Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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§ 22
Dieses Ding an sich (wir wollen den Kantischen Ausdruck als stehende Formel beibehalten), welches als solches nimmermehr Objekt ist, eben weil alles Objekt schon wieder seine bloße Erscheinung, nicht mehr es selbst ist, mußte, wenn es dennoch objektiv gedacht werden sollte, Namen und Begriff von einem Objekt borgen, von etwas irgendwie objektiv Gegebenem, folglich von einer seiner Erscheinungen; aber diese durfte, um als Verständigungspunkt zu dienen, keine andere seyn, als unter allen seinen Erscheinungen die vollkommenste, d.h. die deutlichste, am meisten entfaltete, vom Erkennen unmittelbar beleuchtete: diese aber eben ist des Menschen Wille. Man hat jedoch wohl zu bemerken, daß wir hier allerdings nur eine denominatio a potiori gebrauchen, durch welche eben deshalb der Begriff Wille eine größere Ausdehnung erhält, als er bisher hatte. Erkenntniß des Identischen in verschiedenen Erscheinungen und des Verschiedenen in ähnlichen ist eben, wie Plato so oft bemerkt, Bedingung zur Philosophie. Man hatte aber bis jetzt die Identität des Wesens jeder irgend strebenden und wirkenden Kraft in der Natur mit dem Willen nicht erkannt, und daher die mannigfaltigen Erscheinungen, welche nur verschiedene Species des selben Genus sind, nicht dafür angesehn, sondern als heterogen betrachtet: deswegen konnte auch kein Wort zur Bezeichnung des Begriffs dieses Genus vorhanden seyn. Ich benenne daher das Genus nach der vorzüglichsten Species, deren uns näher liegende, unmittelbare Erkenntniß zur mittelbaren Erkenntniß aller andern führt. Daher aber würde in einem immerwährenden Mißverständniß befangen bleiben, wer nicht fähig wäre, die hier geforderte Erweiterung des Begriffs zu vollziehn, sondern bei dem Worte Wille immer nur noch die bisher allein damit bezeichnete eine Species, den vom Erkennen geleiteten und ausschließlich nach Motiven, ja wohl gar nur nach abstrakten Motiven, also unter Leitung der Vernunft sich äußernden Willen verstehn wollte, welcher, wie gesagt, nur die deutlichste Erscheinung des Willens ist. Das uns unmittelbar bekannte Innerste Wesen eben dieser Erscheinung müssen wir nun in Gedanken rein aussondern, es dann auf alle schwächeren, undeutlicheren Erscheinungen des selben Wesens übertragen, wodurch wir die verlangte Erweiterung des Begriffs Wille vollziehn. – Auf die entgegengesetzte Weise würde mich aber der mißverstehn, der etwan meinte, es sei zuletzt einerlei, ob man jenes Wesen an sich aller Erscheinung durch das Wort Wille, oder durch irgend ein anderes bezeichnete. Dies würde der Fall seyn, wenn jenes Ding an sich etwas wäre, auf dessen Existenz wir bloß schlössen und es so allein mittelbar und bloß in abstracto erkennten: dann könnte man es allerdings nennen wie man wollte: der Name stände als bloßes Zeichen einer unbekannten Größe da. Nun aber bezeichnet das Wort Wille, welches uns, wie ein Zauberwort, das Innerste Wesen jedes Dinges in der Natur aufschließen soll, keineswegs eine unbekannte Größe, ein durch Schlüsse erreichtes Etwas; sondern ein durchaus unmittelbar Erkanntes und so sehr Bekanntes, daß wir, was Wille sei, viel besser wissen und verstehn, als sonst irgend etwas, was immer es auch sei. – Bisher subsumirte man den Begriff Wille unter den Begriff Kraft: dagegen mache ich es gerade umgekehrt und will jede Kraft in der Natur als Wille gedacht wissen. Man glaube ja nicht, daß dies Wortstreit, oder gleichgültig sei: vielmehr ist es von der allerhöchsten Bedeutsamkeit und Wichtigkeit. Denn dem Begriffe Kraft liegt, wie allen andern, zuletzt die anschauliche Erkenntniß der objektiven Welt, d.h. die Erscheinung, die Vorstellung, zum Grunde, und daraus ist er geschöpft. Er ist aus dem Gebiet abstrahirt, wo Ursache und Wirkung herrscht, also aus der anschaulichen Vorstellung, und bedeutet eben das Ursachseyn der Ursache, auf dem Punkt, wo es ätiologisch durchaus nicht weiter erklärlich, sondern eben die nothwendige Voraussetzung aller ätiologischen Erklärung ist. Hingegen der Begriff Wille ist der einzige, unter allen möglichen, welcher seinen Ursprung nicht in der Erscheinung, nicht in bloßer anschaulicher Vorstellung hat, sondern aus dem Innern kommt, aus dem unmittelbarsten Bewußtseyn eines Jeden hervorgeht, in welchem dieser sein eigenes Individuum, seinem Wesen nach, unmittelbar, ohne alle Form, selbst ohne die von Subjekt und Objekt, erkennt und zugleich selbst ist, da hier das Erkennende und das Erkannte zusammenfallen. Führen wir daher den Begriff der Kraft auf den des Willens zurück, so haben wir in der That ein Unbekannteres auf ein unendlich Bekannteres, ja, auf das einzige uns wirklich unmittelbar und ganz und gar Bekannte zurückgeführt und unsere Erkenntniß um ein sehr großes erweitert. Subsumiren wir hingegen, wie bisher geschah, den Begriff Wille unter den der Kraft; so begeben wir uns der einzigen unmittelbaren Erkenntniß, die wir vom innern Wesen der Welt haben, indem wir sie untergehn lassen in einen aus der Erscheinung abstrahirten Begriff, mit welchem wir daher nie über die Erscheinung hinauskönnen.
§ 23
Der Wille als Ding an sich ist von seiner Erscheinung gänzlich verschieden und völlig frei von allen Formen derselben, in welche er eben erst eingeht, indem er erscheint, die daher nur seine Objektität betreffen, ihm selbst fremd sind. Schon die allgemeinste Form aller Vorstellung, die des Objekts für ein Subjekt, trifft ihn nicht; noch weniger die dieser untergeordneten, welche insgesammt ihren gemeinschaftlichen Ausdruck im Satz vom Grunde haben, wohin bekanntlich auch Zeit und Raum gehören, und folglich auch die durch diese allein bestehende und möglich gewordene Vielheit. In dieser letztern Hinsicht werde ich, mit einem aus der alten eigentlichen Scholastik entlehnten Ausdruck, Zeit und Raum das principium individuationis nennen, welches ich ein für alle Mal zu merken bitte. Denn Zeit und Raum allein sind es, mittelst welcher das dem Wesen und dem Begriff nach Gleiche und Eine doch als verschieden, als Vielheit neben und nach einander erscheint: sie sind folglich das principium individuationis, der Gegenstand so vieler Grübeleien und Streitigkeiten der Scholastiker, welche man im Suarez (Disp5, sect.3) beisammen findet. – Der Wille als Ding an sich liegt, dem Gesagten zufolge, außerhalb des Gebietes des Satzes vom Grund in allen seinen Gestaltungen, und ist folglich schlechthin grundlos, obwohl jede seiner Erscheinungen durchaus dem Satz vom Grunde unterworfen ist: er ist ferner frei von aller Vielheit, obwohl seine Erscheinungen in Zeit und Raum unzählig sind: er selbst ist Einer: jedoch nicht wie ein Objekt Eines ist, dessen Einheit nur im Gegensatz der möglichen Vielheit erkannt wird: noch auch wie ein Begriff Eins ist, der nur durch Abstraktion von der Vielheit entstanden ist: sondern er ist Eines als das, was außer Zeit und Raum, dem principio individuationis, d.i. der Möglichkeit der Vielheit, liegt. Erst wenn uns dieses alles durch die folgende Betrachtung der Erscheinungen und verschiedenen Manifestationen des Willens völlig deutlich geworden seyn wird, werden wir den Sinn der Kantischen Lehre völlig verstehn, daß Zeit, Raum und Kausalität nicht dem Dinge an sich zukommen, sondern nur Formen des Erkennens sind.
Die Grundlosigkeit des Willens hat man auch wirklich da erkannt, wo er sich am deutlichsten manifestirt, als Wille des Menschen, und diesen frei, unabhängig genannt. Sogleich hat man aber auch, über die Grundlosigkeit des Willens selbst, die Nothwendigkeit, der seine Erscheinung überall unterworfen ist, übersehn, und die Thaten für frei erklärt, was sie nicht sind, da jede einzelne Handlung aus der Wirkung des Motivs auf den Charakter mit strenger Nothwendigkeit folgt. Alle Nothwendigkeit ist, wie schon gesagt, Verhältniß der Folge zum Grunde und durchaus nichts weiter. Der Satz vom Grunde ist allgemeine Form aller Erscheinung, und der Mensch in seinem Thun muß, wie jede andere Erscheinung, ihm unterworfen seyn. Weil aber im Selbstbewußtseyn der Wille unmittelbar und an sich erkannt wird, so liegt auch in diesem Bewußtseyn das der Freiheit. Allein es wird übersehn, daß das Individuum, die Person, nicht Wille als Ding an sich, sondern schon Erscheinung des Willens ist, als solche schon determinirt und in die Form der Erscheinung, den Satz vom Grund, eingegangen. Daher kommt die wunderliche Thatsache, daß Jeder sich a priori für ganz frei, auch in seinen einzelnen Handlungen, hält und meint, er könne jeden Augenblick