Flusenflug. Peter Maria Löw

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Flusenflug - Peter Maria Löw

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dass sie es merken«.

      1Turnaround (engl.): Wirtschaftliche Kehrtwende von einer Verlustsituation zur Profitabilität.

      2Disclaimer (engl.): Erklärung des Haftungsausschlusses.

      3Unabhängige Übersetzung.

       Die Ameise

      Es war zunächst nur ein kaum wahrnehmbares Zittern im Sand. Das kleine runde Steinchen, keinen Zentimeter im Durchmesser, erbebte ganz sachte. Dann war wieder Ruhe. Unmerklich begann es nun zu wippen, vor und zurück, immer mehr und immer weiter, bis, ja, bis die Bewegung in ein leichtes, holpriges Rollen überging. Auf einmal lag es wieder ruhig, das zackige Kügelchen. Eine trügerische Ruhe. Hinter dem Steinchen erschien eine winzige, umso emsigere Ameise, viel kleiner als der für sie eigentlich zu riesige Stein. Den Hals reckend spähte sie über den Kiesel, als wolle sie die vor ihr liegende Wegstrecke vermessen, die »Unterkiefer« in dauernder, fast gleichmäßiger Bewegung, wie ein wissenschaftliches Werkzeug, ein Metronom. Mit vollem Körpereinsatz stemmte sie sich schließlich gegen den übermächtigen Fels. Wieder setzte das rhythmische Wippen ein und erneut rollte der Stein eine ganz kleine Weile. Was wie das Werk eines Sisyphos anmutete, entpuppte sich als durchaus zielstrebiger Versuch dieses kleinen Wesens, etwas in dieser Welt vollbringen zu wollen. Was beabsichtigte diese Ameise, was bildete sie sich eigentlich ein? Ich spürte ob der Hybris etwas wie Wut in mir aufsteigen. War die Aufgabe nicht viel zu groß, der kleine Körper viel zu schwach? Hieß es nicht »Schuster, bleib bei deinem Leisten«? Kam Hochmut nicht immer vor dem Fall? Und dann diese Ameise, ich konnte einfach meinen Blick nicht von ihr lassen.

      Eine zweite Ameise gesellte sich hinzu. Mit vereinten Kräften wurden jetzt die Bewegungen dynamischer. Das Steinchen hatte bereits ein Mehrfaches seiner Größe zurückgelegt. Mein Blick schweifte anerkennend über den Boden und entdeckte erst jetzt die unscheinbare, schier endlose Ameisenstraße. Wie ein Äderchen führte sie in die Ferne aus dem Biergarten des Nockherbergs hinaus und weiter in eine unbekannte Welt mit einem unbekannten Ziel. Die zwei Ameisen waren auf einmal viele, alle gemeinsam unterwegs, die Welt ein wenig zu verändern.

       Die Anfänge oder Vom volkswirtschaftlichen Nutzen eines Biergartens

      Unzählige fröhliche Stimmen schwirrten durch die Schwüle dieses Märznachmittags am Ende der Fastenzeit. Der Nockherberg war zu dieser Jahreszeit ein ganz besonderer Ort. Hier versammelten sich die »echten« Münchner an den Tagen nach dem Starkbieranstich bis zum Beginn der Karwoche am Palmsonntag. Der Andrang war, wie in den Jahren zuvor, groß. Überall regte sich etwas. Schon von Weitem sah, hörte und roch man die gute Laune dieses außergewöhnlichen Ortes. Mein Blick schweifte gelassen umher.

      Ein junger Mann trug auf einem wackligen Stuhl stehend etwas wie ein Gedicht vor. Eine alte Frau führte den schweren, steinernen Bierkrug mit leicht zitternden Armen zum Mund. Und eines Teils seiner Last entladen bewegte sich der Humpen der Schwerkraft folgend zum Tisch zurück, nicht ohne ein seliges Lächeln im Gesicht der Alten zu hinterlassen. Vom Spielplatz her tönten die Schreie, die nur von spielenden Kindern erzeugt werden können, und die für alle, die Kinder haben, wie reine Musik trotz oder gerade wegen aller ihrer Dissonanzen klingen und künden: die Kinder sind glücklich! Eine Gruppe Jugendlicher hatte wie eine Kriegsbeute einen vollen Maßkrug ergattert und fiel wolfsrudelgleich darüber her. Ein Tisch war von einer reinen Damengruppe belegt, die die prüfenden Blicke der strammen Burschen sichtlich genoss und durch fröhliches Gekichere und absichtsvolle Tapsigkeit nur noch mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen suchte.

      Es war ein wirklich schöner, warmer Nachmittag. Die Fastenzeit, die mit dem Aschermittwoch begonnen hatte und mehr als vierzig Tage bis zum Osterfest dauern sollte, neigte sich dem Ende zu. Natürlich hatten auch wir unsere Fastengelübde abgelegt und einen kleinen Verzicht mit dem lieben Gott vereinbart. Das bedeutete auch: keinen Alkohol. Doch als schlaue Juristen, als welche wir zwei Herren Rechtsassessoren uns wähnten, hatten wir im Vorfeld bereits gut verhandelt. Für einen Tag in der Fastenzeit, so hatten wir dem lieben Gott vorgeschlagen, nur für einen einzigen Tag in der Fastenzeit hatten wir vorab einen Dispens erbeten, einen Tag, an dem wir etwas Alkoholisches trinken durften. Aber dann natürlich auch nur etwas, was die Mönche zum Fastengetränk erhoben hatten, das Fastenbier, der Salvator, natürlich dem Höchsten, dem Retter der Menschheit zur Ehre. Dagegen, da waren wir uns sicher, hatte auch der liebe Gott nichts einzuwenden, er war ja einer von uns. Und dieser Tag des Fastenbrechens war heute.

      Da saßen wir nun im April des Jahres 1992 zusammen mit den zwei vollen und den vier leeren Humpen, die aus unerklärlichen Gründen noch nicht abgeräumt waren, so als wollten sie neugierig dem beiwohnen, was noch alles geschehen sollte.

      Dem Alkohol kann man zu Recht viele nachteilige Eigenschaften zuschreiben und man kann nicht genug davor warnen. Ohne Zweifel führt ein zu großer Konsum zu schweren gesundheitlichen Folgen. Dennoch, wenn Hemmungen fallen, der Mensch seine Wälle verliert, die er zum Schutz des eigenen Selbst aufgerichtet hat, dann führt der Genuss manchmal auch dazu, dass das Innerste freigelegt wird, dass der Mensch zu sich findet und das sagt, was er schon immer sagen wollte, was bis dahin aber hinter Verhaltensbergen und Regelabgründen verborgen gewesen war. Viele wollen den Weg zu sich selbst über Yoga oder Meditation finden, und manche finden ihn dort vielleicht auch, doch die gewonnene Erkenntnis bleibt meist ungesagt, ist ein Geschäft, das man nur mit sich alleine abschließt. Der geniale Gedanke verrinnt, ohne dass er geäußert wird, ohne dass er vom anderen aufgenommen, weitergesponnen und gemeinsam zu etwas Besonderem gemacht werden kann.

      Martin

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