Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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Das Unrecht, dessen Begriff wir in der allgemeinsten Abstraktion hiemit analysirt haben, drückt sich in concreto am vollendetesten, eigentlichsten und handgreiflichsten aus im Kannibalismus: dieser ist sein deutlichster augenscheinlichster Typus, das entsetzliche Bild des größten Widerstreites des Willens gegen sich selbst, auf der höchsten Stufe seiner Objektivation, welche der Mensch ist. Nächst diesem im Morde, auf dessen Ausübung daher der Gewissensbiß, dessen Bedeutung wir soeben abstrakt und trocken angegeben haben, augenblicklich mit furchtbarer Deutlichkeit folgt, und der Ruhe des Geistes eine auf die ganze Lebenszeit unheilbare Wunde schlägt; indem unser Schauder über den begangenen, wie auch unser Zurückbeben vor dem zu begehenden Mord, der gränzenlosen Anhänglichkeit an das Leben entspricht, von der alles Lebende, eben als Erscheinung des Willens zum Leben, durchdrungen ist. (Uebrigens werden wir weiterhin jenes Gefühl, das die Ausübung des Unrechts und des Bösen begleitet, oder die Gewissensangst, noch ausführlicher zergliedern und zur Deutlichkeit des Begriffs erheben.) Als dem Wesen nach mit dem Morde gleichartig und nur im Grade von ihm verschieden, ist die absichtliche Verstümmelung, oder bloße Verletzung des fremden Leibes anzusehn, ja jeder Schlag. – Ferner stellt das Unrecht sich dar in der Unterjochung des andern Individuums, im Zwange desselben zur Sklaverei; endlich im Angriff des fremden Eigenthums, welcher, sofern dieses als Frucht seiner Arbeit betrachtet wird, mit jener im Wesentlichen gleichartig ist und sich zu ihr verhält, wie die bloße Verletzung zum Mord.
Denn Eigenthum, welches ohne Unrecht dem Menschen nicht genommen wird, kann, unserer Erklärung des Unrechts zufolge, nur dasjenige seyn, welches durch seine Kräfte bearbeitet ist, durch Entziehung dessen man daher die Kräfte seines Leibes dem in diesem objektivirten Willen entzieht, um sie dem in einem andern Leibe objektivirten Willen dienen zu lassen. Denn nur so bricht der Ausüber des Unrechts, durch Angriff, nicht des fremden Leibes, sondern einer leblosen, von diesem ganz verschiedenen Sache, doch in die Sphäre der fremden Willensbejahung ein, indem mit dieser Sache die Kräfte, die Arbeit des fremden Leibes gleichsam verwachsen und identificirt sind. Hieraus folgt, daß sich alles ächte, d.h. moralische Eigenthumsrecht ursprünglich einzig und allein auf Bearbeitung gründet; wie man dies auch vor Kant ziemlich allgemein annahm, ja, wie es das älteste aller Gesetzbücher deutlich und schön aussagt: »Weise, welche die Vorzeit kennen, erklären, daß ein bebautes Feld Dessen Eigenthum ist, welcher das Holz ausrottete, es reinigte und pflügte; wie eine Antilope dem ersten Jäger gehört, welcher sie tödtlich verwundete.« – Gesetze des Menü, IX, 44. – Nur aus Kants Altersschwäche ist mir seine ganze Rechtslehre, als eine sonderbare Verflechtung einander herbeiziehender Irrthümer, und auch dieses erklärlich, daß er das Eigenthumsrecht durch erste Besitzergreifung begründen will. Denn wie sollte doch die bloße Erklärung meines Willens, Andere vom Gebrauch einer Sache auszuschließen, sofort auch selbst ein Recht hiezu geben? Offenbar bedarf sie selbst erst eines Rechtsgrundes; statt daß Kant annimmt, sie sei einer. Und wie sollte doch Derjenige an sich, d.h. moralisch, un recht handeln, der jene, auf nichts als auf ihre eigene Erklärung gegründeten Ansprüche auf den Alleinbesitz einer Sache nicht achtete? Wie sollte sein Gewissen ihn darüber beunruhigen? da es so klar und leicht einzusehn ist, daß es ganz und gar keine rechtliche Besitzergreifung geben kann, sondern ganz allein eine rechtliche Aneignung, Besitzerwerbung der Sache, durch Verwendung ursprünglich eigener Kräfte auf sie. Wo nämlich eine Sache, durch irgend eine fremde Mühe, sei diese noch so klein, bearbeitet, verbessert, vor Unfällen geschützt, bewahrt ist, und wäre diese Mühe nur das Abpflücken oder vom Boden Aufheben einer wildgewachsenen Frucht; da entzieht der Angreifer solcher Sache offenbar dem Andern den Erfolg seiner darauf verwendeten Kraft, läßt also den Leib jenes, statt dem eigenen, seinem Willen dienen, bejaht seinen eigenen Willen über dessen Erscheinung hinaus, bis zur Verneinung des fremden, d.h. thut Unrecht.85 – Hingegen bloßer Genuß einer Sache, ohne alle Bearbeitung oder Sicherstellung derselben gegen Zerstörung, giebt eben so wenig ein Recht darauf, wie die Erklärung seines Willens zum Alleinbesitz. Daher, wenn eine Familie auch ein Jahrhundert auf einem Revier allein gejagt hat, ohne jedoch irgend etwas zu dessen Verbesserung gethan zu haben; so kann sie einem fremden Ankömmling, der jetzt eben dort jagen will, es ohne moralisches Unrecht gar nicht wehren. Das sogenannte Präokkupations-Recht also, demzufolge man für den bloßen gehabten Genuß einer Sache, noch obendrein Belohnung, nämlich ausschließliches Recht auf den fernem Genuß fordert, ist moralisch ganz grundlos. Dem sich bloß auf dieses Recht Stützenden könnte der neue Ankömmling mit viel besserem Rechte entgegnen: »Eben weil du schon so lange genossen hast, ist es Recht, daß jetzt auch Andere genießen.« Von jeder Sache, die durchaus keiner Bearbeitung, durch Verbesserung oder Sicherstellung vor Unfällen, fähig ist, giebt es keinen moralisch begründeten Alleinbesitz; es sei denn durch freiwillige Abtretung von Seiten aller Andern, etwan zur Belohnung anderweitiger Dienste; was aber schon ein durch Konvention geregeltes Gemeinwesen, den Staat, voraussetzt. – Das moralisch begründete Eigenthumsrecht, wie es oben abgeleitet ist, giebt, seiner Natur nach, dem Besitzer eine eben so uneingeschränkte Macht über die Sache, wie die ist, welche er über seinen eigenen Leib hat; woraus folgt, daß er sein Eigenthum, durch Tausch oder Schenkung, Andern übertragen kann, welche alsdann, mit dem selben moralischen Rechte wie er, die Sache besitzen.
Die Ausübung des Unrechts überhaupt betreffend, so geschieht sie entweder durch Gewalt, oder durch List; welches in Hinsicht auf das moralisch Wesentliche einerlei ist. Zuvörderst beim Morde ist es moralisch einerlei, ob ich mich des Dolches, oder des Giftes bediene; und auf analoge Weise bei jeder körperlichen Verletzung. Die anderweitigen Fälle des Unrechts sind allemal darauf zurückzuführen, daß ich, als Unrecht ausübend, das fremde Individuum zwinge, statt seinem, meinem Willen