Die schwarze Tulpe. Alexandre Dumas
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Boxtel, vom Glücke nicht so begünstigt, wie Baerle, besaß auch nicht den Reichthum des Letzteren. Trotzdem hatte er mit aller Sorgfalt und Anwendung der äußersten Mühe, in seinem Hause einen recht angenehmen Garten hergerichtet, in diesen eine große Anzahl von Mistbeeten angebracht, den Erdboden fruchtbar gemacht, und die den Tulpen nöthige Temperatur in den verschiedenen Jahreszeiten ganz nach den Regeln der Gartenkunst erzeugt.
Jahrelang seinen Plan verfolgend, war dieser seltene Mensch bis in die kleinsten Einzelheiten der Unternehmung und ihrer verschiedenen Erscheinungen gedrungen. Er berechnete den für die Blume nothwendigen Hitze- und Kältegrad bis auf den 20. Theil, er wog Wind ab, und gab ihm jene Richtung, die ihm zur Erhaltung der Tulpe zuträglich schien. Zugleich lächelte ihm in einem Augenblicke das Glück, gleichsam als, wolle es seine Bemühungen auf einen noch höhern Grad steigern, so wie es Anfangs den Spieler gewinnen läßt, um ihn dann um so sicherer in den Abgrund des Verderbens zu ziehen. Seine Erzeugnisse hatten Beifall gefunden, Liebhaber erschienen, um seine Sammlung zu bewundern. Endlich glückte es ihm sogar, eine eigene Gattung zu erzeugen, die unter seinen Namen den Weg durch Frankreich machte, in Spanien Eingang fand, und sogar von dem aus Portugal vertriebenen König, Don Alfonso VI., der sich nach der Insel Terceira zurückgezogen hatte, mit den Worten, passirt, fürstlich belobt wurde. Baerle, wie schon einmal erwähnt, von seiner Leidenschaft ergriffen, fand vorläufig nichts wichtigeres, als seinem Gebäude eine dem Zwecke entsprechende Umgestaltung zu geben. Er ließ daher den, rückwärtigen Theil desselben, der an Boxtels Garten grenzte, um einen Stock erhöhen, und raubte dadurch dem Nachbar gerade einen halben Grad Sonnenwärme während er ihm durch den Schatten einen ganzen Grad Kälte zuführte, ungerechnet, daß dadurch der Wind abgesperrt, und die mühsam, jahrelang zusammengesetzte Berechnung des Oekonomen dadurch mit einem Male ganz vernichtet wurde.
Aber Boxtel, den dies schreckliche Unglück Anfangs zu Boden streckte, war zugleich ein tiefer Denker. Er überlegte endlich mit kalter Ruhe, daß sein Nachbar, ein Maler, nämlich eines jener Individuen, die sich bemühen, die Natur auf der Leinwand, statt sie wiederzugeben, zu verunstalten, alles Recht hatte, um für seine Gemälde mehr Sonnenlicht zu gewinnen, ihm einen halben Grad Wärme wegzunehmen. Das Gesetz sprach für ihn mit vollem Rechte und er schwieg daher.
Aber wo findet der von einer fixen Idee ergriffene Mensch nicht bald und oft in ganz trügerischen Vernunftschlüssen seinen Trost wieder Auch Boxtel fand ihn. Er suchte sich zu überreden, daß zu viel Wärme den Blumen schade, daß diese in einer geringeren Temperatur schneller wachsen, und sich schöner färben, und daß ihm durch den Bau gerade die Mittagssonne geraubt wurde, überzeugte er sich selbst, daß die Morgens und Abendsonne viel besser und vortheilhafter sei.
Wenn er in diesen Schlüssen fortgefahren wäre, so mußte er noch zu der Einsicht gelangen, das er dem Herrn van Baerle, der ihm aus eigenem Antrieb einen so dauerhaften Sonnenschirm erbaut hatte, eigentlich dankbar verpflichtet sein müsse.
Aber wer beschreibt den Schrecken des Unglücklichen, als er an einem schönen Morgen die Fenster der neuen Wohnung mit Zwiebeln, mit jungen Pflanzen, mit Blumen in aufgewühlter Erde und in Geschirren, mithin mit allem ausgerüstet sah, was eigentlich zur Veredlung und Zucht der Tulpen nothwendig ist.
Aber noch mehr. Längst den Mauern, so weit man dies von unten sehen konnte, bemerkte er zugleich, Kästen offen oder geschlossen, mit den feinen Gittern von Eisendraht versehen, die mit Ventilatoren verbunden, die Bestimmung hatten, die Luft nach Bedarf entweder mehr zu sammeln oder zu entfernen, und zugleich Ratten und Mäuse, die bekannten Liebhaber dieser Blume, deren Zwiebel nicht selten über 2000 Frank kostete, entfernt zu halten.
Nachdem Boxtel sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte, und wieder zur kalten und ruhigen Ueberlegung zurückkam, sprach er sich selbst Trost und Ruhe zu. Er dachte nach, wie der Mensch, der einmal einen Plan verfolgte, bis in die untersten Schichten seiner Grundlagen zu dringen pflegt. Baerle war Maler, vielleicht gründlicher, denkender Maler, um so mehr, da er Gerard Dow zum Meister, und Mieris zum Freunde hatte. Vielleicht wollte er ein Tulpenhaus malen, und um dies ganz, vollständig, unnachahmlich darzustellen, fand er es für nothwendig, sich einen Saal mit allen zu dieser Kunst nöthigen Einzelheiten herstellen zu lassen.
Aber ungeachtet aller dieser Trostgründe, erstand doch eine unverwüstbare Kluft in seinem Innern, der Wunsch, sich näher hiervon zu überzeugen, mit einem Worte, die Neugierde.
Er erwartete sehnsuchtsvoll den Abend, er zählte die Stunden, die ihn noch von demselben trennten, und als sich die Ruhe und Stille der Nacht über die ganze Umgebung ausbreitete, und nur der bleiche Schein des eben emporsteigenden Mondes, die weite Landschaft erhellte, da eilte er hinab in den Garten, und vorsichtig eine Leiter an die Wand seines Nachbars lehnend, stieg er hinauf — Furchtbar, gräßlich mußte das Schauspiel sein, das sich seinen Blicken darbot, denn gelähmt, gleichsam eingewurzelt, auf dem Punkte, auf dem er gerade stand, nahm sein Antlitz die Farbe des Todes an, sein ganzer Körper zitterte von fieberhafter Aufregung bewegt.
Und was sah er?
Ein großes, ausgedehntes, im Dunkel der Nacht nicht ganz zu übersehendes Viereck. Der aufgewühlte, mit Flugsand vermischte Boden zeugte deutlich an, daß vor Kurzem Pflanzen, die ihre entsprechende Ausbildung erhalten, aus demselben genommen worden waren, und zugleich verrieth die eben erwähnte, den Tulpen sehr zuträgliche Mischung, auch die eigentliche Bestimmung dieses Raumes. Das Ganze war sorgfältig in Beete eingetheilt, diese um das Einsinken der Erde zu verhindern, mit Graspflanzungen eingefaßt, dann hatte. es die auf- und untergehende Sonne, einen künstlich erzeugten Schatten, der die Hitze der Strahlen milderte, Wasser im Ueberfluß und in der Nahe, es lag nach Süd-Süd-West; kurz Alles, der kleinste Punkt stimmte mit dem großen Werke in harmonischer Verbindung zusammen; was der Unglückliche während der Dauer einer halben Lebenszeit mühsam berechnet hatte, und aus Mangel an Mittel nicht ganz so herstellen konnte, wie es eigentlich hatte sein sollen, lag wie durch die Macht einer höheren Gewalt hervorgerufen, zauberhaft in seiner ganzen Vollendung vor ihm da.
Ihm schwindelte, krampfhaft hielt er sich an der Wand fest, — der Beweis war gefunden — Baerle, der reiche Baerle, ein Tulpenzüchter.
Mühsam, nicht mehr Herr seiner physischen Kraft mit schlotternden Armen und Beinen, der Verzweiflung nahe, stieg er wieder die Leiter herab. Ein einziger Gedanke erfüllte für den Augenblick seine Seele, er gestaltete sich langsam von unklaren Umrissen zum deutlichen Bilde, und dieses Bild war Baerle, Baerle mit seinen zehntausend Gulden Revenüen, und vier hunderttausend Gulden in Gold, dieser Crösus, dem nichts zu hoch, nichts zu theuer war, der Alles erreichen konnte und mußte. Seine Phantasie malte sich die ungeheuer glücklichen Erfolge dieses Mannes in den lebhaftesten Farben, er sah dessen Ruhm einem strahlenden Gestirne gleich erglänzen, und den eigenen in trüber, sturmumwölkter Nacht untergehen.
Das war die Hauptidee, dieser folgte einem Troße gleich, ein Meer von furchtbaren Enttäuschungen.
Also darum hatte Baerle sein Haus erhöht, nun einen großen, lustigen Raum zur Aufbewahrung der zarten Pflanzen und Zwiebel zu erhalten; ihm hatte er einen halben Grad Wärme genommen, und dadurch die ganze, so thätig wirkende Sonnenhitze erhalten. Da waren Luftlöcher und Ventilatoren angebracht, künstliche Wasserleitungen reihten sich an dieselbe, durchsichtige Fensterrahmen, erhöhten oder