Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон
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Kap. IV. (§ 8.) Es folgen nun die Regeln über das Erörtern und über die Lehre von der Natur; denn auf das höchste Glück werde ich, wie gesagt, bald kommen und die ganze Ausführung zu dessen Erläuterung benutzen. In jenen beiden Theilen hat Zeno keine Veränderung beabsichtigt. Alles verhielt sich hier bereits und zwar in beiden Theilen vortrefflich; denn die Alten haben über die Regeln, nach welchen eine Erörterung stattzufinden hat, Alles erschöpft; sie haben das Meiste definirt und die Kunst des Definirens gelehrt; ebenso haben sie die Eintheilungen gegeben, welche zu den Definitionen gehören, und gelehrt, wie hier zu verfahren sei. Dasselbe gilt von den Gegensätzen, von denen sie dann zu den Gattungen und Arten übergehen. Bei den Beweisführungen beginnen sie mit dem, was ihnen als selbstverständlich gilt; dann gehen sie der Reihe nach weiter und das Wahre der einzelnen Vordersätze führt zu der letzten Schlussfolgerung. (§ 9.) Die Mannichfaltigkeit ihrer Beweise und Schlussfolgerungen ist gross und deren Unterschied von den verfänglichen Fragen und Scheinbeweisen wird dargelegt. Sie warnen wiederholt, den Sinnen ohne die Vernunft oder der Vernunft ohne die Sinne zu vertrauen; keiner soll von dem andern getrennt werden. Das, was die Dialektiker jetzt aufstellen und lehren, ist von ihnen bereits dargelegt und aufgefunden worden. Chrysipp hat diese Gegenstände zwar sehr ausführlich behandelt, allein Zeno viel weniger als die Alten; und was Jener hierüber sagt, ist nicht besser als bei den Alten, ja, Manches hat er ganz übergangen. (§ 10.) Wenn es zwei wissenschaftliche Fertigkeiten giebt, durch welche jede Lehre und ihre Darstellung die Vollendung erhält, eine, welche erfindet, und eine, welche erörtert und begründet, so haben die letztere Kunst sowohl die Stoiker wie die Peripatetiker vortrefflich gelehrt, die erstere aber nur die Peripatetiker, während die Stoiker sie nicht einmal berührt haben. Aus welchen Orten, gleich Schätzen, der Inhalt zu entnehmen ist, haben die Eurigen kaum geahnt, während die Alten es kunstgemäss und folgerecht gelehrt haben. Damit haben sie erreicht, dass sie nicht immer über dieselben Dinge die gleichsam vorgesagten Sätze abzuleiern und an ihren nachgeschriebenen Heften festzuhalten brauchten. Denn wenn man weiss, wo jedwedes zu suchen ist und auf welchem Wege man dazu gelangen kann, so wird man es auch, selbst wenn es verschüttet ist, auffinden und deshalb bei den Verhandlungen immer auf eignen Füssen stehen können. Allerdings steht den mit grossem Geistbegabten Männern für ihre Darstellung ein reicher Inhalt auch ohne wissenschaftliche Anleitung zu Gebote; allein die Kunst bleibt doch hier immer eine zuverlässigere Führerin, als die Natur. Denn ein Ausschütten von Worten nach Art der Dichter ist noch kein begründetes und kunstgemässes Unterscheiden in dem, was man sagt.
Kap. V. (§ 11.) Das Gleiche gilt von der Erkenntniss der Natur, mit der sowohl diese Männer wie die Stoiker sich beschäftigen. Auch geschieht dies nicht blos, wie Epikur meint, aus den zwei Gründen, dass die Furcht vor dem Tode und vor der Religion vertrieben werden solle, vielmehr führt die Kenntniss der Gegenstände des Himmels auch zu einer gewissen Bescheidenheit, wenn man die grosse Mässigung der Götter, ihre hohe Ordnung erkennt und aus den Werken und Thaten derselben ihre Seelengrösse ersieht. Dasselbe gilt für die Gerechtigkeit, wenn man das Wesen des höchsten Leiters und Herrn, seine Absichten und seinen Willen erfasst hat. Seine mit der Natur übereinstimmende Vernunft wird von den Philosophen für das wahre und höchste Gesetz erklärt. (§ 12.) Diese Erklärung der Natur gewährt eine unerschöpfliche Lust in Erforschung der einzelnen Dinge, und schon sie allein gewährt, wenn für die Nothdurft des Lebens gesorgt ist, dem von den Geschäften freien Mann eine anständige und gebildete Beschäftigung. Hieraus erhellt, dass die Stoiker in dieser ganzen Lehre bei den wichtigsten Punkten nur Jenen gefolgt sind; daher erkennen sie das Dasein der Götter an und lassen Alles aus den vier Elementen bestehen. Bei der weitern, allerdings schwierigen Frage, ob es noch ein fünftes Element gebe, aus dem die Vernunft und die Einsicht entstehe, wohin auch die Untersuchung über die Seele und ihre Natur gehört, erklärte Zeno das Feuer für dies Element. Einiges, aber im Ganzen nur Weniges, trug er dann etwas anders vor; in der Hauptsache stimmte er aber bei, dass die ganze Welt und ihre wichtigsten Theile durch den göttlichen Geist und seine Natur regiert werden. Im Uebrigen ist der Inhalt und die Menge desselben bei den Stoikern hier dürftig, bei jenen aber höchst reichhaltig. (§ 13.) Wie Vieles ist nicht von ihnen beschafft und gesammelt worden über die Gattungen, die Entstehung, die Glieder und das Lebensalter der Thiere; wie Vieles über die Erzeugnisse der Erde. Sie haben eine Menge Untersuchungen angestellt über die mannichfachsten Gegenstände, über die Ursachen der Vorgänge in der Natur und über die Gesetze, nach denen sie geschehen, und man kann aus diesem reichen Vorrath den zureichenden und sichern Anhalt für die Erkenntniss der Natur der einzelnen Dinge entnehmen. Deshalb war, so viel ich einsehe, auch kein Grund zur Veränderung des Namens vorhanden; selbst wenn Zeno nicht in Allem nachfolgte, so ist er doch von dort ausgegangen. Auch den Epikur halte ich nur für einen Anhänger des Demokrit; wenigstens in der Naturwissenschaft. Einzelnes, ja vielleicht auch Mehreres ändert er wohl; allein bei den meisten Dingen sagt er dasselbe und sicherlich bei den wichtigsten, und wenn die Eurigen dasselbe thun, so sind sie doch den Erfindern dafür nicht dankbar genug.
Kap. VI. (§ 14.) Soviel hiervon; jetzt wende ich mich, wenn es Dir Recht ist, zu dem höchsten Gute, was die ganze Philosophie in sich enthält, um zu sehen, was Zeno hier beigebracht hat, und weshalb er von den ersten Urhebern und gleichsam seinen Eltern abgewichen ist. Ich möchte also hier, obgleich Du, mein Cato, dies höchste Gut sorgfältig erklärt und gezeigt hast, was die Stoiker darunter verstehen und wie sie es näher bestimmen, doch auch meinerseits darüber mich auslassen, um wo möglich zu sehen, was Zeno hier Neues geboten hat. Die Frühere, insbesondere Polemo, hatten am deutlichsten ausgesprochen, dass ein naturgemässes Leben das höchste Gut sei; damit, sagten die Stoiker, werde dreierlei gemeint. Einmal ein Leben mit Anwendung der Kenntniss der Dinge, die sich natürlicherweise zutragen. Dies soll das höchste Gut für Zeno, wie man sagt, gewesen sein, indem er das von Dir genannte naturgemässe Leben so erklärte. (§ 15.) Zweitens bedeute es ein Leben, was alle mittlern Pflichten oder doch die meisten davon einhalte. So aufgefasst, weicht es von dem ersten ab; jenes erste bezeichnet das Rechte, was Du katorthoma nanntest und nur von dem Weisen erreicht wird, während dieses zweite die niedern und noch nicht vollkommnen Pflichten befasst, und dies kann auch bei manchem Unweisen vorkommen. Drittens soll das höchste Gut ein Leben bezeichnen, wo man sich aller oder der meisten Dinge erfreut, die der Natur gemäss sind. Ein solches Leben hängt nicht von unserm Handeln ab; es ist erst erreicht, wenn die Tugend geübt und es mit den naturgemässen Dingen versehen ist, die aber nicht in unsrer Macht stehn. – Das höchste Gut in dieser dritten Bedeutung und ein Leben, was dies höchste Gut enthält, ist, weil die Tugend mit ihm verbunden ist, nur bei dem Weisen vorhanden und dieses höchste Gut haben, wie die Stoiker selbst in ihren Schriften anerkannt haben. Xenokrates und Aristoteles aufgestellt. Von diesen wird die Feststellung des ersten Naturgemässen, womit auch Du begonnen hast, ungefähr mit folgenden Worten gegeben:
Kap. VII. (§ 16.) Jedes Wesen hat den Trieb, sich zu erhalten, unverletzt zu bestehen und sich in seiner Art zu erhalten. Dazu sind nach ihrer Ansicht auch Kunstthätigkeiten erforderlich, welche der Natur zu Hülfe kommen; insbesondere die Kunst des Lebens, welche das von der Natur Gegebene beschützt und das Fehlende erwirbt. Sie haben auch das Wesen des Menschen in Körper und Seele eingetheilt. Da nun beide um ihrer selbst willen begehrenswerth sind, so gilt dies auch von den Tugenden beider, und da sie die Seele in unbegrenztem Lobe über den Körperstellen, so stellten sie auch die Tugenden der Seele über die Güter des Körpers. (§ 17.) Die Weisheit gilt ihnen als die Wächterin und Versorgerin des ganzen Menschen, sie begleitet und unterstützt die Natur. Deshalb ist es die Aufgabe der Weisheit, wenn sie Den schützen solle, der aus Leib und Seele bestehe, auch beides ihm zu erhalten und in beiden zu helfen. Nachdem sie die Sache zunächst so einfach festgestellt haben, führen sie das Weitere mit Scharfsinn aus. Die Lehre über die Güter des Leibes ist nach ihrer Ansicht nicht schwierig; dagegen sind sie genauer in der Untersuchung der Güter der Seele, und sie waren die Ersten, welche fanden, dass die Keime der Gerechtigkeit in ihnen enthalten seien und welche zuerst von allen Philosophen lehrten, die Natur habe es so eingerichtet,