solche der Einseitigkeit beschuldigen, weil sie von einzelnen Thatsachen ausgienge. Von solchem Vorwurf und Verdacht ist daher unsere ganz kalte und philosophische, vom Allgemeinen ausgehende und a priori geführte Nachweisung des im Wesen des Lebens begründeten unumgänglichen Leidens frei. Die Bestätigung a posteriori aber ist überall leicht zu haben. Jeder, welcher aus den ersten Jugendträumen erwacht ist, eigene und fremde Erfahrung beachtet, sich im Leben, in der Geschichte der Vergangenheit und des eigenen Zeitalters, endlich in den Werken der großen Dichter umgesehn hat, wird, wenn nicht irgend ein unauslöschlich eingeprägtes Vorurtheil seine Urtheilskraft lahmt, wohl das Resultat erkennen, daß diese Menschenwelt das Reich des Zufalls und des Irrthums ist, die unbarmherzig darin schalten, im Großen, wie im Kleinen, neben welchen aber noch Thorheit und Bosheit die Geißel schwingen: daher es kommt, daß jedes Bessere nur mühsam sich durchdrängt, das Edle und Weise sehr selten zur Erscheinung gelangt und Wirksamkeit oder Gehör findet, aber das Absurde und Verkehrte im Reiche des Denkens, das Platte und Abgeschmackte im Reiche der Kunst, das Böse und Hinterlistige im Reiche der Thaten, nur durch kurze Unterbrechungen gestört, eigentlich die Herrschaft behaupten; hingegen das Treffliche jeder Art immer nur eine Ausnahme, ein Fall aus Millionen ist, daher auch, wenn es sich in einem dauernden Werke kund gegeben, dieses nachher, nachdem es den Groll seiner Zeitgenossen über lebt hat, isolirt dasteht, aufbewahrt wird, gleich einem Meteorstein, aus einer andern Ordnung der Dinge, als die hier herrschende ist, entsprungen. – Was aber das Leben des Einzelnen betrifft, so ist jede Lebensgeschichte eine Leidensgeschichte: denn jeder Lebenslauf ist, in der Regel, eine fortgesetzte Reihe großer und kleiner Unfälle, die zwar jeder möglichst verbirgt, weil er weiß, daß Andere selten Theilnahme oder Mitleid, fast immer aber Befriedigung durch die Vorstellung der Plagen, von denen sie gerade jetzt verschont sind, dabei empfinden müssen; – aber vielleicht wird nie ein Mensch, am Ende seines Lebens, wenn er besonnen und zugleich aufrichtig ist, wünschen, es nochmals durchzumachen, sondern, eher als das, viel lieber gänzliches Nichtsein erwählen. Der wesentliche Inhalt des weltberühmten Monologs im »Hamlet« ist, wenn zusammengefaßt, dieser: Unser Zustand ist ein so elender, daß gänzliches Nichtseyn ihm entschieden vorzuziehn wäre. Wenn nun der Selbstmord uns dieses wirklich darböte, so daß die Alternative »Seyn oder Nichtseyn« im vollen Sinn des Wortes vorläge; dann wäre er unbedingt zu erwählen, als eine höchst wünschenswerthe Vollendung (a consummation devoutly to be wish'd). Allein in uns ist etwas, das uns sagt, dem sei nicht so; es sei damit nicht aus, der Tod sei keine absolute Vernichtung. – Imgleichen ist, was schon der Vater der Geschichte anführt82, auch wohl seitdem nicht widerlegt worden, daß nämlich kein Mensch existirt hat, der nicht mehr als ein Mal gewünscht hätte, den folgenden Tag nicht zu erleben. Danach möchte die so oft beklagte Kürze des Lebens vielleicht gerade das Beste daran seyn. – Wenn man nun endlich noch Jedem die entsetzlichen Schmerzen und Quaalen, denen sein Leben beständig offen steht, vor die Augen bringen wollte; so würde ihn Grausen ergreifen: und wenn man den verstocktesten Optimisten durch die Krankenhospitäler, Lazarethe und chirurgische Marterkammern, durch die Gefängnisse, Folterkammern und Sklavenställe, über Schlachtfelder und Gerichtsstätten führen, dann alle die finstern Behausungen des Elends, wo es sich vor den Blicken kalter Neugier verkriecht, ihm öffnen und zum Schluß ihn in den Hungerthurm des Ugolino blicken lassen wollte; so würde sicherlich auch er zuletzt einsehn, welcher Art dieser meilleur des mondes possibles ist. Woher denn anders hat Dante den Stoff zu seiner Hölle genommen, als aus dieser unserer wirklichen Welt? Und doch ist es eine recht ordentliche Hölle geworden. Hingegen als er an die Aufgabe kam, den Himmel und seine Freuden zu schildern, da hatte er eine unüberwindliche Schwierigkeit vor sich; weil eben unsere Welt gar keine Materialien zu so etwas darbietet. Daher blieb ihm nichts übrig, als, statt der Freuden des Paradieses, die Belehrung, die ihm dort von seinem Ahnherrn, seiner Beatrix und verschiedenen Heiligen ertheilt worden, uns wiederzugeben. Hieraus aber erhellt genugsam, welcher Art diese Welt ist. Freilich ist am Menschenleben, wie an jeder schlechten Waare, die Außenseite mit falschem Schimmer überzogen: immer verbirgt sich was leidet;hingegen was Jeder an Prunk und Glanz erschwingen kann, trägt er zur Schau, und je mehr ihm innere Zufriedenheit abgeht, desto mehr wünscht er, in der Meinung Anderer als ein Beglückter dazustehn: so weit geht die Thorheit, und die Meinung Anderer ist ein Hauptziel des Strebens eines Jeden, obgleich die gänzliche Nichtigkeit desselben schon dadurch sich ausdrückt, daß in fast allen Sprachen Eitelkeit, vanitas, ursprünglich Leerheit und Nichtigkeit bedeutet. – Allein auch unter allem diesen Blendwerk können die Quaalen des Lebens sehr leicht so anwachsen, und es geschieht ja täglich, daß der sonst über Alles gefürchtete Tod mit Begierde ergriffen wird. Ja, wenn das Schicksal seine ganze Tücke zeigen will, so kann selbst diese Zuflucht dem Leidenden versperrt und er, unter den Händen ergrimmter Feinde, grausamen, langsamen Martern ohne Rettung hingegeben bleiben. Vergebens ruft dann der Gequälte seine Götter um Hülfe an: er bleibt seinem Schicksal ohne Gnade Preis gegeben. Diese Rettungslosigkeit ist aber eben nur der Spiegel der Unbezwinglichkeit seines Willens, dessen Objektität seine Person ist. – So wenig eine äußere Macht diesen Willen ändern oder aufheben kann, so wenig auch kann irgend eine fremde Macht ihn von den Quaalen befreien, die aus dem Leben hervorgehn, welches die Erscheinung jenes Willens ist. Immer ist der Mensch auf sich selbst zurückgewiesen, wie in jeder, so in der Hauptsache. Vergebens macht er sich Götter, um von ihnen zu erbetteln und zu erschmeicheln was nur die eigene Willenskraft herbeizuführen vermag. Hatte das Alte Testament die Welt und den Menschen zum Werk eines Gottes gemacht; so sah das Neue Testament, um zu lehren, daß Heil und Erlösung aus dem Jammer dieser Welt nur von ihr selbst ausgehn kann, sich genöthigt, jenen Gott Mensch werden zu lassen. Des Menschen Wille ist und bleibt es, wovon Alles für ihn abhängt. Saniassis, Märtyrer, Heilige jedes Glaubens und Namens, haben freiwillig und gern jede Marter erduldet, weil in ihnen der Wille zum Leben sich aufgehoben hatte; dann aber war sogar die langsame Zerstörung seiner Erscheinung ihnen willkommen. Doch ich will der fernem Darstellung nicht vorgreifen. – Uebrigens kann ich hier die Erklärung nicht zurückhalten, daß mir der Optimismus, wo er nicht etwan das gedankenlose Reden Solcher ist, unter deren platten Stirnen nichts als Worte herbergen, nicht bloß als eine absurde, sondern auch als eine wahrhaft ruchlose Denkungsart erscheint, als ein bitterer Hohn über die namenlosen Leiden der Menschheit. – Man denke nur ja nicht etwan, daß die Christliche Glaubenslehre dem Optimismus günstig sei; da im Gegentheil in den Evangelien Welt und Uebel beinahe als synonyme Ausdrücke gebraucht werden.83
Nachdem wir nunmehr die beiden Auseinandersetzungen, deren Dazwischentreten nothwendig war, nämlich über die Freiheit des Willens an sich, zugleich mit der Nothwendigkeit seiner Erscheinung, sodann über sein Loos in der sein Wesen abspiegelnden Welt, auf deren Erkenntniß er sich zu bejahen oder zu verneinen hat, vollendet haben; können wir diese Bejahung und Verneinung selbst, die wir oben nur allgemein aussprachen und erklärten, jetzt zu größerer Deutlichkeit erheben, indem wir die Handlungsweisen, in welchen allein sie ihren Ausdruck finden, darstellen und ihrer Innern Bedeutung nach betrachten.
Die Bejahung des Willens ist das von keiner Erkenntniß gestörte beständige Wollen selbst, wie es das Leben der Menschen im Allgemeinen ausfüllt. Da schon der Leib des Menschen die Objektität des Willens, wie er auf dieser Stufe und in diesem Individuo erscheint, ist; so ist sein in der Zeit sich entwickelndes Wollen gleichsam die Paraphrase des Leibes, die Erläuterung der Bedeutung des Ganzen und seiner Theile, ist eine andere Darstellungsweise des selben Dinges an sich, dessen Erscheinung auch schon der Leib ist. Daher können wir, statt Bejahung des Willens, auch Bejahung des Leibes sagen. Das Grundthema aller mannigfaltigen Willensakte ist die Befriedigung der Bedürfnisse, welche vorn Daseyn des Leibes in seiner Gesundheit unzertrennlich sind, schon in ihm ihren Ausdruck haben und sich zurückführen lassen auf Erhaltung des Individuums und Fortpflanzung des Geschlechts. Allein mittelbar erhalten hiedurch die verschiedenartigsten Motive Gewalt über den Willen und bringen die mannigfaltigsten Willensakte hervor.