Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer - Arthur Schopenhauer страница 116
In diesem Sinn ist also das alte, stets bestrittene und stets behauptete Philosophem von der Freiheit des Willens nicht grundlos, und auch das Dogma der Kirche von der Gnadenwirkung und Wiedergeburt nicht ohne Sinn und Bedeutung. Aber wir sehn unerwartet jetzt Beide in Eins zusammenfallen, und können nunmehr auch verstehn, in welchem Sinn der vortreffliche Malebranche sagen konnte: »La liberté est un mystère«, und Recht hatte. Denn eben Das, was die Christlichen Mystiker die Gnadenwirkung und Wiedergeburt nennen, ist uns die einzige unmittelbare Aeußerung der Freiheit des Willens. Sie tritt erst ein, wann der Wille, zur Erkenntniß seines Wesens an sich gelangt, aus dieser ein Quietiv erhält und eben dadurch der Wirkung der Motive entzogen wird, welche im Gebiet einer andern Erkenntnißweise liegt, deren Objekte nur Erscheinungen sind. – Die Möglichkeit der also sich äußernden Freiheit ist der größte Vorzug des Menschen, der dem Thiere ewig abgeht, weil die Besonnenheit der Vernunft, welche, unabhängig vom Eindruck der Gegenwart, das Ganze des Lebens übersehn läßt, Bedingung derselben ist. Das Thier ist ohne alle Möglichkeit der Freiheit, wie es sogar ohne Möglichkeit einer eigentlichen, also besonnenen Wahlentscheidung, nach vorhergegangenem vollkommenem Konflikt der Motive, die hiezu abstrakte Vorstellungen seyn müßten, ist. Mit eben der Nothwendigkeit daher, mit welcher der Stein zur Erde fällt, schlägt der hungerige Wolf seine Zähne in das Fleisch des Wildes, ohne Möglichkeit der Erkenntniß, daß er der Zerfleischte sowohl als der Zerfleischende ist. Nothwendigkeit ist das Reich der Natur; Freiheit ist das Reich der Gnade.
Weil nun, wie wir gesehn haben, jene Selbstaufhebung des Willens von der Erkenntniß ausgeht, alle Erkenntniß und Einsicht aber als solche von der Willkür unabhängig ist; so ist auch jene Verneinung des Wollens, jener Eintritt in die Freiheit, nicht durch Vorsatz zu erzwingen, sondern geht aus dem Innersten Verhältniß des Erkennens zum Wollen im Menschen hervor, kommt daher plötzlich und wie von außen angeflogen. Daher eben nannte die Kirche sie Gnadenwirkung: wie sie aber diese noch abhängen läßt von der Aufnahme der Gnade, so ist auch die Wirkung des Quietivs doch zuletzt ein Freiheitsakt des Willens. Und weil in Folge solcher Gnadenwirkung das ganze Wesen des Menschen von Grund aus geändert und umgekehrt wird, so daß er nichts mehr will von Allem, was er bisher so heftig wollte, also wirklich gleichsam ein neuer Mensch an die Stelle des alten tritt, nannte sie diese Folge der Gnadenwirkung die Wiedergeburt. Denn was sie den natürlichen Menschen nennt, dem sie alle Fähigkeit zum Guten abspricht, das ist eben der Wille zum Leben, welcher verneint werden muß, wenn Erlösung aus einem Daseyn, wie das unserige ist, erlangt werden soll. Hinter unserm Daseyn nämlich steckt etwas Anderes, welches uns erst dadurch zugänglich wird, daß wir die Welt abschütteln.
Nicht, dem Satz vom Grunde gemäß, die Individuen, sondern die Idee des Menschen in ihrer Einheit betrachtend, symbolisirt die Christliche Glaubenslehre die Natur, die Bejahung des Willens zum Leben, im Adam, dessen auf uns vererbte Sünde, d.h. unsere Einheit mit ihm in der Idee, welche in der Zeit durch das Band der Zeugung sich darstellt, uns Alle des Leidens und des ewigen Todes theilhaft macht: dagegen symbolisirt sie die Gnade, die Verneinung des Willens, die Erlösung, im menschgewordenen Gotte, der, als frei von aller Sündhaftigkeit, d.h. von allem Lebenswillen, auch nicht, wie wir, aus der entschiedensten Bejahung des Willens hervorgegangen seyn kann, noch wie wir einen Leib haben kann, der durch und durch nur konkreter Wille, Erscheinung des Willens, ist; sondern von der reinen Jungfrau geboren, auch nur einen Scheinleib hat. Dieses letztere nämlich nach den Doketen, d.i. einigen hierin sehr konsequenten Kirchenvätern. Besonders lehrte es Appelles, gegen welchen und seine Nachfolger sich Tertullian erhob. Aber auch selbst Augustinus kommentirt die Stelle, Röm. 8, 3: »Deus filium suum misit in similitudinem carnis peccati«, also: »Non enim caro peccati erat, quae non de carnali delectatione nata erat: sed tamen inerat ei similitudo carnis peccati, quia mortalis caro erat« (Liber 83, quaestion. qu. 66). Derselbe lehrt in seinem Werke, genannt opus imperfectum, 1, 47, daß die Erbsünde Sünde und Strafe zugleich sei. Sie sei schon in den neugeborenen Kindern befindlich, zeige sich aber erst, wenn sie herangewachsen. Dennoch sei der Ursprung dieser Sünde von dem Willen des Sündigenden herzuleiten. Dieser Sündigende sei Adam gewesen; aber in ihm hätten wir alle existirt: Adam ward unglücklich, und in ihm seien wir alle unglücklich geworden. – Wirklich ist die Lehre von der Erbsünde (Bejahung des Willens) und von der Erlösung (Verneinung des Willens) die große Wahrheit, welche den Kern des Christenthums ausmacht; während das Uebrige meistens nur Einkleidung und Hülle, oder Beiwerk ist. Demnach soll man Jesum Christum stets im Allgemeinen auffassen, als das Symbol, oder die Personifikation, der Verneinung des Willens zum Leben; nicht aber individuell, sei es nach seiner mythischen Geschichte in den Evangelien, oder nach der ihr zum Grunde liegenden, muthmaaßlichen, wahren. Denn weder das Eine, noch das Andere wird leicht ganz befriedigen. Es ist bloß das Vehikel jener erstem Auffassung, für das Volk, als welches stets etwas Faktisches verlangt. – Daß in neuerer Zeit das Christenthum seine wahre Bedeutung vergessen hat und in platten Optimismus ausgeartet ist, geht uns hier nicht an.
Es ist ferner eine ursprüngliche und evangelische Lehre des Christenthums, welche Augustinus, mit Zustimmung der Häupter der Kirche, gegen die Plattheiten der Pelagianer vertheidigte, und welche von Irrthümern zu reinigen und wieder hervorzuheben Luther zum Hauptziel seines Strebens machte, wie er dies in seinem Buche »De servo arbitrio« ausdrücklich erklärt, – die Lehre nämlich, daß der Wille nicht frei ist, sondern dem Hange zum Bösen ursprünglich unterthan; daher seine Werke stets sündlich und mangelhaft sind und nie der Gerechtigkeit genug thun können; daß also endlich keineswegs diese Werke, sondern der Glaube allein sälig macht;