Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer

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wie von außen auf uns kommt. – Nicht nur die vorhin erwähnten, sondern auch dieses letztere acht evangelische Dogma gehört zu denen, welche heut zu Tage eine rohe und platte Ansicht als absurd verwirft, oder verdeckt, indem sie, trotz Augustin und Luther, dem Pelagianischen Hausmannsverstande, welches eben der heutige Rationalismus ist, zugethan, gerade diese tiefsinnigen, dem Christenthum im engsten Sinn eigenthümlichen und wesentlichen Dogmen antiquirt, hingegen das aus dem Judenthum stammende und beibehaltene, nur auf dem historischen Wege dem Christenthum verbundene102 Dogma allein festhält und zur Hauptsache macht. – Wir aber erkennen in der oben erwähnten Lehre die mit dem Resultat unserer Betrachtungen völlig übereinstimmende Wahrheit. Wir sehn nämlich, daß die ächte Tugend und Heiligkeit der Gesinnung ihren ersten Ursprung nicht in der überlegten Willkür (den Werken), sondern in der Erkenntniß (dem Glauben) hat: gerade wie wir es auch aus unserm Hauptgedanken entwickelten. Wären es die Werke, welche aus Motiven und überlegtem Vorsatz entspringen, die zur Säligkeit führten; so wäre die Tugend immer nur ein kluger, methodischer, weitsehender Egoismus; man mag es drehen wie man will. – Der Glaube aber, welchem die Christliche Kirche die Säligkeit verspricht, ist dieser: daß, wie wir durch den Sündenfall des ersten Menschen der Sünde Alle theilhaft und dem Tode und Verderben anheimgefallen sind, wir auch Alle nur durch die Gnade und Uebernahme unserer Ungeheuern Schuld, durch den göttlichen Mittler, erlöst werden, und zwar dieses ganz ohne unser (der Person) Verdienst; da Das, was aus dem absichtlichen (durch Motive bestimmten) Thun der Person hervorgehn kann, die Werke, uns nimmermehr rechtfertigen kann, durchaus und seiner Natur nach nicht, eben weil es absichtliches, durch Motive herbeigeführtes Thun, opus operatum, ist. In diesem Glauben liegt also zuvörderst, daß unser Zustand ein ursprünglich und wesentlich heilloser ist, der Erlösung aus welchem wir bedürfen; sodann daß wir selbst wesentlich dem Bösen angehören und ihm so fest verbunden sind, daß unsere Werke nach dem Gesetze und der Vorschrift, d.h. nach Motiven, gar nie der Gerechtigkeit genug thun, noch uns erlösen können; sondern die Erlösung nur durch Glauben, d. i. durch eine veränderte Erkenntnißweise, gewonnen wird, und dieser Glaube selbst nur durch die Gnade, also wie von außen, kommen kann: dies heißt, daß das Heil ein unserer Person ganz fremdes ist, und deutet auf eine zum Heil nothwendige Verneinung und Aufgebung eben dieser Person. Die Werke, die Befolgung des Gesetzes als solchen, können nie rechtfertigen, weil sie immer ein Handeln auf Motive sind. Luther verlangt (im Buche »De libertate Christiana«), daß, nachdem der Glaube eingetreten, die guten Werke ganz von selbst aus ihm hervorgehn, als Symptome, als Früchte desselben; aber durchaus nicht als an sich Anspruch auf Verdienst, Rechtfertigung, oder Lohn machend, sondern ganz freiwillig und unentgeltlich geschehend. – So ließen auch wir aus der immer klarer werdenden Durchschauung des principii individuationis zuerst nur die freie Gerechtigkeit, dann die Liebe, bis zum völligen Aufheben des Egoismus, und zuletzt die Resignation, oder Verneinung des Willens, hervorgehn.

      Ich habe diese Dogmen der Christlichen Glaubenslehre, welche an sich der Philosophie fremd sind, nur deshalb hier herbeigezogen, um zu zeigen, daß die aus unserer ganzen Betrachtung hervorgehende und mit allen Theilen derselben genau übereinstimmendeund zusammenhängende Ethik, wenn sie auch dem Ausdruck nach neu und unerhört wäre, dem Wesen nach es keineswegs ist, sondern völlig übereinstimmt mit den ganz eigentlich Christlichen Dogmen, und sogar in diesen selbst, dem Wesentlichen nach, enthalten und vorhanden war; wie sie denn auch eben so genau übereinstimmt mit den wieder in ganz andern Formen vorgetragenen Lehren und ethischen Vorschriften der heiligen Bücher Indiens. Zugleich diente die Erinnerung an die Dogmen der Christlichen Kirche zur Erklärung und Erläuterung des scheinbaren Widerspruchs zwischen der Nothwendigkeit aller Aeußerungen des Charakters bei vorgehaltenen Motiven (Reich der Natur) einerseits, und der Freiheit des Willens an sich, sich selbst zu verneinen und den Charakter, mit aller auf ihn gegründeten Nothwendigkeit der Motive aufzuheben (Reich der Gnade) andererseits.

      § 71

       Inhaltsverzeichnis

      Indem ich hier die Grundzüge der Ethik und mit ihnen die ganze Entwickelung jenes einen Gedankens, dessen Mittheilung mein Zweck war, beendige, will ich einen Vorwurf, der diesen letzten Theil der Darstellung trifft, keineswegs verhehlen, sondern vielmehr zeigen, daß er im Wesen der Sache liegt und ihm abzuhelfen schlechthin unmöglich ist. Es ist dieser, daß nachdem unsere Betrachtung zuletzt dahin gelangt ist, daß wir in der vollkommenen Heiligkeit das Verneinen und Aufgeben alles Wollens und eben dadurch die Erlösung von einer Welt, deren ganzes Daseyn sich uns als Leiden darstellte, vor Augen haben, uns nun eben dieses als ein Uebergang in das leere Nichts erscheint.

      Hierüber muß ich zuvörderst bemerken, daß der Begriff des Nichts wesentlich relativ ist und immer sich nur auf ein bestimmtes Etwas bezieht, welches er negirt. Man hat (namentlich Kant) diese Eigenschaft nur dem nihil privativum, welches das im Gegensatz eines + mit – Bezeichnete ist, zugeschrieben, welches –, bei umgekehrtem Gesichtspunkte zu + werden könnte, und hat im Gegensatz dieses nihil privativum das nihil negativum aufgestellt, welches in jeder Beziehung Nichts wäre, wozu man als Beispiel den logischen, sich selbst aufhebenden Widerspruch gebraucht. Näher betrachtet aber ist kein absolutes Nichts, kein ganz eigentliches nihil negativum, auch nur denkbar; sondern jedes dieser Art ist, von einem hohem Standpunkt aus betrachtet, oder einem weitem Begriff subsumirt, immer wieder nur ein nihil privativum. Jedes Nichts ist ein solches nur im Verhältniß zu etwas Anderm gedacht, und setzt dieses Verhältniß, also auch jenes Andere, voraus. Selbst einlogi scher Widerspruch ist nur ein relatives Nichts. Er ist kein Gedanke der Vernunft; aber er ist darum kein absolutes Nichts. Denn er ist eine Wortzusammensetzung, er ist ein Beispiel des Nichtdenkbaren, dessen man in der Logik nothwendig bedarf, um die Gesetze des Denkens nachzuweisen: daher, wenn man, zu diesem Zweck, auf ein solches Beispiel ausgeht, man den Unsinn, als das Positive, welches man eben sucht, festhalten, den Sinn, als das Negative, überspringen wird. So wird also jedes nihil negativum, oder absolute Nichts, wenn einem hohem Begriff untergeordnet, als ein bloßes nihil privativum, oder relatives Nichts, erscheinen, welches auch immer mit Dem, was es negirt, die Zeichen vertauschen kann, so daß dann jenes als Negation, es selbst aber als Position gedacht würde. Hiemit stimmt auch das Resultat der schwierigen dialektischen Untersuchung über das Nichts, welche Plato im »Sophisten« (S. 277-287, Bip.) anstellt, überein:

      Tên tou heterou physin apodeixantes ousan te, kai katakekermatismenên epi panta ta onta pros allêla, to pros to on hekastou morion autês antitithemenon, etolmêsamen eipein, hôs auto touto estin ontôs to mêon. (Cum enim ostenderemus, alterius ipsius naturam esse, perque omnia entia divisam atque dispersam invicem; tunc partem ejus oppositam ei, quod cujusque ens est, esse ipsum revera non ens asseruimus.)

      Das allgemein als positiv Angenommene, welches wir das Seiende nennen und dessen Negation der Begriff Nichts in seiner allgemeinsten Bedeutung ausspricht, ist eben die Welt der Vorstellung, welche ich als die Objektität des Willens, als seinen Spiegel, nachgewiesen habe. Dieser Wille und diese Welt sind eben auch wir selbst, und zu ihr gehört die Vorstellung überhaupt, als ihre eine Seite: die Form dieser Vorstellung ist Raum und Zeit, daher Alles für diesen Standpunkt Seiende irgendwo und irgendwann seyn muß. Zur Vorstellung gehört sodann auch der Begriff, das Material der Philosophie, endlich das Wort, das Zeichen des Begriffs. Verneinung, Aufhebung, Wendung des Willens ist auch Aufhebung und Verschwinden der Welt, seines Spiegels. Erblicken wir ihn in diesem Spiegel nicht mehr, so fragen wir vergeblich, wohin er sich gewendet, und klagen dann, da er kein Wo und Wann mehr hat, er sei ins Nichts verloren gegangen.

      Ein umgekehrter Standpunkt, wenn er für uns möglich wäre, würde die Zeichen vertauschen lassen, und das für uns Seiende als das Nichts und jenes Nichts als das Seiende zeigen. So lange wir aber der Wille zum Leben selbst sind, kann jenes Letztere von uns nur negativ erkannt und bezeichnet werden, weil der alte Satz des Empedokles, daß Gleiches nur von Gleichem erkannt wird,

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