Die Residentur. Iva Prochazkova

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Die Residentur - Iva Prochazkova

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      „Wo bist du gerade?“, fragte sie.

      „In Znojmo. Ich geh gleich was essen. Zu Hause alles in Ordnung?“

      „Hast du mit Richard gesprochen?“

      „Ich hab ihn angerufen, aber er geht nicht ran. Warum?“

      „Ich glaube, er hat sein Telefon ausgeschaltet. Ich mach mir Sorgen.“

      „Wenn unser erwachsener Sohn sein Handy mal abschaltet, dann bricht doch die Welt nicht zusammen, oder?“, sagte er ironisch.

      „Er ist nicht in der Schule gewesen. Martin auch nicht. Die zwei haben sich irgendwo verkrochen.“

      „Hast du schon mit Veronika gesprochen?“

      „Das hab ich als nächstes vor.“

      „Bestimmt weiß sie was von ihm. Und wenn nicht, dann ruf seine Kumpels an. Ein paar Nummern hast du doch, oder?“

      Sie hatte zig Nummern. Mit krankhafter Sorgfalt notierte sie sich die Kontaktdaten aller Freunde und Mitschüler von Richard. So benahm sie sich schon jahrelang. Genau genommen seit dem Moment, als ihr erster Mann auf einer Landstraße bei Harrachov aus der Kurve gekommen war und innerhalb von Sekunden sein Leben und das ihrer gemeinsamen Tochter beendet hatte. Entsprechend dem Beschluss des Scheidungsrichters durfte er Johanka jedes zweite Wochenende abholen, aber Alena hatte sie ihm diesmal außerplanmäßig mitgegeben. Es herrschte Tauwetter und es war klar, dass schon in ein paar Tagen auf den Pisten im Riesengebirge kein Schnee mehr liegen würde. Johanka hatte sich dieses letzte Skiwochenende mit ihrem Vater regelrecht erbettelt. Seit der Zeit kam Alena keine Maßnahme übertrieben vor, nichts, was ihre Liebsten vor dem hinterlistigen Schicksal beschützen könnte. Štěpán kannte ihre Angststörung und hatte anfangs versucht, sie zu bekämpfen, allmählich war ihm aber klargeworden, dass gegen die Logik ihrer Phobien vernünftige Argumente nicht ankamen.

      „Ich ruf dich gleich an, wenn die Versammlung vorbei ist“, versprach er und fügte eindringlich hinzu: „Vor allem keine Panik. Alles gut.“

      In Gedanken wiederholte sie die zwei Wörter wie eine beruhigende Beschwörungsformel, während sie Veronikas Nummer wählte. Štěpán hatte recht, über ihren Sohn konnte niemand besser informiert sein als seine Freundin. Seine erste richtige Beziehung. Die drei oder vier Mädchen, die vorher durch sein Leben gehuscht waren, hatten keine Spuren hinterlassen, er redete auch nicht über sie. Von Veronika hingegen sprach er gern und mit Begeisterung. „Ich muss mir überhaupt keine Mühe geben, damit ich ihr interessant vorkomme. Sie nimmt mich so, wie ich bin. Und ich sie auch. Wir wollen uns nicht gegenseitig ummodeln. Ist doch super, oder?“ Alena nickte lächelnd und verspürte eine Traurigkeit. Die euphorische Phase der Beziehung, die ihr Sohn gerade durchlebte, konnte nicht ewig dauern. Die Verliebtheit würde früher oder später verfliegen, die Gefühle würden sich vielleicht vertiefen, aber gleichzeitig auch verkomplizieren. Das war immer so, alle Paare mussten da durch. Auch Alena und Štěpán.

      „Ahoj, Alena hier. Stör ich?“

      „Ahoj! Brauchst du was?“ Obwohl sie sich erst vor Kurzem aufs Duzen geeinigt hatten, bereitete das Veronika nicht die geringsten Schwierigkeiten.

      „Ich kann Richard nicht erreichen. Weißt du, wo er ist?“

      „Keine Ahnung.“

      „Habt ihr euch gestritten?“

      „Nein.“

      „Wirklich nicht?“

      „Ich schwör’s.“

      „Hat er dich heute angerufen?“ Ihr fiel auf, dass das wie ein Verhör klang, und sie entschuldigte sich schnell. „Tut mir leid, dass ich dich nerve.“

      „Überhaupt nicht, aber wenn ich nicht in zwei Sekunden im Seminar bin, krieg ich Ärger. Und der wird noch größer, wenn ich mit dem Telefon am Ohr da reinmarschiere.“

      „Sag nur noch schnell, wann du mit Richard das letzte Mal … Hallo? Veronika?“

      Die Verbindung war abgebrochen, eine Antwort kam nicht mehr. Alena spürte, dass ihr Bauchkribbeln an Intensität zunahm. Vielleicht war Veronikas Hektik echt gewesen, aber wenn sie sie nur gespielt hatte? Vielleicht hatte sie das Gespräch nur so schnell wie möglich beenden wollen. Aber warum? Wusste sie vielleicht etwas, das sie nicht sagen wollte?

      „Alena“, drang an ihr Ohr. „Kommst du mal bitte für einen Moment?“

      Sie ging wieder aus dem Esszimmer. Ihr Schwiegervater stand im Flur gegen den Kleiderständer gelehnt, er hatte die alte Jacke an, die er immer im Garten trug, und versuchte mit Mühe, seine Ferse in einen Stiefel zu quetschen. Obwohl er mit einem Schuhanzieher nachhalf, bewältigte seine schwindende Muskulatur so eine Aufgabe nicht mehr.

      „Papa, warum hast du mich denn nicht gleich gerufen“, fragte Alena vorwurfsvoll und ging in die Hocke, um ihm beim Schuhe Anziehen zu helfen. Es kostete sie keinerlei Überwindung, ihm bei körperlichen Verrichtungen zu assistieren, die er wegen seiner Erkrankung nicht mehr alleine schaffte. Es wurden immer mehr, einige davon relativ heikel. Vor einem Jahr hatte sie ohne Bedauern ihre Arbeit als Trainerin aufgegeben (seit sie selber nicht mehr zu Wettkämpfen fuhr, war sie vom Schwimmen längst nicht mehr so besessen wie früher) und stand nun ihrem Schwiegervater ganztägig zur Verfügung. Sie begleitete ihn zur Kirche, brachte ihn zu seinen Heilbädern, machte mit ihm Gymnastik. Dass sie sich um ihn kümmerte, akzeptierte er mit angenehmer Selbstverständlichkeit, fast fröhlich.

      „Warum soll ich dich denn rufen? Ich muss in Form bleiben“, wischte er mit einem Lächeln ihren Vorwurf beiseite. „Falls Štěpán in dieses Europarlament kommt, erwarten uns anstrengende Reisen. Ich will nicht nur das Brüsseler Rathaus und das Manneken Pis mit eigenen Augen sehen, sondern auch das Straßburger Münster.“

      Er sprach mit jugendlicher Begeisterung. Tatsächlich wollte er sich nicht eingestehen, dass sein fortschreitendes Leiden ihn an der Verwirklichung seiner Reisepläne hindern könnte.

      „Nur bei Richard solltest du ein gutes Wort einlegen“, fügte er hinzu.

      „Wieso?“

      „Neulich hat er zu mir gesagt, dass er nicht mit uns mitfährt. Brüssel und Straßburg interessieren ihn angeblich nicht. So ein Quatsch! Er könnte dort studieren.“

      „Papa, noch hat Štěpán die Wahl nicht gewonnen, und Richard hat sein Abi noch nicht gemacht …“ Sie beendete den Satz nicht. Verdutzt starrte sie hinter dem Rücken ihres Schwiegervaters auf den offenen Schuhschrank. Da fehlte was. Aufmerksam ließ sie ihren Blick über die einzelnen Regalbretter schweifen, bis sie’s hatte: Richards Bergschuhe waren weg. In Prag trug er sie nie. Sollte er sie also mit zu Martin genommen haben, hieße das, dass sie zu einer Tour aufgebrochen waren.

      Sie holte einen Stuhl, stieg darauf und öffnete die Tür des oberen Stauraums. Sie erstarrte. Das Bauchkribbeln verwandelte sich in echten Schmerz. Jetzt konnte sie sich beim besten Willen nicht mehr einreden, dass alles gut war, es hatte keinen Zweck mehr, die Panik zu unterdrücken. Das Fach, wo das Zelt hätte sein sollen, war gähnend leer. Auch der große Rucksack fehlte. Und Richards Windjacke, die er sich für Kambodscha gekauft hatte. Das mit den Vermutungen hatte sich also erledigt. Die Jungs kurierten keinen Kater aus. Sie waren irgendwo hingefahren. Fragte sich nur, wohin. Die Geheimhaltungsstufe, die ausgeschalteten Telefone und die raffinierten Verschleierungsmanöver, mit denen

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