Gestillt. Daniel Zindel
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Zweitens fand ich Deine Ausführungen zum abwesenden Adam echt stark. War der nicht auf seinem (Wacht-)Posten? Mir fällt jedenfalls der Widerspruch zwischen Deiner theoretischen Erkenntnis und Deinem gegenwärtigen Lebensstil auf. Das mit der Arbeitssucht und Fahnenflucht der Väter würde mich näher interessieren. Aber ehrlich gesagt, Du schreibst mir zu locker darüber, so als wäre das einfach ein Naturgesetz, das man hinnehmen müsste. Reinhold, darf ich mal ganz persönlich werden: Was macht Dich so süchtig nach Arbeit? Ist es wirklich Deine Absicht, die Fahne »Vaterschaft« kampflos zu verlassen? Was veranlasst Dich zur Fahnenflucht?
Sei in Verbundenheit herzlich gegrüßt Dein David
6Psalm 131,2
7Psalm 42,6
8Psalm 103,1–2
91. Thessalonicher 5,23
10Römer 8,16
11Psalm 116,7
12Offenbarung 21,4
132. Samuel 6,16
14Apostelgeschichte 5,29
151. Timotheus 2,12
161. Timotheus 2,14–15
175. Mose 21,21
185. Mose 22,11
Lieber David,
ich fliehe doch gar nicht, ich habe Dir ja schon geschrieben, dass ich jeden Sonntag zu Hause bin, an diesem Tag nur meine Mails checke und manchmal auf meinem Laptop ein wenig grafisch arbeite, als Spielerei sozusagen. Ich bin im Moment gestresst – beruflich und familiär. Es ist wie ein Teufelskreis: Je mehr ich mich im Geschäft reinhänge, desto frostiger wird es zu Hause. Je frostiger es zu Hause ist, desto mehr Zeit verbringe ich in unserem kleinen, kreativen Team. Wir sind dort fast wie eine Familie. Wir haben gestern eine geniale neue Grafikerin bekommen, der ich viel beibringen kann. »Reinhold«, hat kürzlich einer gesagt, »mit dir und für dich zu arbeiten, ist eine Lust!« Wir haben viel Spaß zusammen. Meine Frau glaubt mir zwar nicht, dass diese Leute gerne mit mir zusammenarbeiten. Sie täuscht sich, wir nehmen es zwar locker, streben dabei jedoch nach absoluter Perfektion. Dort bekomme ich Anerkennung, zu Hause bin ich der Trottel vom Dienst.
Meine Frau teilte mir gestern mit, sie wolle eine der beiden Sommerferienwochen mit den Freundinnen vom Lesezirkel ohne unsere Familie verbringen. Sie brauche Distanz. Sie hätte die Reise nach Prag schon gebucht. »Die bezahle ich dir aber nicht!«, entgegnete ich feindselig. »Ich habe sie bereits von meinem Lohn bezahlt!«, meinte sie triumphierend. Dann schob sie boshaft nach: »Es ist doch für dich und die Kinder eine Chance, einmal eine Ferienwoche allein zu verbringen. Im Hotel seid ihr gut versorgt.« Eigentlich fand ich die Sache gar nicht so schlecht. Trotzdem wurde ich wütend, weil sie mich vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Mein Stolz war verletzt und ich hatte plötzlich auch Angst: »Wenn das so weitergeht, verliere ich jede Kontrolle über sie. Ich glaube, die achtet mich nicht mehr und macht mit mir, was sie will«, ging es mir durch den Kopf.
Es ist schon reichlich spät. Morgen werde ich sehr früh zur Arbeit fahren. Das Frühstück mache ich mir ja seit Jahren selbst. (Die Frau meines Chefs wartet am Morgen mit dampfender Teetasse und Toast auf ihren Gatten, bis er frisch geduscht und rasiert herunterkommt, um sich für den bevorstehenden Tag zu stärken.) Ich sorge selbst für mich und fahre zur Arbeit, wenn sonst alle im Hause noch schlafen. Ich werde einen wichtigen Tag haben: die nochmalige Präsentation unserer Kampagne. Ich habe ein wirklich gutes Gefühl!
Du hast im letzten Brief Lob (über die Bemerkung vom abwesenden Adam) und auch Tadel verteilt. Entschuldige, das mit der »Gebärmaschine« war wirklich daneben. Ich hoffe, dass mein Zynismus in Zukunft weniger durchschlägt. In meinem Business wird man eben hart. Du hast mir übrigens nicht berichtet, ob Paulus einen Schnaps bestellt hat. Was mir letzthin auffiel: Paulus hat Deine Lieder in seinen Briefen recht frei verwendet. Wo ist da die Ehrfurcht vor dem Text?
Sei gegrüßt
Reinhold
Lieber Reinhold,
was den Schnaps betrifft: Fäulnis- und Gärungsprozesse gibt es bei uns nicht, ergo auch keinen Alkohol. Auch brauchen wir hier oben keine künstlichen Stimmungsheber. »Freude herrscht« – das ist bei uns mehr als ein Spruch. Freude ist einfach da, wie die Luft, die wir einatmen. Wir leben am Lebensstrom.
Ich diskutierte kürzlich mit Paulus darüber, mit welcher Freiheit er meine Liedverse zitierte. »Du hast«, sagte ich ihm, »Verse meiner Lieder in deinen Briefen frei und kreativ zitiert und sie damit in einen neuen Zusammenhang gestellt.« »Kannst du mir ein Beispiel geben«, sagte er und bestellte ein zweites Getränk. Als die Granatapfelschorle mit Feigenzucker gesüßt und Eis durchmengt auf den Tisch kam, sagte ich ihm: »Am Anfang deines Briefes an die Römer hast du Verse aus meinen Liedern aus dem Zusammenhang gerissen und neu aufgemischt, wie dieser Trank, der vor dir steht, es ist.« »Und«, sagte er, »du warst doch auch von Gott inspiriert, als du sangest. Ich war es, als ich an die Römer schrieb. Gleich und gleich gesellt sich gern.« Und dann sprach er davon, wie der »Buchstabe tötet«19, der Geist hingegen lebendig mache, und dass wir in dieser Haltung mit den Heiligen Schriften umzugehen hätten.
Warum ich Dir das schreibe: Ihr müsst beim Lesen unserer von Gott inspirierten Worte um Gottes Geist bitten. Wenn der Zeitgeist Euer Herz erfüllt, gibt’s nichts als plumpen Spott. Das »gerettet werden durch Kinderkriegen« war übrigens gegen die leibfeindlichen Gnostiker gerichtet, welche das Heil in der Abkehr von aller leiblichen Natürlichkeit sahen. Paulus sagte mir, dass er darauf abzielte, dass das Heil in der Natürlichkeit des Alltags wie dem Weitergeben von Leben, und nicht im esoterischen Ausweichen ins Feinstoffliche, Übersinnliche gefunden werden soll. Gar nicht so blöd, und ziemlich aktuell – oder nicht? Wenn Ihr die Bibel mit dem Verstand allein lest, löst sich alles Wunderbare auf, wie wenn man Salzsäure darüber gegossen hätte. (Ich weiß, dass ich Ähnliches schon im letzten Brief schrieb.) Wenn ihr jedoch die Bibel inspiriert durch den göttlichen Geist lest, werdet Ihr den tiefen Sinn hinter den vordergründigen Aussagen entdecken. Ihr werdet vom Messias her, der ja die Mitte der Bibel ist und von dem der Geist ausgeht,