Fontanes Kriegsgefangenschaft. Robert Rauh
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Fontanes Optimismus, mit einem blauen Auge davonzukommen, hatte noch einen weiteren Grund. Den er in Kriegsgefangen nicht verrät und der nur indirekt aus seiner Korrespondenz hervorgeht. Die Capitaines gestatteten dem Gefangenen, Briefe zu schreiben. Diese Chance nutzte Fontane, um seine Frau nicht nur über seine Gefangenschaft zu informieren, sondern ihr detaillierte Anweisungen zu geben, wer zu kontaktieren sei, um die französische Regierung wissen zu lassen, dass er nichts weiter als ein Schriftsteller pur et simple sei, der für sein Buch den Kriegsschauplatz bereist. Vielleicht sei es möglich, sowohl auf irgend einen einflussreichen Kirchenfürsten als auch auf den Justizminister Crémieux und Außenminister Favre einzuwirken.
Außerdem informierte er Emilie am Ende des Briefes, an Crémieux selbst eben ein Telegramm gerichtet zu haben.[10] Darin teilte Fontane dem Justizminister auf Französisch mit, ein enger Freund von Professor Lazarus und ein Autor wie er zu sein[11] – und beteuerte seine Unschuld: Er sei ein Schriftsteller und kein preußischer Offizier.[12] Sicherheitshalber wandte sich Fontane auch gleich an Lazarus, um ihn zu bitten, er möge ihn an Crémieux empfehlen und auf den Wert seiner Werke, insbesondere der Kriegsbücher von 1864 und 1866, hinweisen. Sein Metier sei die Geschichte.[13]
Während sich Fontane in Kriegsgefangen also als ein Häftling darstellt, der den lokalen Behörden ausgeliefert war und der sich für die Verteidigung ausschließlich auf seine Integrität und seine Überzeugungskraft verlassen musste, war er tatsächlich selbst schon aktiv geworden. Bereits 24 Stunden nach seiner Festnahme mobilisierte Fontane genau den Personenkreis, der sich später für ihn einsetzen würde. Was er nicht wusste: Seine Briefe an Emilie kamen in Berlin zunächst nicht an. Es bedurfte jedoch keines Anstoßes, denn die Freunde bemühten sich unaufgefordert um seine Freilassung.
Im Anschluss an das Verhör wurde er in ein graues schlossartiges Gebäude geführt und einer neuen Obhut übergeben. Monsieur Bourgaut, der den Gefangenen in Empfang nahm, plapperte fortwährend mit halblauter Stimme lange Sätze vor sich hin, die Fontane nicht verstand. Er brachte ihn in ein geräumiges, in allem übrigen aber seinen Erwartungen wenig entsprechendes Zimmer. Das breite Fenster war dicht vergittert, die Dielen zernagt oder durchgetreten, und in einem zweihandgroßen Loch des zugemauerten Kamins lagen abgenagte Knochen. Als Fontane an das Fenster trat und durch die Gitterstäbe hinunterblickte, musste er den letzten Rest der Vorstellung aufgeben, dass er sich in einer Kaserne befände. Und ein letzter Funken Hoffnung erlosch vor der Nachtruhe, als Monsieur Bourgaut noch einmal vorbeischaute, ihm den Abendtee servierte und ihn dann mit einer Hiobsbotschaft um den Schlaf brachte. Er nahm eine gewisse feierliche Haltung an und erklärte, um vieles deutlicher und akzentuierter als gewöhnlich, dass der Brigadegeneral morgen früh in Gegenwart der zivilen und militärischen Autoritäten über sein Schicksal entscheiden werde. Obwohl die letzten Worte einen ziemlich finstren Klang hatten, kam der völlig erschöpfte Fontane nicht zum Nachdenken, sondern schlief zunächst ein.
Mitten in der Nacht fuhr er auf. Der unruhigen Seele, die bis dahin vergeblich den wie tot Schlafenden gerüttelt und geschüttelt hatte, gelang es, ihn jetzt plötzlich ins Leben zurückzuholen.
Fontanes Rettungsformel
Die Ankündigung, morgen werde über sein Schicksal entschieden, schoss Fontane immer wieder durch den Kopf. Eine furchtbare Angst ergriff ihn, und mit übergeschäftiger Phantasie fing er an zusammenzuaddieren, was gegen ihn sprach. Es gab eine hübsche Summe. Erstens hatte man Waffen bei ihm gefunden, zweitens hatte er – nach Auffassung der Franzosen unberechtigt – eine Rot-Kreuz-Armbinde getragen, die nur dem Sanitätspersonal erlaubt war. Und drittens sprachen seine Legitimationspapiere, die alle mehr oder weniger auf Anrufung der preußischen Militärautoritäten zu seinem Schutz hinausliefen, mehr gegen als für ihn. Wie federleicht wogen dagegen seine Notizbuchaufzeichnungen, die alles waren, was er direkt und unverzüglich zu seiner Verteidigung beibringen konnte! Fontane sah nur schwarze Kugeln in die Urne fallen und – mon sort fut décidé [mein Schicksal war entschieden].
Eine halbe Stunde oder vielleicht länger lag er da wie betäubt. Dann besiegte er die erneute Todesangst mit einem für ihn ungewöhnlichen Hilferuf: Ich war fertig mit allem und bat Gott, mich bei Kraft zu erhalten und mich nicht klein und verächtlich sterben zu lassen. Es spricht für den nicht streng gläubigen Fontane, dass er von seinem Flehen um göttlichen Beistand erzählt. Nach der Schilderung seines Gebets jedoch fährt er in seinem charakteristischen Plauderton fort: Genug davon. War es Erschöpfung, oder war es die Ruhe vollster Erregung, – ich schlief wieder ein.
Als Fontane im Morgengrauen erwachte, stand plötzlich für ihn fest, dass alles davon abhänge, einen wenigstens vorläufigen Beweis zu führen, dass er kein preußischer Offizier sei. Um vier Uhr begann er ein Memoire zu schreiben, mit dem er den Beweis seiner Nichtmilitärschaft bis zur Evidenz zu führen gedachte. Um Acht Uhr war er fertig und eine Stunde später lag sein Papier dem General vor. Fontanes Rettungsformel hieß nun: »Donnez-moi du temps et vous me donnez tout« [Geben Sie mir Zeit, und Sie geben mir alles].
Und sie schien zu wirken: Der Vormittag verging, der Nachmittag, der Abend. Die zivilen und militärischen Autoritäten waren nicht zusammengetreten, um mit dem Brigadegeneral über sein Schicksal zu entscheiden. Es fiel mir wie eine Last von der Brust, bekennt Fontane. Zur Beruhigung trug auch ein zappelmännischer Mr. Bourgaut bei, der ihm beim Servieren des Abendtees zuflüsterte, alles werde gut. Auch der nächste Tag, der 8. Oktober, verging ohne Kriegsgericht. Fontane durfte nun annehmen, gerettet zu sein. Er fühlte sich dem Leben wiedergegeben.[14]
Nicht in Kriegsgefangen, sondern in seinem Tagebuch spricht Fontane ohne poetischen Schleier aus, was in diesen zwei Tagen auf dem Spiel gestanden hatte: Man schleppte mich nach Neufchâteau und Langres. Hier war das Todtschiessen nah. Das Gewitter verzog sich aber wieder.[15] Es war jedoch tatsächlich nur eine Atempause. Denn die Entscheidung über sein Schicksal war nur aufgeschoben.
Idyll zu Langres
Obwohl Fontane der Meinung war, seine vollkommenste Unschuld sei evident, konnte sich die Militärgerichtsbarkeit in Langres nicht entschließen, ihm ohne weiteres die Freiheit zurückzugeben. Es geschah, was immer in solchen Fällen zu geschehen pflegt: eine Autorität schob einer andren die Verantwortung zu. Der Brigadegeneral beschloss, den Gefangenen der übergeordneten Institution zu übergeben: der Division, die ihren Sitz in Besançon hatte. Aber bis Fontane überführt wurde, vergingen noch drei Tage. Sie waren sein Idyll zu Langres. Was der neuen Aufgabe geschuldet war, die er von seinem »Gardinenchef« Bourgaut zugewiesen bekam. Fontane avancierte zum Gesellschafter von »Monsieur Louis«, Bourgauts dreizehnjährigem Sohn, mit dem er nun zwölf Stunden des Tages las, lernte und spielte. Dabei kam es zu skurrilen Momenten. Fontane erzählt, wie beide auch eine Art ernsteren Sport betrieben. »Mon cher Louis« zeigte seinem neuen