumpfröhricht; mit dem großen Körper einer Göttin, ihrer wunderbaren Reinheit und Blässe, war sie wie ein schönes, altertümliches Marmorbild, das im Meere treibt und in dem Netze eines Sardinenfischers ans Land gezogen wird. Florent litt durch ihre Nähe; er trug kein Begehren nach ihr, denn seine Sinne waren in Aufruhr durch die Nachmittage, die er auf dem Fischmarkte zubrachte; er fand sie aufregend, zu sehr nach Salz riechend, zu bitter, von einer zu breiten Schönheit und einem zu starken Geruch.
Fräulein Saget schwor bei allen Göttern, daß Florent der Liebhaber der Normännin sei. Sie hatte sich wegen eines Sandaals um zehn Sous mit ihr entzweit. Seit dieser Zeit bekundete sie große Freundschaft für die schöne Lisa. So hoffte sie rascher das zu erfahren, was sie »die Machenschaften der Quenus« nannte. Da Florent ihr noch immer ein Rätsel blieb, war sie »ein Körper ohne Seele«, wie sie selbst sagte, ohne den Grund ihres Leides zu gestehen. Ein Mädchen, das einem Burschen nachläuft, hätte nicht trostloser sein können als diese fürchterliche Alte, als sie merkte, daß das Geheimnis des Vetters ihr entging. Sie bespähte den Vetter, verfolgte ihn, beobachtete ihn mit wütendem Grimme, weil es ihrer brünstigen Neugier nicht gelang, ihn in ihre Gewalt zu bekommen. Seitdem er zu den Méhudin kam, stand sie fast unablässig an dem Treppengeländer. Dann begriff sie, daß die schöne Lisa sehr verdrossen war wegen der Besuche Florents bei »diesen Weibern«. Jeden Morgen brachte sie ihr Nachrichten aus der Pirouette-Straße. An kalten Tagen kam sie ganz durchfroren in den Laden und hielt ihre blauen Hände an den Ofen, um sie zu erwärmen. Sie kaufte nichts, sondern wiederholte nur mit ihrer zirpenden Stimme:
Gestern war er wieder bei ihnen ... Er steckt immer dort. Die Normännin hat ihn auf dem Flur ihren »Liebsten« genannt.
Sie log ein wenig, um länger bleiben und sich die Hände wärmen zu können. Am Morgen nach dem Tage, an dem sie Florent aus der Stube Claires kommen zu sehen glaubte, eilte sie herbei und dehnte die Geschichte eine halbe Stunde aus. Es sei jetzt geradezu eine Schmach; der Vetter gehe vom Bette der einen zum Bette der anderen.
Ich habe ihn gesehen, sagte sie. Wenn er von der Normännin genug hat, schleicht er auf den Fußzehen zur kleinen Blonden. Gestern verließ er die Blonde und kehrte ohne Zweifel zur großen Braunen zurück, als er mich erblickte, worauf er kehrtmachte. Die ganze Nacht höre ich die zwei
Türen auf- und zugehen; es nimmt gar kein Ende ... Und diese alte Méhudin, die in einem Kabinett zwischen den Stuben ihrer Töchter schläft! ...
Lisa machte ein verächtliches Mäulchen. Sie sprach wenig und ermutigte das Geschwätz des Fräuleins Saget nur durch ihr Stillschweigen. Sie hörte aufmerksam zu, und wenn die Einzelheiten gar zu schlüpfrig wurden, murmelte sie: Nein, nein, das ist denn doch nicht erlaubt! ... Ist es möglich, daß es solche Weiber gibt?
Darauf erwiderte Fräulein Saget, daß allerdings nicht alle Frauen so ehrbar seien wie Lisa. Dann zeigte sie sich sehr nachsichtig für den Vetter. Ein Mann läuft eben jeder Schürze nach ... und Florent sei doch nicht verheiratet ... vielleicht. Und sie stellte wie unabsichtlich verschiedene Fragen. Allein Lisa gab niemals ein Urteil über den Vetter ab; sie zuckte nur mit den Achseln und spitzte die Lippen. Wenn Fräulein Saget fort war, betrachtete die Metzgerin mit angewiderter Miene den Deckel des Ofens, wo die Alte die Spuren ihrer kleinen Hände zurückgelassen hatte.
Augustine, rief sie dann, bringen Sie doch einen Wischlappen, um den Ofen abzuwischen. Es ist ekelhaft!
Die Feindschaft der schönen Lisa und der schönen Normännin gestaltete sich furchtbar. Die schöne Normännin war überzeugt, daß sie ihrer Gegnerin einen Liebhaber weggenommen habe; die schöne Lisa aber war wütend auf diese Nichtsnutzige, die sie schließlich noch kompromittieren mußte, indem sie diesen duckmäuserischen Florent an sich zog. Jede brachte ihr Temperament in diese Feindschaft mit; die eine war ruhig, geringschätzig