Die Kunst der Bestimmung. Christine Wunnicke

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Kunst der Bestimmung - Christine Wunnicke страница 11

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Kunst der Bestimmung - Christine Wunnicke

Скачать книгу

der die Frevler ins Feuer stößt wie einst Kaiser Nero die Christen.

      Die Katholiken von Southwark trafen sich in einem Hinterhaus, grimmige Menschen, die in einer klammen Kapelle einem irischen Priester lauschten, der auf Lateinisch lamentierte. Lucius hieß Don Hieronimo in diesem Kreis. Niemand glaubte es ihm, aber man schätzte seinen Beitrag zur Kollekte. Don Hieronimo nahm Weihwasser. Er küsste seine Fingerspitzen und schlug einige vertrackte Kreuze, wie dies die Sitte war in seiner spanischen Heimat. Asperges me, Domine, hyssopo, et mundabor. Ein Zauberspruch.

      Lucius’ Latein war nicht das beste. Er zählte die Bekreuzungen des Priesters. Zweiundfünfzig würden es sein, bis die Messe vorüber war, wenn er nichts versäumte. Lucius fiel auf die Knie und verharrte so, als Einziger. Et clamor meus ad te veniat, Domine. Don Hieronimo verbarg das Gesicht in den Händen und vergoss ein paar Tränen, vielleicht für seine untreue Frau in Kastilien, die er eigenhändig erstochen hatte, vielleicht für seine Brüder und Vettern, die am fernen Amazonas den Pfeilen der Wilden erlagen, vielleicht auch für einen verbläuten Professor und die vielen Sünden des Lucius Lawes. Er tupfte vorsichtig seine Augen, um den Kohlestift nicht zu verschmieren, dann blickte er auf und wartete auf die Wandlung.

      Seit er den Katholiken von Southwark eine Dose Weihrauch geschenkt hatte, beglückte ihn das Opfer besonders. Während der Priester Wasser und Wein vermischte, mischte Lucius Spanien mit dem Rom der Alten. Bald sah er sich im Morgennebel auf dem Kapitol der Venus Genetrix opfern, Lucius Sulla in jungen Jahren, als er noch wild war und sittenlos, mit blauen Augen und so vielen Sommersprossen, dass die Spötter den Vers auf ihn machten, «Sulla ist gesprenkelt gleich einer mehlbestäubten Maulbeere», wie Plutarch erzählt. Sic fiat sacrificium nostrum, sagte der Priester zu Gott und Lucius zur schaumgeborenen Venus, und er opferte ihr, statt der Hostie, einen Granatapfel und eine Taube und bat um Glück in der Liebe, mit der Dame Nicopolis und dem Knaben Metrobius, die ihm beide gewogen waren; denn auch dies verschwieg Plutarch nicht. Erst beim Sanctus verblasste das Kapitol. Lucius rückte seine Toga zurecht und sprach ein stilles Gebet für Gott den Allmächtigen. Er bat um Vergebung. Gott vergab ihm. Ich schuf dich mit schwärmendem Geist, sprach Gott, sei ohne Sorge, Lucy mein Sohn. Lord Fearnall verbeugte sich tief vor dem Altar. Dann verließ er eilig die Kapelle und sprang in die Kutsche, denn sein Zeitplan war, wie immer, äußerst gedrängt.

      Als er nach Hause kam, warteten schon zwei Diener darauf, ihn umzukleiden. Die Hoftracht war steif und schwer. Lucius stand wie eine Puppe, die Beine gespreizt, die Arme ausgestreckt, dass man auch alles recht in Form bringen konnte. Er trug Pfirsich und Ocker an diesem Sonntag und venetianerrote Borten, die Spitzen in Creme, Bänder und Rosetten schwarz wie die Nacht, dazu die braune Perücke, den hübschen Degen, der nichts taugte, und den Hut mit den blassgelben Flaumfedern eines Riesenvogels aus Übersee. Don Hieronimos Augenbrauen wurden abgewischt. Lucius trank ein Glas Brandy, ließ sich die Wangen pudern, dann stieg er in die Schuhe und in seine eigene Kutsche, vierspännig, mit Glasfenstern, schwarz wie ein Leichenwagen. Er saß gebückt bis Whitehall, um die Federn auf seinem Hut nicht zu stauchen.

      Lord Fearnall wartete dem König in dessen privaten Gemächern auf. Er teilte dieses Amt mit mehreren Dutzend Damen und Herren. «Nun, Lucius?», fragte der König. Lucius verneigte sich. Er stand in der Gunst des Königs dank Vaters Heldentaten. Einst war Vater ein einfacher Soldat gewesen. Dann wurde er General. Er schlug die Feinde der Krone aufs Haupt, Schotten, Rundköpfe, Holländer und was sich sonst noch tummelte an bösartigem Gesindel. So wurde George Lawes der erste Earl of Fearnall. Dann starb er. So wurde Lucius der zweite Earl, fünfzehnjährig, wortkarg, der beste Fechter von Cheshire. Der König hatte George Lawes’ drei Waisen damals nach Whitehall geholt, um die Töchter alles und den Sohn noch etwas anderes als den Umgang mit dem Rapier zu lehren, und seit dieser Zeit betrachtete er Lucius, der nun volljährig war und Mitglied des House of Lords, stets mit freundlichem Interesse.

      Lucius erhob sich geschmeidig aus der Reverenz. Er wartete, welches Spiel Charles II. befehlen würde. Manchmal wollte er, dass Lucius den Prüfling spielte: ob die Erziehung in Whitehall auch schöne Früchte trug. Manchmal wünschte er Unterhaltung, ernste, schlüpfrige, alberne, chemische, je nach Laune und Augenblick. Zuweilen wollte er Lucius als Knaben sehen. Zuweilen als Gentleman. Zuweilen als jungen Politiker, der stets die richtigen Dinge sagt. Mitunter durfte Lucius auch den Narren spielen, fahrig, geniert und niemals nüchtern, der seine Beine verhaspelt bei der banalsten Courante und nach der Duchess of Cleveland seufzt, als sei sie eine ehrbare Frau.

      Lucius Lawes stand in seinen Kleidern wie in den Kulissen eines Theaters und wartete, dass ihm der König das Textbuch reiche für seinen Auftritt. Doch der König wollte heute nicht spielen mit dem Earl of Fearnall. Er wiederholte, «nun, Lucius?», dann besprach er sich mit dem Duke of Lauderdale über schottische Angelegenheiten. Der Duke of Lauderdale hatte eine lange Oberlippe, die oft zwischen die Zähne geriet. Die Zähne waren grau, die lange Lippe beim Sprechen voll Schaum. Der Duke of Lauderdale war der Diktator von Schottland und auch sonst ein Herr von Gewicht. Lucius verneigte sich wieder, im Stil des Soldaten nun, seine Absätze klackten.

      Er folgte dem Hof in die Kapelle. Längst spürte er wieder den Druck im Inneren. Längst wünschte er sich wieder Brandy. Er sah die Schwestern, Barbara und Maudlin, beide im Gefolge der Duchess of York. Vielleicht würden sie mit Lucy spielen. Vielleicht würden sie «Kleiner Bruder in Nöten» mit ihm spielen. Aber sie waren zu weit entfernt und Lucius hatte nicht die Kraft, sich durch die Menge zu drängen. Man las Jesaja zum Morgengebet. Höret des Herrn Wort, ihr Fürsten von Sodom. Wie geht das zu, dass die fromme Stadt zur Hure wurde? Es gab keinen Weihrauch. Es gab kein Latein. Es gab weder Spanien noch die Venus Genetrix.

      «Apropos Hure», meinte der Herr, der neben Lucius saß, «war dies nicht précieux, das Plaisir? Bald wollen wir wieder bei Mutter Bushell einkehren, Sie mit erlogenem Kleinod und wir mit wahrhaftigen Fäusten!»

      Lucius drehte langsam den Kopf. Der Sohn des Lord Stretton, wie meist in Maron.

      «Allzeit à votre service!» Der Sohn des Lord Stretton lachte.

      Lucius stand auf. Er schlich durch die ganze Kirche, auf Zehenspitzen, damit seine Absätze keinen Lärm machten. Leute blickten sich um. Eine Missgeburt. Ein Monstrum. Verflucht sollst du sein. Lucius verließ die Kapelle. Er folgte dem Flur, den Zimmerfluchten, passierte Diener, Wachen und den Lord Chamberlain, eine unruhige Dame ohne Geleit und einen verirrten Menschen mit sechs Otterhunden. Dann trat er ins Freie. Er suchte seinen Diener und fand ihn nicht, er fand seine Kutsche, nicht den Kutscher. Lucius verspürte das dringende Bedürfnis, sich auszuziehen. Er musste fest die Arme kreuzen, um sich daran zu hindern. Endlich kamen seine Leute zurück. Lucius befahl die Heimfahrt.

      Er ertrug das Schweigen nicht. Er wollte auch nicht nach Hause. Mitten auf der Pall Mall ließ er halten und stieg aus. Er blickte die Männer an, den Diener auf dem Tritt, den Kutscher auf dem Bock, er kannte sie gut, er wusste nicht, wie sie hießen. Vielleicht hieß der Kutscher John.

      «John?», fragte Lucius.

      «Jawohl, Mylord?»

      «Heißt du John?»

      «Nein, Mylord.»

      «Pardon», sagte Lucius. «Ich möchte trotzdem bei dir sitzen.»

      Ein verblüffter Blick, aber der Kutscher rückte zur Seite. Lucius kletterte auf den Bock. Er saß unbequem auf seinen steifen Rockschößen.

      «Fahr nach Smithfield», sagte Lucius, «und wieder zurück.»

      Der Kutscher, der nicht John hieß, trieb die Pferde an. Der Nebel machte sich an Lucius’ Haar zu schaffen und an den Federn auf seinem Hut. Lucius wischte die Feuchtigkeit von seinen Wangen. Er wollte nicht nach Smithfield und auch nicht wieder zurück.

      «Vor

Скачать книгу