Die Residentur. Iva Prochazkova

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Residentur - Iva Prochazkova страница 8

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Residentur - Iva Prochazkova

Скачать книгу

Schulter. „Du bist genau wie ich“, versicherte er ihm. Richard hoffte, dass das nicht so war. Sein Vater hatte keinen Schimmer von der Patrola. Von nichts, was in Richards Leben eine wichtige Rolle spielte. Als er letztes Jahr seinen achtzehnten Geburtstag gefeiert und verkündet hatte, dass er für die gesamten Sommerferien mit einer humanitären Mission nach Kambodscha gehen würde, hatte ihn sein Vater gefragt, wozu er dort nütze wäre. Das hatte er nicht bissig gemeint, sondern todernst. Er hielt Richard für einen ratlosen Grünschnabel, auf den er nach wie vor ein Auge haben sollte, dem er schlaue Ratschläge geben und die Welt erklären musste. Seine Welt. Ihm war nicht klar, dass sich ihre Welten immer weiter voneinander entfernten. Als Richard aus Kambodscha zurück war, konnte er dieses Auseinanderdriften nicht mehr aufhalten. Und wollte es auch nicht.

      Geduckt ging er hinter Lewan her und checkte die Umgebung ab. Er bemühte sich, absolut geistesgegenwärtig zu sein. „Mindful“ hatte Geworg das immer genannt, und obwohl er diese Achtsamkeit intensiv trainiert hatte, konnte ihn das nicht vor der Hinrichtung bewahren. Wie immer, wenn er sich Geworgs Ende vorstellte, biss Richard unwillkürlich die Zähne zusammen und seine Halsmuskulatur spannte sich an.

      Er schluckte, um die Spannung zu lösen, und konzentrierte sich darauf, durch das Bett des Grabens zu gehen. Allerdings konnte er seine Gedanken nicht im Zaum halten, schon bald landeten sie wieder bei seinem Vater. „Was willst du damit beweisen?“, hatte der Richard angewidert gefragt, als er vor einiger Zeit die Hanteln in seinem Zimmer entdeckt hatte. „Denkst du, dass Muskeln dich zu einem richtigen Kerl machen?“ Damals waren sie noch in der Lage gewesen, miteinander zu kommunizieren, und Richard hatte versucht, seinen Standpunkt zu erläutern. Vergeblich. Sein Vater hatte vor Stärke Respekt, aber nur vor so einer, die Macht, Einfluss und Karriere bedeutete. „Mach dein Abitur und den Eignungstest fürs Studium, das ist der Ausgangspunkt zum Erfolg“, predigte er. Sich körperlich in Schuss zu halten, hielt er für ein Anzeichen von Primitivität. Niemals hätte er freiwillig Sport gemacht. Die Rekruten aus der Patrola hätte er als Hohlköpfe abgestempelt. Er hätte gesagt, dass sie mit diesen Kriegsspielen nur irgendeinen Minderwertigkeitskomplex therapierten.

      Richard schüttelte den Kopf. Sein Vater rümpfte über die Kriegsspiele zwar die Nase, hatte aber selber eine Pistole. Die hatte er in seiner Schreibtischschublade versteckt und Richard hatte sie sich heimlich ausgeborgt. Eine Makarov 9 mm. Wunderschön brüniert, hartverchromter Lauf, Magazinauswurf mit dem Daumen, für Richards Hand wie geschaffen. Präzise. Total verliebt war er in sie. Er hatte Munition aufgetrieben, und wann immer es möglich war, gingen er und Martin damit schießen. Jedes Mal reinigte er sie anschließend und legte sie zurück an Ort und Stelle. Er verhielt sich umsichtig, aber sein Vater war höchstwahrscheinlich hinter seine Ausleihaktionen gekommen, denn er hatte sich einen Safe zugelegt, und Richard hatte lange gebraucht, bis er wieder an die Pistole rangekommen war. Bei jeder passenden Gelegenheit spielte er mit der Ziffernfolge rum (ein paarmal musste er schleunigst durchs Fenster in den Garten verschwinden, damit ihn Opa oder Ma nicht erwischten), er dachte schon, dass er aufgeben müsste, doch schließlich hatte er den Code geknackt. Nach kurzer Freude stellte sich Zorn ein. Und Bedauern. Das, was er im Safe außer der Pistole noch fand, bestätigte seine frühere Vermutung: Sein Vater war ein Scheißkerl. Falls Scheißkerl sein zu den nötigen Qualifikationen für einen Kandidaten zum Europaparlament gehörte, dann hatte Ing. Štěpán Chytil eine reale Chance, gewählt zu werden.

      Aus dem Augenwinkel sah er Martin. Der war auf seiner Position angekommen und machte ein Zeichen, dass er ihnen Deckung geben würde. Er war von ihnen allen der beste Schütze. Außerdem der schnellste Läufer. Und damit nicht genug, er konnte am besten Mädchen rumkriegen. Eigentlich brauchte er sich überhaupt nicht anzustrengen, sie rannten ihm auch ohne Rumkriegen nach, obwohl sie wussten, dass seine Mutter Lehrerin war, was ihn eindeutig hätte disqualifizieren müssen. Tat es aber nicht. Noch vor einem Jahr hatte Richard ihn um seinen Erfolg bei den Mädchen beneidet, jetzt nicht mehr. Jetzt hatte er selber die allerhübscheste Freundin: Veronika. An einer anderen hatte er kein Interesse. „Weißt du, dass es noch nie mit einem Jungen so war wie mit dir?“, hatte sie ihm letzten Sommer anvertraut (ein leicht heiserer Kontra-Alt, hinterm Ohr eine Margerite, ihre Augen so goldgrün wie das Gras, in dem sie lagen), und ehe er sich den Kopf zerbrechen konnte, wie viele von diesen Jungen es in ihrem Leben wohl gegeben hatte, fügte sie bedeutungsschwer hinzu: „In meinem Kämmerlein wirst du der Erste sein.“ Das Lachen blubberte zwischen ihren Schneidezähnen durch jene Lücke heraus, von der sie behauptete, dass sie total bescheuert aussehe und dass sie für sie als angehende Schauspielerin ein Nachteil sei. Richard fand das sexy. Beim Küssen ließ er seine Zunge dorthin gleiten, und immer, wenn er sich in Gedanken Veronikas Gesicht vorstellte, tauchte als Allererstes diese erregende Zahnlücke auf. Auch jetzt.

      Sie erklommen den Sockel der Mühle, wo die Treppe losging. Der untere Teil fehlte. Lewan hängte sich die Flinte über die Schulter, schwang sich auf das Podest über seinem Kopf und stieg geduckt nach oben. Richard folgte ihm. An der Stelle, wo die Treppe abknickte, fiel sein Blick nach unten. Martin kauerte an dem Mäuerchen in Feuerposition und schaute durch eine Lücke, die durch herausgebröckelte Steine entstanden war. Als hätte er gespürt, dass Richard ihn ansah, hob er für einen Moment sein Gesicht und zog eine Grimasse. Er hatte davon ein endloses Arsenal, eine perverser als die andere.

      Lewan griff nach der Schutzbrille, die ihm unterm Kinn hing, und setzte sie sich auf dem Weg nach oben auf. Richard tat dasselbe, obwohl er hoffte, dass er keinen Treffer abbekäme. Er war sich sicher, dass er sich auf Martins Deckung verlassen konnte. Sie kannten sich seit der sechsten Klasse und einer hatte den anderen noch nie im Stich gelassen. Sie waren auf derselben Wellenlänge. Nach dem Mord an Geworg hatte es keine Woche gedauert, und beide wussten, was ihnen bevorstand. Da gab es nichts zu diskutieren.

      Richard fuhr mit der Hand in seine Innentasche, um sich zu überzeugen, dass er dort die zusammengefaltete Standarte hatte.

      „Ich geb dir von da aus Deckung, Martin von unten. Deine einzige Aufgabe ist die Standarte. Halt dich nicht mit Schießen auf“, befahl Lewan und schaute nach unten. Martin machte mit Daumen und Zeigefinger ein Okay-Zeichen, legte aber die Hand sofort wieder an den Abzug.

      „Lauf!“ Lewan gab das Signal und Richard rannte los. Vorsichtig balancierte er über die verwitterte Mauerkrone und versuchte, nicht abzurutschen. Dabei tauchte vor seinem inneren Auge Veronika auf. Sie ging vor ihm her, in ihrem Sommerkleid, unter dem sich deutlich die geigenförmigen Hüften abzeichneten, sie war barfuß und hatte die Haare auf dem Scheitel zusammengebunden, sodass man nicht nur ihr kleines Schwalben-Tattoo sah, sondern auch die feinen Härchen auf dem gebräunten Hals. Eine erregende Vision, die aber für diesen Moment absolut unpassend war. Schnell verscheuchte Richard sie wieder.

      Er gelangte ans Ende der Mauer, ergriff einen verrosteten Träger und zog sich an ihm zum obersten Stockwerk hinauf, dem ehemaligen Dachboden. Praktisch war er am Ziel. Er hockte sich hin, hob den Blick – und erstarrte. Mit dem Rücken zu ihm kauerte dort jemand in einem nassen Tarnanzug, in der Hand hielt er eine Standarte und befestigte sie gerade am Schornstein. Von der anderen Seite bekam er vom Kommandeur der ersten Mannschaft Deckung. Adams Abwesenheit hatte also doch verhängnisvolle Folgen gehabt. Hätte er bei den Kiefern Wache geschoben, dann hätte er die erste Mannschaft nicht den Fluss überqueren lassen.

      Richard durchströmte ein Gefühl von Bitterkeit. Es war so intensiv, dass ihm übel wurde. So ähnlich wie bei einem schlimmen Kater. Unwillkürlich schoss ihm durch den Kopf, dass die Niederlage in der simulierten Schlacht um die Mühle, die er mit Lewan und Martin gerade erlitten hatte, eine Warnung sein könnte. Vielleicht war das ein Vorzeichen dafür, wie es ihnen in den Schlachten ergehen würde, bei denen nicht mehr mit Plastikkugeln geschossen würde. Er zuckte weg, um aus dem Schussfeld zu kommen, aber zu spät. Er registrierte einen Treffer am Helm. Gleich danach noch einen, unterm Ohr. Trotz des Schutztuchs tat es höllisch weh.

      „Adam, du Idiot“, zischte er wütend. In voller Lautstärke rief er dann: „Ich bin tot.“

      Der heutige tschechische Nachwuchs

Скачать книгу