Gestillt. Daniel Zindel

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Gestillt - Daniel Zindel

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Überfluss hat und zugleich ungestillt ist. Mir kommt es so vor, als wenn Ihr einerseits verwöhnt und andererseits verwahrlost wärt. Ihr müsst Euch ständig etwas »reinziehen« und habt auch die Möglichkeiten dazu. Ihr seid ständig auf der Suche nach dem »Kick« (nennt Ihr das nicht so?). Ständig muss etwas Neues her. Der Homo sapiens mutiert zum »homo zappiens«, wie Du es mit dem Bierchen vor dem Fernseher tatest! Das hat mit dem Tempo und dem Druck zu tun, mit denen Ihr lebt. Wir hatten es da etwas einfacher. Jedenfalls war es am Anfang meines Lebens so, später am Hof war es anders.

      Du fragst, wie ich mich stille. Nun, (Ehe-!)Weib, Wein und Gesang sind nicht zu verachten. Wir Alttestamentlichen konnten die leiblichen Gaben unseres Schöpfers, gepriesen sei er, in vollen Zügen genießen. Aber zur Stillung der Seele reicht das nicht ganz. Auch das, was Ihr »Psychohygiene« nennt, greift nicht tief genug. Ihr arbeitet ja nur noch fünf Tage in der Woche. »Burnout« hat auch eine geistliche Komponente.

      Reinhold, in Euch übernimmt der Geist, der ja die Plattform des Heiligen Geistes ist, zu wenig die Führung! Dann nimmt die Seele das Heft in die Hand, oder gar der Leib mit seinen Lust- und Unlustimpulsen. Wenn Du also das nächste Mal ungestillt bist, setz Dich hin. Lass den Heiligen Geist zu Deinem Geist sprechen: »Du bist mein geliebter Sohn.« Nimm von Deinem Geist her Deine aufgewühlte, aufgebrachte, entmutigte Seele ein wenig in die Arme. Drücke sie an Dich. Sprich ihr gut zu. Befrage sie auch. Ich denke, dabei können Dir auch meine Lieder helfen. Ich habe darin manchmal mit meiner Seele einen sehr weiten Weg zurückgelegt. Gott bzw. mein Geist holte die Seele zum Beispiel bei Rachegedanken ab und führte sie bis hin zum Lobpreis. Ich muss Dir ein andermal mehr darüber berichten. Übrigens, wie Du Deinen Geist stärken kannst, verrate ich Dir das nächste Mal. Ich muss schließen, Paulus holt mich ab zu einem Bummel in die goldene Stadt.

       Mit lieben Grüßen Dein David

       P. S.: Der Zusammenstoß mit Deiner Frau tut mir echt leid. Sie scheint sich zu verändern und abzugrenzen. Wie schätzt Du die Bausubstanz Eures Ehehauses ein?

      Lieber David,

      Du fragst, wie es um unsere Beziehung stehe. Wir haben es im Großen und Ganzen gut zusammen. Wenn meine Frau noch ein bisschen zufriedener wäre, ginge es uns sogar blendend. Seit ich den Job gewechselt habe, fordert mich der Beruf extrem; leider bekomme ich von zu Hause her Null Unterstützung. Im Gegenteil: Immer, wenn ich mich vom Abendessen abmelde, weil wir noch eine Nachtschicht einlegen, kriege ich an Stelle eines guten Wortes für den Sondereinsatz noch eins obendrauf. Gerade letzte Woche hatte meine Frau am Telefon einen solchen Ausbruch; sie schrie in den Hörer: »Es scheißt mich langsam an, es ist in dieser Woche schon das dritte Mal, dass du nicht zum Abendessen kommst!«, und legte dann auf.

      Sie meint, die ganze Verantwortung für die Familie liege allein auf ihren Schultern. Das ist mitnichten so. Erstens finanziere ich das ganze Unternehmen. Zweitens trage ich auch praktisch meinen Teil bei. Wenn ich abends nach Hause komme, gebe ich meine Anweisungen. Meist geht es um Ordnung im und ums Haus, um die Hausaufgaben der Kinder. Manchmal helfe ich beim Zeitmanagement und frage dann, wann es endlich zu essen gebe. Ich möchte doch einfach, dass wenigstens das Geschäft zu Hause rund läuft. Nach einem zwölfstündigen Arbeitstag darf ich doch sicher erwarten, dass wenigstens das bisschen Haushalt einigermaßen gut erledigt ist.

      In letzter Zeit kommt es gehäuft zu Unstimmigkeiten, wenn ich heimkehre. Meine Frau sagt dann immer, dass es bis zu meiner Heimkehr sehr gut gegangen sei: »Du bringst eine solche Unruhe mit nach Hause; du forderst und nörgelst oder dann hört man gar nichts von dir, weil du hinter der Zeitung verschwunden bist.« Dabei will ich mit meinen Anweisungen nur helfen, ein bisschen Ordnung in den Laden zu bringen. Es ist eben meine Begabung, zu sehen, was noch nicht gut ist. Anfangs hat das meine Frau sogar geschätzt. Jetzt meint sie, ich sei das Problem, dabei müsste nur sie ihren Laden besser im Griff haben.

      Du siehst, uns geht es eigentlich ganz gut, wir haben uns nur ein bisschen auseinander gelebt. Schwieriger ist es vor allem darum geworden, weil meine Frau an drei Nachmittagen wieder in ihrem alten Beruf arbeitet. Sie überfordert sich dabei permanent. Auch haben ihre neuen Freundinnen im Literaturzirkel nicht den besten Einfluss auf sie. Aber wir funktionieren eigentlich sehr gut. Die Kinder merken gar nichts. (Mir fällt zwar ein, dass sie näher zu meiner Frau gerückt sind und mein Platz in der Familie immer mehr an den Rand gedrängt wird; aber das hat mit meiner Arbeitszeit zu tun!). Unser Sexualleben ist ein wenig eingeschlafen, da hatten wir früher mehr drauf.

      Ich schätze den Briefwechsel mit Dir. Ich habe ja mal zwei Semester Theologie studiert, bevor ich Betriebswirtschaft belegte. Geistliche Fragestellungen interessieren mich aber immer noch. Manche sagen mir auch, ich solle doch in unserer Kirchengemeinde mehr Verantwortung übernehmen, einen Hauskreis leiten oder im Gottesdienst mitwirken. Mir fehlt dazu die Zeit. Weißt du, David, Markt und Markenbildung sind meine Leidenschaft. Dabei bin ich zwar auch schöpferisch tätig, aber mein Geist bekommt so nur wenig oder gar keine Nahrung. Er ist in den letzten Jahren sogar »geschrumpft« und damit ist auch meine Seele verkümmert. Ich bin in den letzten beiden Jahren irgendwie stumpfer geworden, oberflächlicher, weniger aufmerksam; doch das könnte auch eine Folge des dauernden Gekeifes meiner Frau sein.

      Mit herzlichen Grüßen

      Dein

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