Der Krieg der nie zu Ende ging. Will Berthold

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Der Krieg der nie zu Ende ging - Will Berthold

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alberten miteinander, und ich hoffte, daß ich mich in gleicher Situation etwas interessanter benehmen würde. Der Dialog war lächerlich, aber jedenfalls mehr sexuell als subversiv. Dann machten sie mich zum Voyeur wider Willen, und ich erinnerte mich an das Dichterwort: „Und die Sächsin wirtschaftet, bis das Bett kracht.“ Ich fragte mich, von wem es stammte, es fiel mir nicht ein.

      Ich starrte zum Fenster hinaus, auf den jetzt leeren Platz vor dem Hotel. Eine gepflegte Anlage wurde durch ein häßliches Transparent verunstaltet: Ewige Freundschaft mit der Sowjetunion – das ist der Herzschlag unseres Lebens.

      Die DDR ist nicht arm an solcherlei Sinnsprüchen. Mochten sich seit dem Einmarsch der Roten Armee die Verhältnisse in Mitteldeutschland konsolidiert haben: Die Vergewaltigung der deutschen Sprache gehörte weiterhin zum schlechten Ton.

      Auf einmal wußte ich, daß das Wirtschafterinnen-Zitat von Kurt Tucholsky stammte. Es änderte nichts daran, daß ich allein war und mir mit zunehmenden Pausen vorführen lassen mußte, wie stürmisch die Zweisamkeit sein kann.

      Für mich war der Fall erledigt. Es war nicht meine Sache, herauszubekommen, wer Metzler diese mobile Puppe ins Bett gelegt hatte. Selbst wenn sie für das „Ministerium für Staatssicherheit“ arbeitete, war sie jedenfalls voll bei der Sache. Einer von Pullachs Top-Agenten hatte sich einen Verstoß gegen die lebenserhaltenden Regeln des Untergrunds erlaubt. Das war bedauerlich, aber vielleicht auch unvermeidlich.

      Wir hatten einen Ansatzpunkt für weitere Ermittlungen.

      Ich schlief ein, wachte auf, und stellte fest, daß nebenan jetzt auch Bettruhe herrschte. Kurz nach sechs Uhr holte ich meinen Transistor aus der Tasche, klemmte mir den Hörer ins Ohr und schaltete auf eine von Berlins geheimen Kurzwellen. Die flotte Musik brach plötzlich ab. „Achtung, Solist“, sagte ein Sprecher in englisch: „Das Rennen fällt heute aus. Ich wiederhole: Achtung, Solist! Das Rennen fällt heute aus.“

      Solist war für diesen Einsatz meine Tarnbezeichnung, die nur der Colonel kannte. Was er mir sagen ließ, war die Order, sofort die DDR zu verlassen und mich nach West-Berlin abzusetzen. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzugrübeln, was dahinterstecken mochte. Ich wollte mir keinen Regelverstoß erlauben, der noch dazu weniger reizvoll war als Metzlers Extratour.

      Ich brachte die Morgenwäsche hinter mich, rasierte mich. Dann ging ich nach unten. Um Zeit zu sparen, hätte ich nach Berlin zurückfliegen können, aber ich benutzte bei geheimen Ausflügen niemals das gleiche Verkehrsmittel auf derselben Strecke.

      Als ich die beiden Männer sah, die die Halle betraten und auf den Portier zugingen, war ich sofort hellwach. Sie hatten blasse, leere Gesichter, geprägt von Langeweile und Verstellung. Sie trugen durchnäßte Ledermäntel mit hochgeschlagenem Kragen, die so benutzt aussahen, als hätten sie sie von ihren Vorgängern aus der Prinz-Albrecht-Straße direkt übernommen.

      Es waren Stasi-Leute, ich roch das förmlich und hielt mich im Hintergrund.

      „Bei Ihnen wohnt ein gewisser Metzler“, fragte einer der beiden.

      „Ja. Zimmer 705.“ Der Mann wollte beflissen nach dem Hörer greifen, aber der Ledermantel legte die Hand auf seinen Arm.

      „Sie werden ihn nicht anrufen“, sagte er und lächelte schief. „Es soll eine Überraschung sein.“

      Die beiden Männer gingen zum Lift. Ich konnte Metzler nicht warnen, ich konnte in dieser Situation nichts anderes tun als schleunigst zu verschwinden. Einen Moment lang wollte ich mich als Zechpreller betätigen, aber ich durfte nicht unnötig auf mich aufmerksam machen. Ohnedies würden die Stasi-Leute auf meinen Zigarettentrick stoßen, wenn sie ernsthaft nachforschten.

      Ich ging nach draußen. In diesem Moment geschah es – und ich war, eine Nachlässigkeit verfolgend, wieder einmal in eine Tragödie geraten. Später würde man in Kreisen des US-Geheimdienstes behaupten, meine fatale Fähigkeit, überall da zu sein, wo es brennt, hätte sich einmal mehr bewiesen.

      Von oben kamen Schreie. Schüsse.

      Passanten blieben auf der Straße stehen, starrten hinauf zum Fenster des siebten Stocks, hinter dem – undeutlich zu sehen – mehrere Personen in ein Handgemenge verwickelt schienen.

      Sekunden später geschah es: Metzlers massiger Körper flog durch das Fenster. Sie schossen ihm nach, schienen ihn im Fall noch getroffen zu haben, aber das war unerheblich, denn er schlug als blutiger Klumpen auf dem Gehsteig vor dem Hochhaus auf, bettwarm in den Tod gesprungen.

      Es war ein schauriges Bild: Zwei Meter über dem, was von Metzler noch geblieben war, hing – weiße Schrift auf rotem Grund – eine Wandparole: Der Sieg der Werktätigen wird den Kapitalismus zerschmettern.

      Einen Moment lang stand ich wie gelähmt unter den Gaffern, aber ich verlor die Nerven nicht. Ein eiliger Rückzug wäre jetzt nur auffällig gewesen. Immer neue Zaungäste der Sensation strömten herbei, liefen von allen Seiten zusammen, mühselig von den Vopos gebändigt.

      „Auseinander, Leute!“ sagte einer der Uniformierten. „Hier gibt’s gar nichts zu sehen.“ Er fuchtelte mit den Armen, aber keiner der Passanten wich zurück, obwohl sonst in Ostdeutschland der Respekt vor der Polizei groß ist. Die Vopos schwammen hier gegen den Strom. Jedenfalls war die Neugier noch kein Republikflüchtling. „Eine Familientragödie“, bequemte sich einer der Polizisten schließlich zu einer Erklärung, „nichts weiter.“

      So konnte man es auch nennen, und ich fragte mich in diesem Moment, ob ich schon einmal eine ehrlichere Lüge gehört hätte. Sie deckten den Toten zu und bargen ihn kurze Zeit später in einer Blechwanne. Arbeiter der Straßenreinigung trockneten mit Sägespänen die Blutlache und fegten die Aufschlagstelle wieder sauber.

      So sah der Start des Unternehmens „Flyaway“ aus, und die erste Stufe war verlaufen wie der abgeschmackte Witz: Operation gelungen, Patient tot.

      Was die Volkspolizei nicht schaffte, erreichte der Regen; er trieb den Menschenauflauf auseinander. Ich ließ mich in einer Passantengruppe zum Parkplatz spülen, postierte mich wie auf der Flucht vor der Nässe unter einem Vordach und ging erst an den „Trabant“ heran, als ich sicher sein konnte, daß ihn keiner beobachtete.

      Ich sah niemanden, der sich für mein Auto interessierte.

      Ich stieg ein, fuhr los, diesmal sorgfältig darauf bedacht, mich nicht zu verfahren. Ohnedies ist es leichter, eine fremde Stadt zu verlassen, als sich in ihr zurechtzufinden.

      Der Mann, den wir Paul Metzler nannten und der natürlich ganz anders hieß, war rehabilitiert – um einen furchtbaren Preis, ob er nun in einer Kurzschlußhandlung oder bewußt aus dem Fenster gesprungen war. Es war die brutalste und sauberste Lösung: Die Stasi-Männer konnten ihn nicht mehr vernehmen, nicht mehr quälen, nicht nach Bautzen schaffen oder ihn mit einem Lockangebot „umdrehen“.

      Ich war zugleich erleichtert wie schockiert, ich schmeckte Blut statt Speichel in meinem Mund.

      Der „Trabant“ hatte die Ausfahrtstraße erreicht. Ich fuhr auf den Zubringer zur Autobahn München–Berlin. Die Interzonenstrecke war zwar am schärfsten bewacht, aber auf ihr würde man mich am wenigsten vermuten, so man mich suchte.

      Wurde ich bereits gesucht?

      Es hing davon ab, ob die beiden Ledermäntel den Fall Metzler gründlich untersuchten. Es war klar, daß ihre Dienststellen den Gehlen-Mann lieber lebend gegriffen hätten als tot. Ich mußte damit rechnen, daß die Vorgesetzten der beiden

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