Die Kunst der Bestimmung. Christine Wunnicke

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Die Kunst der Bestimmung - Christine Wunnicke

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jeu, Sir», kicherte der in Maron.

      «Er soll Maudlin haben», bestimmte der Lavendelfarbene. «Maudlin wird Hochwürden gefallen.»

      Die Hure am Tisch lachte. Die Hure auf dem Sofa schlug ein Kreuz und lachte dann auch. Der Alte mit den Kindern hob an zu einer Frage, besann sich aber und schwieg.

      «Ich wähle selbst, Sir», sagte Chrysander, «und ich habe kein geistliches Amt.»

      Die Herren ließen sich nicht beirren. Sie riefen «Mutter Bushell», das war die Wirtin, sie erschien, bekam ein Trinkgeld und nickte. Ob Maudlin umgekleidet sei? Jawohl. Ob Maudlin bereit sei? Zu Diensten in ihrer Kammer.

      Chrysander wollte Maudlin nicht. Er mochte keine Huren mit Namen. Daheim in Uppsala, bei den Mädchen von Svartbäcken, war es Brauch, dass der Kunde sie taufte. Hesperis, Clematis, Nymphäa – viele gaben ihnen die Namen, die im nahe gelegenen Botanischen Garten auf den Schildern standen. Chrysander tat das nie. Er mochte keine Huren mit Namen. Gespräche mit anderen Kunden mochte er indes noch weniger. Er wollte die Ware, ihren Preis entrichten, und fort.

      «Wo ist das Mädchen», fragte Chrysander, «und wie und bei wem wird bezahlt?»

      Die Wirtin bestand auf Vorkasse. Sie bat Chrysander, Umhang und Degen abzulegen, dann schickte sie ihn die Treppe hinauf, erster Stock, erste Tür rechts. «A votre plaisir», rief der Herr in Lavendel und lachte. Chrysander verließ den Salon.

      Er fand die Tür und klopfte. Niemand gab Antwort. Er wartete. Dann trat er ein. Eine Kammer, karg möbliert, ein Schrank, ein Stuhl, ein Bett. Die Wand zur Rechten war aus Brettern genagelt und reichte nicht ganz bis zur Decke. Sie trennte den Raum vom nächsten Verschlag, die zweckdienliche Bauart eines Stalles. Vor dem Fenster hing eine grüne Gardine, über dem Bett ein Stich aus dem Aretin, zwei nackte Leiber, vielleicht auch drei, kunstvoll ineinander verschlungen. Neben dem Schrank stand ein Mädchen vor einem kleinen Spiegel. Als Chrysander eintrat, wandte sie sich um, stutzte, dann lächelte sie.

      Sie war schmal und hoch gewachsen, um einiges größer als ihr Gast. Rotes Haar, unberührt von der Brennschere, fiel über ihre Schultern und fast bis hinab auf die Taille. Rotblond waren auch Brauen und Wimpern. Den Kohlestift kannte sie nicht. Nur die Lippen waren geschminkt, ungeschickt hingepinseltes Rouge, ein greller Fleck in ihrem blassen Gesicht. Sie war übersät mit Sommersprossen, helle Tupfen auf noch hellerer Haut, im Gesicht, auf Händen und Armen, im Ausschnitt ihres Kleides. Schlüsselbeine und Brustbein zeichneten sich ab, kaum Busen. Im Mieder steckte ein zerknittertes Stoffblumensträußchen, Goldlack und Maßliebchen. Sie trug ein schlichtes weißes Unterkleid, knapp, vielleicht einfach zu klein, und blassgelbe Pantoffeln aus zerschlissenem Atlas. Ihre Füße waren groß, auch die Hände, lange getupfte Finger, ineinander verschränkt vor einem flachen, kaum geschnürten Bauch. Sie war nicht sehr jung; über zwanzig. An eine Hure gemahnte nichts. Sie war schön und sonderbar, wie ein Einhorn, ein Meerweib, ein Wappentier. Ungerufen kam ein Gedanke in Chrysanders Kopf, kauf sie frei, nimm sie mit. Er erschrak. Das Mädchen legte den Kopf schief. Dann faltete sich ihr langer Körper in einem tiefen Knicks.

      «Maudlin?»

      «Ja, lieber Herr.»

      Sie sprach rau, ein wenig heiser, ein wenig gedehnt; der Tonfall einer ländlichen Gegend. Nur langsam richtete sie sich auf. Sie rückte den Stuhl für Chrysander zurecht, wischte den Sitz mit dem Rockzipfel ab und bat ihn Platz zu nehmen, mit einer etwas zu großartigen Geste, als spiele ein Kind die Prinzessin. Sie kicherte, nur kurz, fast ein Schluckauf. Dann lächelte sie. Chrysander wollte sich nicht setzen. Er wollte fort und nicht fort. Etwas war nicht in der Ordnung. Maudlin kräuselte die Nase, als röche sie Chrysanders Zweifel. Feuerrot waren ihre Lippen, weiß die Zähne, wie bei einer Dame von Stand. Sie betrachtete ihren Gast aufmerksam. Sie tat nicht ihre Hurenpflicht. Sie schaute und blinzelte, als traue sie nicht ihren Augen. Chrysander setzte sich doch. Seine Kunst der Bestimmung versagte. Animalia. Viviparos. Oviparos. Vegetabilia. Cruciferae. Saxifraga. Zoophythes. Chrysanders Denkmaschine spuckte Begriffe aus, schnell und furchtsam, wie ein Gebet in Not. Er hob den Kopf und blickte in Maudlins helle Augen.

      Irgendwann trat sie einen Schritt zurück. Sie senkte den Kopf und nestelte an ihren Maßliebchen.

      «Aus Cheshire komm ich, lieber Herr. Schweinemagd bin ich gewesen. Ich war im Stall und draußen sind alle an der Pest gestorben, sie haben mich draußen nicht wollen, Mama und Vater und das Dorf, weil Ihr seht ja, ich bin zu rot, und der Teufel hat mich scheckig gespuckt, und zu lang bin ich, das Stalltor ging viel zu weit runter, ich haute mir den Kopf und alle lachten, und dann hat sie die Pest geholt, oh ja, das weiß der Herr, nicht wahr, der liebe kluge Herr weiß um die Pest in Cheshire?»

      Chrysander schauderte. Quadrupedes. Amphibia. Eine Hure, die biographisch vorgeht, sah sein System nicht vor.

      «Cheshire ist grün», fuhr Maudlin fort, «grüne Wiesen, sonst nicht arg viel, aber fein grün in Cheshire, vor der Pest, guter Herr, und nach der Pest auch, und nun, nun, einer nahm mich mit, hat mich malen wollen als die heilige Magdalene, aber froschnackt, der Schelm, und nun, nun bin ich hier, lieber Herr, das bin ich, eine femme de plaisir, und Ihr?»

      Maudlin bückte sich. Ihr Haar streifte Chrysanders Hände. Sie verharrte reglos. Sie wiederholte: «Und Ihr?»

      «Schweden», murmelte Chrysander.

      «Was?»

      «Aus Schweden, mein Kind. Ein anderes Land.»

      «Grün?»

      «Im Frühling.»

      «Und habt Ihr Heimweh, lieber Herr?»

      Chrysander gab keine Antwort. Maudlin ging in die Hocke und hielt sich mit beiden Händen an seinen Knien fest. Chrysander betrachtete ihr Brustbein, die Linie ihres Halses. Er wollte sie haben, jetzt und weiterhin. Er würde davonlaufen müssen. Das Mädchen richtete Schaden an in seinem Gehirn.

      «Seid Ihr Priester?», fragte Maudlin. «Sprecht Ihr mich los?»

      «Nein. Du musst zur Kirche gehen.»

      «Was seid Ihr sonst?»

      «Arzt und Professor.»

      «Professor? Was ist das?»

      «Einer, der ordnet. Der die Ordnung sucht.»

      «Ihr ordnet, guter Herr? Was?»

      «Alles. Die Dinge der Welt. Es sind viele. Es ist eine Frage der Zeit.»

      Chrysander hörte sich sprechen wie einen Fremden. Hatten sie ihm eine Hexe gegeben? Gab es solche? Eine noch offene Frage in der Klasse der Res Humanae.

      «Ordnung», sagte Maudlin, den Kopf gesenkt, «das ist schön. Das erstaunt mich. Das ist wie Friede. Könnt Ihr das? Wo lerntet Ihr das? Ordnet Ihr alles? Auch Leute?»

      «Auch diese.» Chrysanders Zunge war schwer. Maudlin streichelte abwesend sein linkes Bein. Schatten huschten über ihr Gesicht, Kummer, Freude, Furcht, Verwirrung oder nur eine nervöse Verschiebung der Muskeln.

      «Verzeiht, Sir. Ich bin neu hier. Ich muss das Spiel noch lernen.»

      Chrysander versuchte aufzustehen. Maudlin hielt ihn fest, ein harter Griff um beide Knie, als packe sie ein Ferkel im Stall.

      «Wie geht das?», fragte sie laut, fast befehlend. «Wie

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