Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон
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Kap. XIII. (§ 42.) Kann wohl etwas sicherer sein, als dass nach dem Grundsatz Derer, welche den Schmerz zu den Uebeln rechnen, der Weise nicht glücklich sein kann, wenn er mit der Pferdemaschine gefoltert wird? Dagegen ergiebt die Lehre Jener, welche den Schmerz nicht zu den Uebeln rechnen, dass der Weise in allen Qualen sich ein glückliches Leben bewahren kann; denn wenn dieselben Schmerzen erträglicher werden, sofern man sie für das Vaterland erträgt statt für eine geringere Sache, so ist es nicht die Natur, sondern die Meinung, welche den Schmerz stärker oder schwächer macht. (§ 43.) Auch ist es nicht richtig, dass, wenn es drei Arten von Gütern giebt, wie die Peripatetiker annehmen, mithin Jemand um so glücklicher wäre, je mehr er an Gütern des Leibes und äusserlichen Gütern besässe, auch wir dem beitreten müssten, dass Der glücklicher sei, welcher mehr von dem hat, was in Bezug auf den Körper schätzenswerth gilt. Jene nehmen allerdings an, dass das Glück des Lebens erst durch die körperlichen Annehmlichkeiten vollständig werde, aber nicht wir. Denn wir nehmen nicht einmal an, dass durch die Menge dessen, was wir wirklich als Güter anerkennen, das Leben glücklicher, oder begehrenswerther, oder schätzenswerther werde, und deshalb kann um so weniger die Menge von körperlichen Annehmlichkeiten zum Glück des Lebens beitragen. (§ 44.) Allerdings würden, wenn die Weisheit und die Gesundheit begehrenswerth wären, beide zusammen es mehr als die Weisheit allein sein; aber insofern beide nur zu den schätzenswerthen Dingen gehören sollten, sind beide zusammen doch nicht schätzenswerther, als die Weisheit allein. Wir rechnen allerdings die Gesundheit zu den schätzenswerthen Dingen, aber doch nicht zu den Gütern, und ebenso kann es kernen so schätzenswerthen Gegenstand geben, dass er über die Tugend gesetzt werden könnte. Aber die Peripatetiker nehmen dies nicht, vielmehr müssen sie eine sittliche und zugleich schmerzfreie Handlung derselben Handlung mit Schmerzen vorziehn. Wir sind anderer Ansicht; ob mit Recht oder nicht, wird nachher zur Untersuchung kommen, aber der Unterschied in den Meinungen beider Schulen kann gewiss nicht grösser sein.
Kap. XIV. (§ 45.) So wie das Licht einer Laterne von dem Lichte der Sonne verdunkelt wird und verschwindet; so wie ein Tropfen Honig in dem Aegeischen Meere durch dessen Grösse verschwindet, und wie in dem Reichthum des Crösus ein Pfennig mehr und auf dem Wege von hier nach Indien ein Schritt weiter nicht bemerkt wird, so muss, wenn das als höchstes Gut gilt, was die Stoiker dafür erklären, jene ganze Schätzung der körperlichen Dinge durch den Glanz und die Grösse der Tugend verdunkelt werden, zusammenbrechen und verschwinden. Wie die rechte Zeit, womit ich die eukairia ausdrücken möchte, durch die Verlängerung der Zeit nicht rechter wird, denn solche Gelegenheit hat ihr Maass, so kann das rechte Handeln, wie ich die katorthôsis nenne, da katorthôma, die einzelne rechte That bezeichnet, so kann also das rechte Handeln und ebenso die Harmonie und das Gute selbst, was in der Uebereinstimmung des Naturgemässen besteht, durch Zuwachs keine Steigerung erleiden. (§ 46.) Wie jene Rechtzeitigkeit, so werden auch die eben genannten Dinge durch die zeitliche Verlängerung nicht grösser, und deshalb gilt den Stoikern ein langes glückliches Leben nicht wünschenswerther und mehr zu erstreben als ein kurzes; sie benutzen hier das Gleichniss mit dem Schuh; wenn sein Werth darin liegt, dass er zum Fusse richtig passe, so können weder die vielen Schuhe den wenigen, noch die grossen Schuhe den kleinen vorgezogen werden, ebenso können auch Die, für welche alles Gute nur in der Harmonie und in der Rechtzeitigkeit bestellt, das Viele nicht dem Wenigen und das zeitlich Längere nicht dem Kürzern vorziehn. (§ 47.) Es ist nicht scharfsinnig, wenn man einwendet, ein langes Wohlsein sei höher zu schätzen, als ein kurzes, und deshalb sei auch ein lang dauernder Besitz der Weisheit mehr werth. Man bemerkt dabei nicht, dass die Schätzung des Wohlseins sich nach der Dauer bestimmt, die der Tugend aber nach dem Rechtzeitigen; wer so etwas behauptet, müsste folgerecht auch von einem guten Tod und einer guten Niederkunft behaupten, sie würden durch die Dauer besser. Man übersieht, dass Manches nach seiner Kürze, Anderes nach seiner langen Dauer geschätzt wird. (§ 48.) Nach der Lehre Derer, welche annehmen, das höchste Gut, welches wir auch das äusserste und oberste nennen, könne zunehmen, muss dann in Uebereinstimmung mit dem eben Gesagten auch angenommen werden, dass der Eine weiser sein könne als der Andere und dass der Eine mehr schlecht oder mehr recht handeln könne als der Andere, während wir dies nicht sagen können, da das höchste Gut für uns keiner Zunahme fähig ist. So wenig ein Mensch unter dem Wasser besser Athem holen kann, wenn er der Oberfläche schon so nahe ist, dass er bald auftauchen wird, als wenn er noch in der Tiefe ist, und so wenig ein junger Hund, der bald wird sehen können, mehr sieht als ein neugeborner, so bleibt auch Der, welcher dem Zustande der Tugend sich bereits genähert hat, ebenso im Elend, wie Der, welcher noch keinen Schritt dahin gethan hat.
Kap. XV. Dies klingt allerdings sonderbar, allein da das Vorhergehende unzweifelhaft gewiss und wahr ist und das Obige nur daraus folgt und damit übereinstimmt, so kann man auch an der Wahrheit dieses Letztern nicht zweifeln. Wenn wir indessen auch leugnen, dass die Tugenden oder die Laster wachsen können, so glauben wir doch, dass beide in gewisser Weise sich ausdehnen und gleichsam verbreitern können. (§ 49.) Der Reichthum hat nach Diogenes nicht blos die Kraft, dass er gleichsam zur Lust und zum Wohlbefinden hinführe, sondern dass er Beides auch schon selbst enthalte; in Bezug auf die Tugend und die übrigen Künste finde dies aber bei dem Reichthum nicht statt, hier könne das Geld wohl den Führer abgeben, aber sie nicht selbst in sich enthalten. Wenn daher die Lust und das Wohlbefinden zu den Gütern gehörten, so gehöre auch der Reichthum dazu; wenn aber die Weisheit ein Gut sei, so folge noch nicht, dass dies auch von dem Reichthum gelte. Ueberhaupt könne kein Gegenstand, der nicht selbst zu den Gütern gehöre, etwas zu den Gütern Gehörendes in sich enthalten, und eben deshalb könne, weil dies Vorstellungen und Begriffe der Dinge, aus denen die Wissenschaften hervorgehen, das Begehren erwecken, und weil der Reichthum nicht zu den Gütern gehöre, auch keine Wissenschaft im Reichthum enthalten sein. (§ 50.) Man kann dies für die Wissenschaften zugeben, allein für die Tugend passt dieser Grund nicht, weil sie vieles Nachdenkens und vieler Hebung bedarf, was bei den Wissenschaften nicht nöthig ist, und weil die Tugend Festigkeit, Standhaftigkeit und Beharrlichkeit während des ganzen Lebens fordert, was bei den Wissenschaften ebenfalls nicht der Fall ist.
Es wird demnächst von uns der Unterschied der Dinge erklärt. Wollten wir denselben ganz leugnen, wie von Aristo geschehen ist, so würde das ganze Leben in Verwirrung gerathen; man könnte dann keine Geschäfte und kein Werk für die Weisheit ausfindig machen, wenn unter den Dingen, welche zur Führung des Lebens gehören, kein Unterschied bestände und keine Auswahl stattzufinden brauchte. Nachdem man also genügend festgestellt hatte, dass nur das Sittliche ein Gut und das Unsittliche ein Uebel sei, wollte man doch in den Dingen, welche für das glückliche oder unglückliche Leben nichts beitragen, einigen Unterschied zulassen, so dass einige schätzenswerth, andere das Gegentheil und andere wieder keines von Beiden seien. (§ 51.) Unter den schätzenswerthen Dingen haben manche in sich