Flusenflug. Peter Maria Löw
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Unser erster Gang führte uns zum Deutschen Institut für Bautechnik und, weil wir dort wohl nicht als ganz so bedrohlich empfunden wurden, erhielten wir schon nach zwei Wochen die bautechnische Genehmigung, auf die die kanadischen Vorgänger ein paar Jahre vergeblich gewartet hatten. Unser treuester und zuverlässigster Mitarbeiter wurde ein ehemaliger Stasi-Betriebsoffizier, der getreu dem Motto »Wes Brot ich ess, des Lied ich sing« seinen neuen Herren seine Dienste in alter, bewährter Manier andiente, die wir auch gerne annahmen.
Die Geschäfte liefen durchaus erfreulich an. Aufgrund der unglaublichen Dämmeigenschaften unserer Paneele konnten wir z. B. am Südpol eine Forschungsstation errichten. Aber auch die deutlich weniger spektakulären, jedoch aufgrund ihrer Menge deutlich lukrativeren Familienhausprojekte nahmen immer mehr an Fahrt auf. In der Branche gelangten wir mit unseren innovativen Verfahren und der High-Tech-Produktion zu einer gewissen Berühmtheit. Wir bauten ganze Siedlungen und gerade im Osten war die Akzeptanz unserer Produkte enorm hoch. Die Umsätze stiegen und wir konnten die Belegschaft mehr als verdoppeln. Nach einem Jahr waren wir bereits Weltmarktführer für selbsttragende Dämmpaneele mit einem inzwischen zweistelligen Millionenumsatz.
Da kam wie aus dem Nichts ein amerikanischer Finanzinvestor, Allen Case, daher. Er sprach uns an und verkündete breitschultrig, er werde jetzt die TEK Dach und Wand von uns kaufen. Er wolle damit ganz groß in den USA rauskommen und dann die ganze Welt beliefern. Nun gut, dachten wir, uns würde es reichen, wenn er nur die Firma bezahlen könnte. »Money is not the problem« war sein Mantra, das er gebetsmühlenartig vortrug, während er uns mit allerlei Giveaways39 eindeckte. Als Kaufpreis wurden schnell DM 10 Mio. vereinbart. Die Notarverträge waren ausgearbeitet. Allen Case erklärte sich großzügigerweise bereit, die Notarkosten zu übernehmen. Dann war der Notartermin. Doch wer nicht erschien, war Allen Case! Er kam nicht nur nicht, sondern blieb von da an komplett verschollen. Kein Anruf, kein Schreiben wurde mehr beantwortet. Unsere Nachforschungen ergaben, dass es sich wohl um einen Hochstapler gehandelt hatte, der nicht seinen ersten Deal platzen ließ. Das war natürlich ein wenig peinlich für uns. Ärgerlich war aber auch, dass wir nicht nur unseren erhofften Kaufpreis abschreiben mussten, sondern auch auf den gesamten Notarkosten sitzenbleiben sollten. Allen Case hatte zwar dem Notar mitgeteilt, dass er alle Kosten trage, aber ohne Case griff die gesamtschuldnerische Haftung und da waren wir beide eben dran. Fast jedenfalls, denn ich teilte dem Notar mit, dass unser Minderheitsgesellschafter, der EGIT, diese Rechnung zahlen würde. Als die Zahlungsaufforderung des Notars mit Ankündigung der Vollstreckung in London ankam, wurde tatsächlich flugs der gesamte Betrag gezahlt. Mit solchen Kleinigkeiten wollte sich der EGIT wohl nicht aufhalten. Das Case-Spektakel jedenfalls war dem EGIT dann zu viel. Der Trust verkaufte uns seine 20 Prozent-Anteile an der TEK Dach und Wand für DM 200 000.
Kurz darauf gelang es uns, die gesamte Firma an den vergleichsweise hochseriösen, irischen, börsennotierten Konzern Kingspan zu veräußern, der uns einen Kaufpreis von DM 6 Mio. zahlte. Zwar keine DM 10 Mio., aber dennoch ein schönes Ergebnis. Kingspan betrieb die Anlage am Standort Klosterfelde, weitete sie deutlich aus und begann dann dieses Fertighauskonzept nach Großbritannien und Irland zu exportieren.
Es war das Jahr 1996. Wir jedenfalls waren wieder um einige Erfahrungen reicher. Bewährt hatte sich einmal mehr der Plan, Unternehmen zu erwerben, zu restrukturieren und zu verkaufen. Vermisst haben wir noch lange die beiden Dampfloks, mit denen wir wie Lukas der Lokomotivführer auf dem Betriebsgelände auf und ab gefahren waren; ein Kindheitstraum, der wahr geworden war.
Inzwischen hatten wir nach der System Kopie AG bereits wieder eine neue Holdinggesellschaft gegründet, die Certina AG. Unsere Firma in Selmsdorf hatten wir ja bereits Certina40 genannt. Mir gefiel dieser Name und das zugehörige Logo, das ich mir bei einem guten Rotwein ausgedacht hatte, so gut, dass ich beides weiter nutzen wollte. So entstand die Certina AG. Da die Geschäfte gut liefen und wir hoch hinaus wollten, musste nur noch ein deutlich größeres und schöneres Büro her. Wir richteten uns im Luitpoldblock in München direkt neben dem späteren Literaturhaus ein. Das Büro im 3. Stock hatte jetzt schon 350 m2 und freien Blick über den Wittelsbacher Platz hin zum Palais Ludwig Ferdinand, wo der Vorstand der Siemens AG residierte. Dass dort in der Nazizeit die Gestapo ihr rüdes Regiment ausgeübt hatte und mein Großvater dort mehrmals intensiv verhört worden war, spielte keine Rolle mehr. Wir wollten, wie einst die Gründer von Siemens, zu einem großen Konzern aufsteigen.
Schon der 100 m2 große Empfangsbereich sollte dem Besucher diesen Eindruck vermitteln. Hier ließen wir aus den bewährten (und kostengünstigen) TEK-Paneelen einen repräsentativen Empfangstresen – eher eine ganze Empfangsinsel – aufbauen. Auf dem Teppichboden grüßten Zitate des Kleinen Prinzen von Saint-Exupéry, natürlich in Französisch. Und auf Marmorsäulen thronten wie Beutestücke aus einem Feldzug Exponate aus den von uns erworbenen Firmen. Am Anfang waren es noch wenige, am Schluss glich das Ganze etwas einer Wanderausstellung des Deutschen Museums. Und als Krönung gönnten wir uns einen Raum, in dem wir ein Solarium aufstellten. Denn nur ein gesund aussehender Körper kann große Taten vollbringen.
37Ein Kombinat (lat. combinatus ›vereinigt‹, über russ. комбинат), manchmal auch Großkombinat genannt, ist ein Zusammenschluss von produktionsmäßig eng zusammenarbeitenden Industriebetrieben zu einem Großbetrieb in sozialistischen Staaten (Wikipedia).
38Volkseigener Betrieb.
39Werbegeschenken.
40Certina Modulproduktion GmbH.
Das 9. Abenteuer Die schwarze Witwe
Nachdem ich nun die Büromaschinenbranche aufgemischt und den Osten über den Todesstreifen bis hin zu einem Kombinat erkundet hatte, dachte ich, es sei jetzt Zeit für ein Resümee. Dass ich keinerlei Bankfinanzierung außer operativer Dispolinien41 in Anspruch nehmen wollte, hatte ich bereits nach A + L beschlossen. Dass ich kein Branchenkonzept verfolgen wollte, sondern plante, rein opportunistisch unterwegs zu sein, hatten mir meine Erfahrungen als Europas größter Minolta-Händler gezeigt. Dass ich mich als Immobilienentwickler nicht ausreichend gefordert fühlte und meine Renditeerwartungen dort auch nicht wirklich erfüllt worden waren, hatte mich das Projekt Selmsdorf gelehrt. Mit der TEK Dach und Wand andererseits hatte ich ein pleitegegangenes Kombinat wieder zu neuem Leben erweckt, zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen, war Weltmarktführer geworden und hatte letztlich damit gutes Geld verdient.
Jetzt begann ich darüber nachzudenken, unter welchen wiederkehrenden Bedingungen ein Firmenkauf besonders lukrativ sein könnte. Das war immer dann der Fall, so stellte ich bei meinen Überlegungen fest, wenn die Ausgangssituation besonders verwirrend oder kompliziert war, wenn das Akquisitionsobjekt sich nicht mehr im Bereich eines »Business as usual«42 befand, wenn die Schieflage des Unternehmens nicht auf dem Produkt oder dem Marktumfeld, sondern vor allem auf Fehleinschätzungen und Führungsfehlern des Managements beruhte. Bei Vorliegen dieser Bedingungen war aus meiner Sicht die Chance auf einen erfolgreichen Turnaround besonders groß.
Also musste ich systematisch gerade nach solchen Unternehmen suchen, bei denen ein schlechtes Management ein besonders hohes Potential hatte, viele Fehler zu machen. Dies waren nach meiner Analyse Unternehmen mit hoher