Der Krieg der nie zu Ende ging. Will Berthold

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Der Krieg der nie zu Ende ging - Will Berthold

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die Falle für ihn aufgebaut hatte und wie lange und woher er sie kannte, aber wenn er unvorsichtig gewesen war, würden sie auch auf Deschler kommen, und von Deschler dann auf Megede stoßen.

      Hier drohte mir eine weitere Gefahr, denn der kleine Sachse arbeitete gleichzeitig für Pullach und für uns. Trotz peinlicher Geheimhaltung ließ sich nicht ausschließen, daß er bei der Agency Dinge erfahren hatte, die nur drei oder vier Personen in Deutschland bekannt sein sollten: daß Bonn zur Aufdeckung unerklärbarer Ereignisse im Bundesnachrichtendienst die Hilfe von US-Spezialisten aus Washington in Anspruch nahm. Wenn sie Megede gefaßt hätten und ihre verdammten Methoden anwandten, die so brutal sein konnten, daß sie noch Steine zum Reden brachten, wäre ich auch noch von dieser Seite her gesehen in Gefahr. Aber falls Megede überhaupt etwas wußte, hätte er bis jetzt bestimmt noch geschwiegen, es sei denn, er wäre ein Überläufer. Auch damit mußte man rechnen, deshalb arbeiten auch die westlichen Geheimdienste nach des Leipziger Wahlbürgers Lenin Devise: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

      Das Mißtrauen war mir so eingedrillt, daß ich mich gelegentlich beim morgendlichen Rasieren im Spiegel selbst schon schief ansah. Das war natürlich übertrieben, aber sonst hielt ich mich peinlich an die Spielregeln der unsichtbaren Front. Es war die einzige Lebensversicherung, die es für mich gab, mit sehr viel Kleingedrucktem. Von dem „Trabant“ ging keine Gefahr aus, aber ich würde ihn doch kurz vor Berlin stehen lassen und dann sehen, wie ich weiterkäme.

      Dicker Regen prasselte gegen die Windschutzscheibe. Von Sommer keine Rede, er war auch schon zur Legende geworden. Ich schaltete das Radio ein, hörte die Nachrichten. Leipzig wurde nicht erwähnt. Ich suchte die von der CIA genutzte subversive Kurzwelle Berlins.

      Keine weitere Weisung.

      Ich fuhr durch Wittenberg, die Luther-Stadt an der Elbe, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem rauchigen Industrierevier geworden war. Ich passierte die Stadtkirche Sankt Marien, in der der Reformator einst gepredigt hatte. Ich entschloß mich, einen kleinen Umweg einzulegen in Richtung Magdeburg. Sicher ist sicher. Kurz vor Erreichen der Bürde fuhr ich in einer hakenförmigen Absatzbewegung über die Landstraße 246-A in Richtung Potsdam weiter.

      Ich sah eine große HO-Raststätte, die offensichtlich von Fernlastfahrern genutzt wurde. Ich einem spontanen Entschluß dirigierte ich den „Trabant“ in eine Parklücke, um ein spätes Frühstück zu mir zu nehmen. Ich stieß auf das obligate Transparent und stellte fest, daß die Mitteilung: Plaste und Elaste aus Schkopau diesmal schiere Erholung war.

      Auch „die Zone“ hatte längst ihr Wirtschaftswunder und war dabei, die zehntgrößte Industriemacht der Welt zu werden. Sie hatte es schwerer gehabt als der Westen, weil von den Sowjets alles demontiert worden war, was sich bewegen ließ. Die erste Produktion in den volkseigenen Betrieben (VEB) war entsprechend gewesen. Damals war es vorgekommen, daß die Kühlschränke heizten und die Elektroöfen froren. Aber sechzehn Jahre nach Kriegsschluß hatte sich der Lebensstandard seit der Stunde Null erheblich gebessert. Ich kannte die Verhältnisse bestens, wenn auch bislang nur vom Schreibtisch her. Ich hatte die Produktionszahlen im Kopf, die Schlagkraft der Nationalen Streitkräfte, das Parteichinesisch war mir geläufig, mit seinen unerträglichen Abkürzungen, und ich wußte auch, daß der Staatssicherheitsdienst – im Volksmund Stasi genannt – nach offizieller Angabe über 17000 feste Mitarbeiter und über 100000 IM’s (inoffizielle Mitarbeiter) verfügt, wie man die ehrenamtlichen, wenn auch nicht ehrenwerten Spitzel nennt.

      Sicher waren die Menschen in der DDR meistens schlechter angezogen als ihre Landsleute im Westen und wirkten eher satt als übersättigt, aber wenn sie nicht über das Wetter wetterten oder über ihre Regierung, dann kamen die gleichen Sorgen, Nöte, Freuden und Hoffnungen zum Vorschein wie überall auf der Welt, auch wenn politisch Welten zwischen Ost und West liegen. Beim Betreten der HO-Raststätte hörte ich wieder den Witz über den Unterschied – „Im Kapitalismus beutet der Mensch den Menschen aus, im Sozialismus ist es genau umgekehrt“, sagte der Fernfahrer lachend zu seinem Kumpel.

      Der schmucklose Raum war voll besetzt. Schmutzige Tischdekken, fettes, aber geschmackloses Essen, das die Propaganda-Bekundungen zu bestätigen schien, die DDR-Bürger verzehrten mehr Butter als die Bundesbürger. Das mochte stimmen – aber deswegen war im Osten noch lange nicht alles in Butter.

      Ich ließ mein Auge eine Weile durch den Raum schweifen, endlich fand ich einen Platz.

      Dann wartete ich auf den Kellner. Ich wartete lange. DDR-Kellner sind notorisch mürrisch, denn die Abschaffung des Trinkgeldes gehörte zu den sozialistischen Errungenschaften und war doch nur eine Ausrede für Geizkrägen, denn Trinkgelder wurden auch weiterhin gegeben und genommen, selbst von Kellnern mit dem sed-Partei-Abzeichen.

      Der Ober pflügte sich endlich heran. Er hatte seinen Daumen tief in meiner Terrine und trug eine speckige Jacke, alles in allem ein nicht gerade appetitanregender Anblick.

      „Junge, Junge“, sagte einer der Blaukittel, die am Tisch saßen, „deine Montur mußt du auch mal wieder teeren lassen, damit das Weiße nicht rausschaut.“ Er tippte sich an die Stirne: „Weltniveau“, spottete er.

      „Beschweren Sie sich beim Objektleiter, wenn Ihnen etwas nicht paßt“, erwiderte der Kellner pampig.

      „Und nehmen Sie den Daumen aus meiner Brühe“, schaltete ich mich ein.

      „Mensch, Kumpel“, wandte sich der Mann am Tisch lachend an mich, „sei doch froh, haste wenigstens ’nen Brocken Fleisch drin.“

      Sie lachten dröhnend. Dann wurde das Radio laut aufgedreht. Radio DDR sandte Nachrichten. Nach den ersten Worten wußte ich, daß der fade Erbseneintopf, der vor mir dampfte, doch noch gewürzt würde.

      „Berlin“, sagte der Sprecher mit gehobener Stimme. „Sicherheitskräften des Ministeriums für Staatssicherheit ist es heute im schlagartigen Zugriff wiederum gelungen, einen imperialistischen Agentenring zu zerschlagen. Drei Spione der Gehlen-Organisation wurden verhaftet; einer von ihnen ist in Leipzig bei einem Schußwechsel bei der Festnahme ums Leben gekommen.“ Nach einer Kunstpause setzte der Sprecher mit schmetternder Stimme hinzu: „Zur Stunde läuft auf dem gesamten Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik eine Sonderfahndung nach den Hintermännern der faschistischen Provokateure an, an der Tausende von Beamten der Volkspolizei teilnehmen. Gesucht wird ein weiterer Gehlen-Spion, der sich für den DDR Bürger Fritz Stenglein ausgibt. Dieser Mann ist etwa fünfunddreißig Jahre alt, einen Meter achtzig groß. Er hat ein glattes Gesicht, gescheitelte Haare und blaue Augen. Er spricht Schriftdeutsch mit Berliner Akzent, trägt eine braune Lederjacke zur grünen Hose. Hinweise nimmt jede Dienststelle der Volkspolizei oder direkt das Ministerium für Staatssicherheit entgegen.“

      Die Schrecksekunde hatte ich mir wegtrainiert, die Jacke gewechselt, das Aussehen verändert. Der braune Lumberjack ruhte mit Stengleins Ausweis auf dem Grunde eines idyllischen Waldsees; ich trug jetzt einen grauen Pullover. Ich bin nur einen Meter achtundsiebzig, und meine Augen sind grau und nicht blau – aber das ändert nichts an der Tatsache, daß der Weg nach Berlin noch weit war und daß ich mich quer durch Vopos- und SSD-Streifen kämpfen mußte. Einen Moment lang hatte ich den Eindruck, alle im Saal würden mich anstarren. Ich befürchtete, daß sich auf meiner Stirn Schweißtropfen bilden würden – es war natürlich purer Nonsens.

      „Diese Faschistenschweine“, sagte der Arbeiter, der mir gegenüber saß.

      „Aber jetzt sind sie arme Hunde“, warf sein Kumpel mit einem Achselzucken ein.

      „Geschieht ihnen ganz recht“, erwiderte der Blaukittel. „Die haben bei uns nichts zu suchen. “

      „Und was ist mit den Leuten, die wir nach drüben schicken?“ fragte sein Widerpart.

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