Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer

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Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer - Arthur Schopenhauer

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Ursachen ein Glied ist, der belebte Leib, in der Zeit, welche nur Erscheinungen enthält, fortdauert, so steht der Wille, der sich durch diese Erscheinung manifestirt, alsdann mit ihr im Widerspruch, indem er verneint was sie ausspricht. In solchem Fall sind z.B. die Genitalien, als Sichtbarkeit des Geschlechtstriebes, da und gesund; es wird aber dennoch, auch im Innersten, keine Geschlechtsbefriedigung gewollt: und der ganze Leib ist nur sichtbarer Ausdruck des Willens zum Leben, und dennoch wirken die diesem Willen entsprechenden Motive nicht mehr: ja, die Auflösung des Leibes, das Ende des Individuums und dadurch die größte Hemmung des natürlichen Willens, ist vollkommen und erwünscht. Von diesem realen Widerspruch nun, der aus dem unmittelbaren Eingreifen der keine Nothwendigkeit kennenden Freiheit des Willens an sich in die Nothwendigkeit seiner Erscheinung hervorgeht, ist der Widerspruch zwischen unsern Behauptungen von der Nothwendigkeit der Bestimmung des Willens durch die Motive, nach Maaßgabe des Charakters, einerseits, und von der Möglichkeit der gänzlichen Aufhebung des Willens, wodurch die Motive machtlos werden, andererseits, nur die Wiederholung in der Reflexion der Philosophie. Der Schlüssel zur Vereinigung dieser Widersprüche liegt aber darin, daß der Zustand, in welchem der Charakter der Macht der Motive entzogen ist, nicht unmittelbar vom Willen ausgeht, sondern von einer veränderten Erkenntnißweise. So lange nämlich die Erkenntniß keine andere, als die im principio individuationis befangene, dem Satz vom Grunde schlechthin nachgehende ist, ist auch die Gewalt der Motive unwiderstehlich: wann aber das principum individuationis durchschaut, die Ideen, ja das Wesen der Dinge an sich, als der selbe Wille in Allem, unmittelbar erkannt wird, und aus dieser Erkenntniß ein allgemeines Quietiv des Wollens hervorgeht; dann werden die einzelnen Motive unwirksam, weil die ihnen entsprechende Erkenntnißweise, durch eine ganz andere verdunkelt, zurückgetreten ist. Daher kann der Charakter sich zwar nimmermehr theilweise ändern, sondern muß, mit der Konsequenz eines Naturgesetzes, im Einzelnen den Willen ausführen, dessen Erscheinung er im Ganzen ist; aber eben dieses Ganze, der Charakter selbst, kann völlig aufgehoben werden, durch die oben angegebene Veränderung der Erkenntniß. Diese seine Aufhebung ist es, welche Asmus, wie oben angeführt, als die »katholische, transscendentale Veränderung« bezeichnet und anstaunt: eben sie ist auch Dasjenige, was in der Christlichen Kirche, sehr treffend, die Wiedergeburt, und die Erkenntniß, aus der sie hervorgeht, Das, was die Gnadenwirkung genannt wurde. – Eben daher, daß nicht von einer Aenderung, sondern von einer gänzlichen Aufhebung des Charakters die Rede ist, kommt es, daß, so verschieden, vor jener Aufhebung, die Charaktere, welche sie getroffen, auch waren, sie dennoch nach derselben eine große Gleichheit in der Handlungsweise zeigen, obwohl noch jeder, nach seinen Begriffen und Dogmen, sehr verschieden redet.

      In diesem Sinn ist also das alte, stets bestrittene und stets behauptete Philosophem von der Freiheit des Willens nicht grundlos, und auch das Dogma der Kirche von der Gnadenwirkung und Wiedergeburt nicht ohne Sinn und Bedeutung. Aber wir sehn unerwartet jetzt Beide in Eins zusammenfallen, und können nunmehr auch verstehn, in welchem Sinn der vortreffliche Malebranche sagen konnte: »La liberté est un mystère«, und Recht hatte. Denn eben Das, was die Christlichen Mystiker die Gnadenwirkung und Wiedergeburt nennen, ist uns die einzige unmittelbare Aeußerung der Freiheit des Willens. Sie tritt erst ein, wann der Wille, zur Erkenntniß seines Wesens an sich gelangt, aus dieser ein Quietiv erhält und eben dadurch der Wirkung der Motive entzogen wird, welche im Gebiet einer andern Erkenntnißweise liegt, deren Objekte nur Erscheinungen sind. – Die Möglichkeit der also sich äußernden Freiheit ist der größte Vorzug des Menschen, der dem Thiere ewig abgeht, weil die Besonnenheit der Vernunft, welche, unabhängig vom Eindruck der Gegenwart, das Ganze des Lebens übersehn läßt, Bedingung derselben ist. Das Thier ist ohne alle Möglichkeit der Freiheit, wie es sogar ohne Möglichkeit einer eigentlichen, also besonnenen Wahlentscheidung, nach vorhergegangenem vollkommenem Konflikt der Motive, die hiezu abstrakte Vorstellungen seyn müßten, ist. Mit eben der Nothwendigkeit daher, mit welcher der Stein zur Erde fällt, schlägt der hungerige Wolf seine Zähne in das Fleisch des Wildes, ohne Möglichkeit der Erkenntniß, daß er der Zerfleischte sowohl als der Zerfleischende ist. Nothwendigkeit ist das Reich der Natur; Freiheit ist das Reich der Gnade.

      Weil nun, wie wir gesehn haben, jene Selbstaufhebung des Willens von der Erkenntniß ausgeht, alle Erkenntniß und Einsicht aber als solche von der Willkür unabhängig ist; so ist auch jene Verneinung des Wollens, jener Eintritt in die Freiheit, nicht durch Vorsatz zu erzwingen, sondern geht aus dem Innersten Verhältniß des Erkennens zum Wollen im Menschen hervor, kommt daher plötzlich und wie von außen angeflogen. Daher eben nannte die Kirche sie Gnadenwirkung: wie sie aber diese noch abhängen läßt von der Aufnahme der Gnade, so ist auch die Wirkung des Quietivs doch zuletzt ein Freiheitsakt des Willens. Und weil in Folge solcher Gnadenwirkung das ganze Wesen des Menschen von Grund aus geändert und umgekehrt wird, so daß er nichts mehr will von Allem, was er bisher so heftig wollte, also wirklich gleichsam ein neuer Mensch an die Stelle des alten tritt, nannte sie diese Folge der Gnadenwirkung die Wiedergeburt. Denn was sie den natürlichen Menschen nennt, dem sie alle Fähigkeit zum Guten abspricht, das ist eben der Wille zum Leben, welcher verneint werden muß, wenn Erlösung aus einem Daseyn, wie das unserige ist, erlangt werden soll. Hinter unserm Daseyn nämlich steckt etwas Anderes, welches uns erst dadurch zugänglich wird, daß wir die Welt abschütteln.

      Nicht, dem Satz vom Grunde gemäß, die Individuen, sondern die Idee des Menschen in ihrer Einheit betrachtend, symbolisirt die Christliche Glaubenslehre die Natur, die Bejahung des Willens zum Leben, im Adam, dessen auf uns vererbte Sünde, d.h. unsere Einheit mit ihm in der Idee, welche in der Zeit durch das Band der Zeugung sich darstellt, uns Alle des Leidens und des ewigen Todes theilhaft macht: dagegen symbolisirt sie die Gnade, die Verneinung des Willens, die Erlösung, im menschgewordenen Gotte, der, als frei von aller Sündhaftigkeit, d.h. von allem Lebenswillen, auch nicht, wie wir, aus der entschiedensten Bejahung des Willens hervorgegangen seyn kann, noch wie wir einen Leib haben kann, der durch und durch nur konkreter Wille, Erscheinung des Willens, ist; sondern von der reinen Jungfrau geboren, auch nur einen Scheinleib hat. Dieses letztere nämlich nach den Doketen, d.i. einigen hierin sehr konsequenten Kirchenvätern. Besonders lehrte es Appelles, gegen welchen und seine Nachfolger sich Tertullian erhob. Aber auch selbst Augustinus kommentirt die Stelle, Röm. 8, 3: »Deus filium suum misit in similitudinem carnis peccati«, also: »Non enim caro peccati erat, quae non de carnali delectatione nata erat: sed tamen inerat ei similitudo carnis peccati, quia mortalis caro erat« (Liber 83, quaestion. qu. 66). Derselbe lehrt in seinem Werke, genannt opus imperfectum, 1, 47, daß die Erbsünde Sünde und Strafe zugleich sei. Sie sei schon in den neugeborenen Kindern befindlich, zeige sich aber erst, wenn sie herangewachsen. Dennoch sei der Ursprung dieser Sünde von dem Willen des Sündigenden herzuleiten. Dieser Sündigende sei Adam gewesen; aber in ihm hätten wir alle existirt: Adam ward unglücklich, und in ihm seien wir alle unglücklich geworden. – Wirklich ist die Lehre von der Erbsünde (Bejahung des Willens) und von der Erlösung (Verneinung des Willens) die große Wahrheit, welche den Kern des Christenthums ausmacht; während das Uebrige meistens nur Einkleidung und Hülle, oder Beiwerk ist. Demnach soll man Jesum Christum stets im Allgemeinen auffassen, als das Symbol, oder die Personifikation, der Verneinung des Willens zum Leben; nicht aber individuell, sei es nach seiner mythischen Geschichte in den Evangelien, oder nach der ihr zum Grunde liegenden, muthmaaßlichen, wahren. Denn weder das Eine, noch das Andere wird leicht ganz befriedigen. Es ist bloß das Vehikel jener erstem Auffassung, für das Volk, als welches stets etwas Faktisches verlangt. – Daß in neuerer Zeit das Christenthum seine wahre Bedeutung vergessen hat und in platten Optimismus ausgeartet ist, geht uns hier nicht an.

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