Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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Nach allem Bisherigen sind also Unrecht und Recht bloß moralische Bestimmungen, d.h. solche, welche hinsichtlich der Betrachtung des menschlichen Handelns als solchen, und in Beziehung auf die innere Bedeutung dieses Handelns an sich, Gültigkeit haben. Diese kündigt sich im Bewußtseyn unmittelbar an, dadurch, daß einerseits das Unrechtthun von einem Innern Schmerz begleitet ist, welcher das bloß gefühlte Bewußtseyn des Unrechtausübenden ist von der übermäßigen Stärke der Bejahung des Willens in ihm selbst, die bis zum Grade der Verneinung der fremden Willenserscheinung geht; wie auch, daß er zwar als Erscheinung von dem Unrechtleidenden verschieden, an sich aber mit ihm identisch ist. Die weitere Auseinandersetzung dieser innern Bedeutung aller Gewissensangst kann erst weiter unten folgen. Der Unrechtleidende andererseits ist sich der Verneinung seines Willens, wie dieser schon durch seinen Leib und dessen natürliche Bedürfnisse, zu deren Befriedigung ihn die Natur auf die Kräfte dieses Leibes verweist, ausgedrückt ist, schmerzlich bewußt, und auch zugleich, daß er, ohne Unrecht zu thun, jene Verneinung auf alle Weise abwehren könnte, wenn es ihm nicht an der Macht gebräche. Diese rein moralische Bedeutung ist die einzige, welche Recht und Unrecht für den Menschen als Menschen, nicht als Staatsbürger haben, die folglich auch im Naturzustande, ohne alles positive Gesetz, bliebe und welche die Grundlage und den Gehalt alles dessen ausmacht, was man deshalb Naturrecht genannt hat, besser aber moralisches Recht hieße, da seine Gültigkeit nicht auf das Leiden, auf die äußere Wirklichkeit, sondern nur auf das Thun und die aus diesem dem Menschen erwachsende Selbsterkenntniß seines individuellen Willens, welche Gewissen heißt, sich erstreckt, sich aber im Naturzustande nicht in jedem Fall auch nach außen, auf andere Individuen, geltend machen und verhindern kann, daß nicht Gewalt statt des Rechts herrsche. Im Naturzustande hängt es nämlich von Jedem bloß ab, in jedem Fall nicht Unrecht zu thun, keineswegs aber in jedem Fall nicht Unrecht zu leiden, welches von seiner zufälligen äußern Gewalt abhängt. Daher sind die Begriffe Recht und Unrecht zwar auch für den Naturzustand gültig und keineswegs konventionell; aber sie gelten dort bloß als moralische Begriffe, zur Selbsterkenntniß des eigenen Willens in Jedem. Sie sind nämlich auf der Skala derhöchst verschiedenen Grade der Stärke, mit welchen der Wille zum Leben sich in den menschlichen Individuen bejaht, ein fester Punkt, gleich dem Gefrierpunkt auf dem Thermometer, nämlich der Punkt, wo die Bejahung des eigenen Willens zur Verneinung des fremden wird, d.h. den Grad seiner Heftigkeit, vereint mit dem Grad der Befangenheit der Erkenntniß im principio individuationis (welches die Form der ganz im Dienste des Willens stehenden Erkenntniß ist), durch Unrechtthun angiebt. Wer nun aber die rein moralische Betrachtung des menschlichen Handelns bei Seite setzen, oder verleugnen, und das Handeln bloß nach dessen äußerer Wirksamkeit und deren Erfolg betrachten will, der kann allerdings, mit Hobbes, Recht und Unrecht für konventionelle, willkürlich angenommene und daher außer dem positiven Gesetz gar nicht vorhandene Bestimmungen erklären, und wir können ihm nie durch äußere Erfahrung das beibringen, was nicht zur äußern Erfahrung gehört; wie wir dem selben Hobbes, der jene seine vollendet empirische Denkungsart höchst merkwürdig dadurch charakterisirt, daß er in seinem Buche »De principiis Geometrarum« die ganze eigentliche reine Mathematik ableugnet und hartnäckig behauptet, der Punkt habe Ausdehnung und die Linie Breite, doch nie einen Punkt ohne Ausdehnung und eine Linie ohne Breite vorzeigen, also ihm so wenig die Apriorität der Mathematik, als die Apriorität des Rechts beibringen können, weil er sich nun ein Mal jeder nicht empirischen Erkenntniß verschließt.
Die reine Rechtslehre ist also ein Kapitel der Moral und bezieht sich direkt bloß auf das Thun, nicht auf das Leiden. Denn nur jenes ist Aeußerung des Willens, und diesen allein betrachtet die Moral. Leiden ist bloße Begebenheit: bloß indirekt kann die Moral auch das Leiden berücksichtigen, nämlich allein um nachzuweisen, daß, was bloß geschieht um kein Unrecht zu leiden, kein Unrechtthun ist. – Die Ausführung jenes Kapitels der Moral würde zum Inhalt haben die genaue Bestimmung der Gränze, bis zu welcher ein Individuum in der Bejahung des schon in seinem Leibe objektivirten Willens gehn kann, ohne daß dieses zur Verneinung eben jenes Willens, sofern er in einem andern Individuo erscheint, werde, und sodann auch der Handlungen, welche diese Gränze überschreiten, folglich Unrecht sind und daher auch wieder ohne Unrecht abgewehrt werden können. Immer also bliebe das eigene Thun das Augenmerk der Betrachtung.
In äußerer Erfahrung, als Begebenheit, erscheint nun aber das Unrechtleiden, und in ihm manifestirt sich, wie gesagt, deutlicher als irgendwo, die Erscheinung des Widerstreits des Willens zum Leben gegen sich selbst, hervorgehend aus der Vielheit der Individuen und dem Egoismus, welche Beide durch das principium individuationis, welches die Form der Welt als Vorstellung für die Erkenntniß des Individuums ist, bedingt sind. Auch haben wir oben gesehn, daß ein sehr großer Theil des dem menschlichen Leben wesentlichen Leidens an jenem Widerstreit der Individuen seine stets fließende Quelle hat.
Die allen diesen Individuen gemeinsame Vernunft, welche sie nicht, wie die Thiere, bloß den einzelnen Fall, sondern auch das Ganze im Zusammenhang abstrakt erkennen läßt, hat sie nun aber bald die Quelle jenes Leidens einsehn gelehrt und sie auf das Mittel bedacht gemacht, dasselbe zu verringern, oder wo möglich aufzuheben, durch ein gemeinschaftliches Opfer, welches jedoch von dem gemeinschaftlich daraus hervorgehenden Vortheil überwogen wird. So angenehm nämlich auch dem Egoismus des Einzelnen, bei vorkommenden Fällen, das Unrechtthun ist, so hat es jedoch ein nothwendiges Korrelat im Unrechtleiden eines andern Individuums, dem dieses ein großer Schmerz ist. Und indem nun die das Ganze überdenkende Vernunft aus dem einseitigen Standpunkt des Individuums, dem sie angehört, heraustrat und von der Anhänglichkeit an dasselbe sich für den Augenblick los machte, sah sie den Genuß des Unrechtthuns in einem Individuo jedesmal durch einen verhältnis mäßig größeren Schmerz im Unrechtleiden des andern überwogen, und fand ferner, daß, weil hier Alles dem Zufall überlassen blieb, Jeder zu befürchten hätte, daß ihm viel seltener der Genuß des gelegentlichen Unrechtthuns, als der Schmerz des Unrechtleidens zu Theil werden würde. Die Vernunft erkannte hieraus, daß, sowohl um das über Alle verbreitete Leiden zu mindern, als um es möglichst gleichförmig zu vertheilen, das beste und einzige Mittel sei, Allen den Schmerz des Unrechtleidens zu ersparen, dadurch, daß auch Alle dem durch das Unrechtthun zu erlangenden Genuß entsagten. – Dieses also von dem, durch den Gebrauch der Vernunft, methodisch verfahrenden und seinen einseitigen Standpunkt verlassenden Egoismus leicht ersonnene und allmälig vervollkommnete Mittel ist der Staatsvertrag oder das Gesetz. Wie ich hier den Ursprung desselben angebe, stellte ihn schon Plato in der Republik dar. In der That ist jener Ursprung der wesentlich einzige und durch die Natur der Sache gesetzte. Auch kann der Staat, in keinem Lande, je einen andern gehabt haben, weil eben erst diese Entstehungsart, dieser Zweck, ihn zum Staat macht; wobei es aber gleichviel ist, ob der in jedem bestimmten Volk ihm vorhergegangene Zustand der eines Haufens von einander unabhängiger Wilden (Anarchie), oder eines Haufens Sklaven war, die der Stärkere nach Willkür beherrscht (Despotie). In beiden Fällen war noch kein Staat da: erst durch jene gemeinsame Uebereinkunft entsteht er, und je nachdem diese Uebereinkunft mehr oder weniger unvermischt ist mit Anarchie oder Despotie, ist auch der Staat vollkommener oder unvollkommener. Die Republiken tendiren zur Anarchie, die Monarchien zur Despotie, der deshalb ersonnene Mittelweg der konstitutionellen Monarchie tendirt zur Herrschaft der Faktionen. Um einen vollkommenen Staat zu gründen, muß man damit anfangen, Wesen zu schaffen, deren Natur es zuläßt, daß sie durchgängig das eigene Wohl dem öffentlichen zum Opfer bringen. Bis dahin aber läßt sich schon etwas dadurch erreichen, daß es eine Familie giebt, deren Wohl von dem des Landes ganz unzertrennlich ist; so daß sie, wenigstens in Hauptsachen, nie das Eine ohne das Andere befördern kann. Hierauf beruht die Kraft und der Vorzug der erblichen Monarchie.
Gieng nun die Moral ausschließlich auf das Recht-oder Unrecht-Thun, und konnte sie Dem, welcher etwan entschlossen wäre, kein Unrecht zu thun, die Gränze seines Handelns genau bezeichnen; so geht umgekehrt die Staatslehre, die Lehre von der Gesetzgebung, ganz allein auf das Unrecht-Leiden, und würde sich nie um das Unrecht-Thun bekümmern, wäre es nicht wegen seines allemal nothwendigen Korrelats, des Unrechtleidens, welches,