Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer

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Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer - Arthur Schopenhauer

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der List aber mittelst der Motivation, d.h. der durch das Erkennen durchgegangenen Kausalität, folglich dadurch, daß ich seinem Willen Scheinmotive vorschiebe, vermöge welcher er seinem Willen zu folgen glaubend, meinem folgt. Da das Medium, in welchem die Motive liegen, die Erkenntniß ist; kann ich jenes nur durch Verfälschung seiner Erkenntniß thun, und diese ist die Lüge. Sie bezweckt allemal Einwirkung auf den fremden Willen, nicht auf seine Erkenntniß allein, für sich und als solche, sondern auf diese nur als Mittel, nämlich sofern sie seinen Willen bestimmt. Denn mein Lügen selbst, als von meinem Willen ausgehend, bedarf eines Motivs: ein solches aber kann nur der fremde Wille seyn, nicht die fremde Erkenntniß an und für sich; da sie als solche nie einen Einfluß auf meinen Willen haben, daher ihn nie bewegen, nie ein Motiv seiner Zwecke seyn kann: sondern nur das fremde Wollen und Thun kann ein solches seyn, und dadurch, folglich nur mittelbar, die fremde Erkenntniß. Dies gilt nicht nur von allen aus offenbarem Eigennutz entsprungenen Lügen, sondern auch von den aus reiner Bosheit, die sich an den schmerzlichen Folgen des von ihr veranlaßten fremden Irrthums weiden will, hervorgegangenen. Sogar auch die bloße Windbeutelei bezweckt, mittelst dadurch erhöhter Achtung, oder verbesserter Meinung, von Seiten der Andern, großem oder leichtern Einfluß auf ihr Wollen und Thun. Das bloße Verweigern einer Wahrheit, d.h. einer Aussage überhaupt, ist an sich kein Unrecht, wohl aber jedes Aufheften einer Lüge. Wer dem verirrten Wanderer den rechten Weg zu zeigen sich weigert, thut ihm kein Unrecht; wohl aber der, welcher ihn auf den falschen hinweist. – Aus dem Gesagten folgt, daß jede Lüge, eben wie jede Gewaltthätigkeit, als solche Unrecht ist; weil sie schon als solche zum Zweck hat, die Herrschaft meines Willens auf fremde Individuen auszudehnen, also meinen Willen durch Verneinung des ihrigen zu bejahen, so gut wie die Gewalt. – Die vollkommenste Lüge aber ist der gebrochene Vertrag; weil hier alle angeführten Bestimmungen vollständig und deutlich beisammen sind. Denn, indem ich einen Vertrag eingehe, ist die fremde verheißene Leistung unmittelbar und eingeständlich das Motiv zur meinigen nunmehr erfolgenden. Die Versprechen werden mit Bedacht und förmlich gewechselt. Die Wahrheit der darin gemachten Aussage eines Jeden steht, der Annahme zufolge, in seiner Macht. Bricht der Andere den Vertrag, so hat er mich getäuscht und, durch Unterschieben bloßer Scheinmotive in meine Erkenntniß, meinen Willen nach seiner Absicht gelenkt, die Herrschaft seines Willens über das fremde Individuum ausgedehnt, also ein vollkommenes Unrecht begangen. Hierauf gründet sich die moralische Rechtmäßigkeit und Gültigkeit der Verträge.

      Unrecht durch Gewalt ist für den Ausüber nicht so schimpflich, wie Unrecht durch List; weil jenes von physischer Kraft zeugt, welche, unter allen Umständen, dem Menschengeschlechte imponirt; dieses hingegen, durch Gebrauch des Umwegs, Schwäche verräth, und ihn also als physisches und moralisches Wesen zugleich herabsetzt; zudem, weil Lug und Betrug nur dadurch gelingen kann, daß der sie ausübt zu gleicher Zeit selbst Abscheu und Verachtung dagegen äußern muß, um Zutrauen zu gewinnen, und sein Sieg darauf beruht, daß man ihm die Redlichkeit zutraut, die er nicht hat. – Der tiefe Abscheu, den Arglist, Treulosigkeit und Verräth überall erregen, beruht darauf, daß Treue und Redlichkeit das Band sind, welches den in die Vielheit der Individuen zersplitterten Willen doch von außen wieder zur Einheit verbindet und dadurch den Folgen des aus jener Zersplitterung hervorgegangenen Egoismus Schranken setzt. Treulosigkeit und Verräth zerreißen dieses letzte, äußere Band, und geben dadurch den Folgen des Egoismus gränzenlosen Spielraum.

      Wir haben im Zusammenhang unserer Betrachtungsweise als den Inhalt des Begriffs Unrecht gefunden die Beschaffenheit der Handlung eines Individuums, in welcher es die Bejahung des in seinem Leben erscheinenden Willens soweit ausdehnt, daß solche zur Verneinung des in fremden Leibern erscheinenden Willens wird. Wir haben auch an ganz allgemeinen Beispielen die Gränze nachgewiesen, wo das Gebiet des Unrechts anfängt, indem wir zugleich seine Abstufungen vom höchsten Grade zu den niedrigeren durch wenige Hauptbegriffe bestimmten. Diesem zufolge ist der Begriff Unrecht der ursprüngliche und positive: der ihm entgegengesetzte des Rechts ist der abgeleitete und negative. Denn wir müssen uns nicht an die Worte, sondern an die Begriffe halten. In der That würde nie von Recht geredet worden seyn, gäbe es kein Unrecht. Der Begriff Recht enthält nämlich bloß die Negation des Unrechts, und ihm wird jede Handlung subsumirt, welche nicht Ueberschreitung der oben dargestellten Gränze, d.h. nicht Verneinung des fremden Willens, zur starkem Bejahung des eigenen, ist. Jene Gränze theilt daher, in Hinsicht auf eine bloß und rein moralische Bestimmung, das ganze Gebiet möglicher Handlungen in solche, die Unrecht oder Recht sind. Sobald eine Handlung nicht, auf die oben auseinandergesetzte Weise, in die Sphäre der fremden Willensbejahung, diese verneinend, eingreift, ist sie nicht Unrecht. Daher z.B. das Versagen der Hülfe bei dringender fremder Noth, das ruhige Zuschauen fremden Hungertodes bei eigenem Ueberfluß, zwar grausam und teuflisch, aber nicht Unrecht ist: nur läßt sich mit völliger Sicherheit sagen, daß wer fähig ist, die Lieblosigkeit und Härte bis zu einem solchen Grade zu treiben, auch ganz gewiß jedes Unrecht ausüben wird, sobald seine Wünsche es fordern und kein Zwang es wehrt.

      Der Begriff des Rechts, als der Negation des Unrechts, hat aber seine hauptsächliche Anwendung, und ohne Zweifel auch seine erste Entstehung, gefunden in den Fällen, wo versuchtes Unrecht durch Gewalt abgewehrt wird, welche Abwehrung nicht selbst wieder Unrecht seyn kann, folglich Recht ist; obgleich die dabei ausgeübte Gewaltthätigkeit, bloß an sich und abgerissen betrachtet. Unrecht wäre, und hier nur durch ihr Motiv gerechtfertigt, d.h. zum Recht wird. Wenn ein Individuum in der Bejahung seines eigenen Willens so weit geht, daß es in die Sphäre der meiner Person als solcher wesentlichen Willensbejahung eindringt und damit diese verneint; so ist mein Abwehren jenes Eindringens nur die Verneinung jener Verneinung und insofern von meiner Seite nichts mehr, als die Bejahung des in meinem Leibe wesentlich und ursprünglich erscheinenden und durch dessen bloße Erscheinung schon implicite ausgedrückten Willens; folglich nicht Unrecht, mithin Recht. Dies heißt: ich habe alsdann ein Recht, jene fremde Verneinung mit der zu ihrer Aufhebung nöthigen Kraft zu verneinen, welches, wie leicht einzusehn, bis zur Tödtung des fremden Individuums gehn kann, dessen Beeinträchtigung, als eindringende äußere Gewalt, mit einer diese etwas überwiegenden Gegenwirkung abgewehrt werden kann, ohne alles Unrecht, folglich mit Recht; weil alles, was von meiner Seite geschieht, immer nur in der Sphäre der meiner Person als solcher wesentlichen und schon durch sie ausgedrückten Willensbejahung liegt (welche der Schauplatz des Kampfes ist), nicht in die fremde eindringt, folglich nur Negation der Negation, also Affirmation, nicht selbst Negation ist. Ich kann also, ohne Unrecht, den meinen Willen, wie dieser in meinem Leibe und der Verwendung von dessen Kräften zu dessen Erhaltung, ohne Verneinung irgend eines gleiche Schranken haltenden fremden Willens, erscheint, verneinenden fremden Willen zwingen, von dieser Verneinung abzustehn: d.h. ich habe so weit ein Zwangsrecht.

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