Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Felicité schien auf diesen Augenblick gewartet zu haben. Sie warf sich zwischen die Türe und ihren Gatten, der sich übrigens nicht sonderlich beeilte, dem schrecklichen Major zu folgen.
Ich will nicht, daß du gehest! schrie sie, eine tiefe Verzweiflung heuchelnd. Ich werde niemals zugeben, daß du mich verläßt. Die Halunken würden dich töten!...
Der Major blieb verwundert stehen.
Verdammt! brummte er; jetzt fangen gar die Weiber an zu winseln... Kommen Sie, Rougon!
Nein, nein! fuhr die Alte fort, eine immer größere Angst zur Schau tragend; er soll Ihnen nicht folgen: ich werde mich an seinen Rock klammern.
Sehr überrascht von dieser Szene, beobachtete der Marquis neugierig Felicité. War das dieselbe Frau, die soeben so heiter geplaudert hatte? Welche Komödie spielte sie? Peter aber tat, als wolle er trotz dem Widerstände seines Weibes mit aller Gewalt gehen.
Du sollst nicht gehen! wiederholte die Alte und faßte ihn am Arme.
Dann sagte sie zum Major:
Wie können Sie an Widerstand denken? Jene sind dreitausend und Sie bringen nicht hundert mutige Männer zusammen! Sie werden sich ganz unnütz abschlachten lassen.
Das ist unsere Pflicht, sagte Sicardot ungeduldig.
Felicité brach in Tränen aus.
Wenn sie ihn töten, wenn sie ihn zum Gefangenen machen, fuhr sie fort, indem sie ihren Gatten fest anschaute; mein Gott, was soll denn aus mir werden, allein in dieser verlassenen Stadt?
Aber glauben Sie denn, rief der Major, daß wir weniger eingesperrt werden, wenn wir den Aufständischen gestatten, ruhig in die Stadt einzudringen? Ich schwöre Ihnen, daß nach Verlauf von nur einigen Stunden der Bürgermeister und alle städtischen Beamten im Loch sitzen werden, von Ihrem Gatten und den regelmäßigen Gästen dieses Salons nicht zu reden.
Der Marquis glaubte ein flüchtiges Lächeln auf den Lippen Felicités zu sehen, während sie mit entsetzter Miene entgegnete:
Sie glauben?...
Bei Gott, ja, fuhr Sicardot fort; die Republikaner sind nicht so dumm, daß sie ihre Feinde in ihrem Rücken lassen. Morgen sind alle Beamten und gutgesinnten Bürger aus Plassans verschwunden.
Bei diesen Worten, die sie in sehr geschickter Weise herbeigeführt hatte, ließ Felicité den Arm ihres Gatten fahren. Peter machte Miene, wegzugehen. Dank seiner Gattin, deren geschickte Taktik ihm übrigens entging und von deren geheimem Einverständnis er keine Ahnung hatte, war ihm plötzlich ein ganzer Feldzugsplan enthüllt worden.
Wir müssen die Sache überlegen, ehe wir einen Entschluß fassen, sagte er dem Major. Meine Frau hat vielleicht nicht ganz unrecht, wenn sie uns beschuldigt, daß wir die Interessen unserer Familien außer acht lassen.
Nein, gewiß, Ihre Frau hat nicht unrecht, rief Granoux, der die Schreckensrufe Felicités mit dem Entzücken des Feiglings vernommen hatte.
Der Major stülpte sich den Hut auf den Kopf und sagte entschieden:
Ob recht oder unrecht, was liegt daran? Ich bin Kommandant der Nationalgarde, ich sollte schon auf dem Bürgermeisteramte sein. Gesteht wenigstens, daß ihr Angst habt und mich verlaßt. Guten Abend denn!
Er legte die Hand an die Klinke, als Rougon ihn mit lebhafter Gebärde zurückhielt.
Hören Sie mich, Sicardot, sagte er.
Und er zog ihn in einen Winkel, weil er sah, daß Vuillet die breiten Ohren spitzte.
Hier erklärte er ihm mit leiser Stimme, daß es ein Gebot der Vorsicht sei, hinter den Aufständischen einige energische Männer zurückzulassen, die in der Stadt die Ordnung wiederherstellen könnten. Weil der tollkühne Kommandant dabei beharrte, seinen Posten nicht verlassen zu wollen, machte er sich selbst erbötig, sich an die Spitze der Reservetruppen zu stellen.
Geben Sie mir, sagte er, den Schlüssel der Scheune, wo Sie die Gewehre und den Schießbedarf in Verwahrung haben, und geben Sie fünfzig Leuten von unseren Anhängern den Befehl, sich nicht zu rühren, bis ich sie rufe.
Sicardot willigte schließlich in diese Vorsichtsmaßnahmen ein. Er vertraute dem Rougon den Schlüssel der Scheune an; er sah ein, daß für den Augenblick jeder Widerstand nutzlos sei, aber er wollte dennoch mit seiner Person einstehen.
Während dieser Unterredung flüsterte der Marquis mit schlauer Miene einige Worte in das Ohr Felicités; ohne Zweifel beglückwünschte er sie zu ihrer List. Die Alte konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Als sie sah, wie Sicardot ihrem Gatten zum Abschiede die Hand reichte und sich zum Gehen anschickte, rief sie ihm mit verstörter Miene zu:
Sie verlassen uns wirklich?
Niemals wird ein alter Soldat Napoleons sich durch den Pöbel einschüchtern lassen, erwiderte er.
Er war schon auf dem Flur, als Granoux ihm nachschrie:
Wenn Sie aufs Rathaus gehen, verständigen Sie den Bürgermeister von den Vorgängen. Ich eile nach Hause, um meine Frau zu beruhigen.
Felicité hatte sich zum Ohr des Marquis geneigt und flüsterte ihm mit geheimer Freude zu:
Meiner Treu, es ist mir lieb, wenn der Major sich fassen läßt. Er ist gar zu tollkühn.
Mittlerweile hatte Rougon den Granoux wieder in den Salon zurückgeführt. Roudier, der aus seinem Winkel die ganze Szene still beobachtet und mit energischen Zeichen seine Zustimmung zu den vorgeschlagenen Vorsichtsmaßnahmen ausgedrückt hatte, trat jetzt zu ihnen. Als der Marquis und Vuillet sich ebenfalls erhoben hatten, sprach Peter:
Da wir allein sind unter friedfertigen Leuten, schlage ich Ihnen vor, daß wir uns verbergen, um der sicheren Haft zu entgehen und dann frei zu sein, wenn wir die Stärkeren sind.
Granoux mußte sich zurückhalten, um ihm nicht um den Hals zu fallen; Roudier und Vuillet atmeten wieder auf.
Ich werde Ihrer demnächst wieder bedürfen, meine Herren, fuhr der Ölhändler mit wichtiger Miene fort; uns ist es eben vorbehalten, die Ordnung in Plassans wieder herzustellen.
Zählen Sie auf uns! rief Vuillet mit einer Begeisterung, die Felicité beunruhigte.
Die Zeit drängte. Die seltsamen Verteidiger von Plassans, die sich verbargen, um ihre Stadt besser verteidigen zu können, beeilten sich, ihre Schlupfwinkel aufzusuchen.
Als Peter mit seiner Frau allein geblieben war, empfahl er ihr, nicht den Fehler zu begehen, das Haus zu verrammeln, und wenn man nach ihm fragen sollte, zu antworten, daß er eine kleine Reise unternommen habe. Als sie die Unwissende spielte und einigen Schrecken heuchelte, erwiderte er ihr auf ihre Frage, was denn vorgehe, in schroffem Tone:
Das geht dich nichts an, laß mich unsere Angelegenheiten allein führen, es ist besser so.
Einige Minuten später eilte er durch die Banne-Straße. Auf der Promenade Sauvaire angekommen, sah er eine Bande bewaffneter Arbeiter aus dem alten Quartier hervorbrechen, welche die Marseillaise sangen.
Alle Wetter!